In weniger als einer Stunde hatte ich die Großmarsstenge an Deck und begann jetzt, den Scherenkran zu bauen. Ich zurrte die beiden Bäume zusammen, wobei ich darauf achtete, daß die Schenkel des Geräts gleich lang wurden, und dann befestigte ich am Schnittpunkt den doppelten Block des Hauptklaufalls. Dies ergab in Verbindung mit dem Klaufall selbst ein Heißtakelwerk. Um die Enden der Bäume am Gleiten zu hindern, nagelte ich einige Klampen an Deck fest. Als alles fertig war, machte ich am Schnittpunkt des Scherenkrans eine Leine fest, die ich direkt zum Spill laufen ließ. Mein Vertrauen zu dem Spill wuchs immer mehr, denn es gab Kräfte her, die alles Erwarten überstiegen. Wie gewöhnlich hielt Maud den Törn, während ich wand. Der Scherenkran erhob sich.
Da entdeckte ich, daß ich die Pardunen vergessen hatte. Die Folge war, daß ich zweimal auf den Scherenkran hinaufklettern mußte, um die Pardunen an beiden Seiten anzubringen. Ehe ich hiermit fertig war, war es Abend geworden. Wolf Larsen, der den ganzen Nachmittag dagesessen und gelauscht hatte, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund zu öffnen, war in die Kombüse gegangen, um sich sein Abendbrot zu bereiten. Mir war das Kreuz so steif, daß ich mich nur mit Mühe und Schmerzen aufrichten konnte. Aber ich blickte mit Stolz auf meine Arbeit. Sie konnte sich sehen lassen. Wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bekommen hat, sehnte ich mich danach, den Scherenkran in Gebrauch zu nehmen.
„Schade, daß es schon so spät ist", sagte ich. „Ich hätte ihn so gern schon arbeiten gesehen."
„Übertreiben Sie nicht, Humphrey", schalt Maud, „denken Sie daran, daß morgen auch ein Tag ist. Sie sind so müde, daß Sie kaum noch auf den Beinen stehen können."
„Und Sie?" fragte ich mit plötzlicher Besorgnis. „Sie müssen doch schrecklich müde sein. Sie haben tüchtig und tapfer zugepackt. Ich bin stolz auf Sie, Maud."
„Nicht halb so stolz, wie ich es auf Sie bin, und mit nicht halb soviel Grund", antwortete sie und sah mir sekundenlang in die Augen, während die ihren mit einem flackernden Licht leuchteten, das ich noch nie in ihnen gesehen hatte und das mir - ich wußte nicht, warum - eine Welle heißen Entzückens durch die Adern jagte. Dann senkte ich den Blick, um ihn gleich darauf wieder lachend zu heben.
„Wenn unsere Freunde uns jetzt sehen könnten!" sagte sie. „Sehen Sie uns an. Haben Sie sich nie einen Augenblick Zeit gegönnt, um uns zu betrachten?"
„Doch, ich habe Sie oft betrachtet", erwiderte ich, verwirrt über das, was ich in ihren Augen gesehen hatte, und verwundert, daß sie so plötzlich den Gegenstand wechselte.
„Du lieber Gott!" rief sie. „Und wie sehe ich aus, wenn ich fragen darf?"
„Wie eine Vogelscheuche - wir brauchen uns nichts vorzumachen", erwiderte ich. „Sehen Sie nur Ihren schmutzigen Rock und die vielen Risse. Und die Bluse! Hier bedürfte es keines Sherlock Holmes, um zu beweisen, daß Sie über einem Lagerfeuer abgekocht haben, ganz zu schweigen von unserem Robbentran. Und um allem die Krone aufzusetzen: die Mütze! Ist das wirklich eine Frau, die Gedichte schreibt?"
Sie machte mir einen eleganten kleinen Knicks und sagte: „Und was Sie betrifft, mein Herr -"
Wir scherzten einige Minuten in dieser Weise, und doch hatten unsere Scherze einen Unterton von Ernst, den ich ganz unwillkürlich mit dem seltsamen Ausdruck in ihren Augen in Verbindung brachte. Was war das? War es denn möglich, daß unsere Augen ausplauderten, was unser Mund verschwieg?
„Es ist eine Schande, daß wir nach dem schweren Tagewerk nicht einmal unsere Nachtruhe ungestört haben sollen!" klagte ich nach dem Abendbrot,
„Was für eine Gefahr könnte uns drohen? Von einem Blinden?" fragte sie.
„Ich traue ihm nicht", beharrte ich, „und jetzt, da er blind ist, weniger als je. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird seine teilweise Hilflosigkeit ihn nur noch boshafter machen. Das weiß ich: Das erste, was ich morgen früh tun werde, ist, den Schoner ein kleines Stück vom Strande abzulegen und zu verankern. Dann bleibt Wolf Larsen jeden Abend, wenn wir an Land rudern, als Gefangener an Bord zurück. Dies wird daher die letzte Nacht sein, in der wir Wache zu halten brauchen, und dann wird es leichter gehen."
Wir waren zeitig auf und hatten gerade unser Frühstück eingenommen, als es hell wurde.
„Ach, Humphrey!" hörte ich plötzlich Maud bestürzt rufen.Ich sah sie an. Sie starrte auf die Ghost. Ich folgte ihrem Blick, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches bemerken.
„Der Scherenkran", sagte sie mit bebender Stimme.
Ich hatte unser Werk ganz vergessen. Jetzt schaute ich wieder hin und sah den Scherenkran nicht.
„Wenn er -", knirschte ich.
Sie legte beruhigend ihre Hand auf die meine und sagte: „Dann müssen wir wieder von vorn anfangen."
„Oh, glauben Sie mir, mein Zorn hat nichts zu bedeuten, ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun", lächelte ich bitter. „Und das Schlimmste ist, daß er das weiß. Sie haben recht: Wenn er den Scherenkran zerstört hat, bleibt mir nichts anderes übrig, als wieder von vorn anzufangen. Aber in Zukunft werde ich nachts an Bord bleiben", machte ich mir einen Augenblick später Luft. „Und wenn er mir wieder in den Weg tritt -"
„Aber ich wage es nicht, nachts allein an Land zu bleiben", sagte Maud, als ich mich wieder beruhigt hatte. „Es wäre doch zehnmal schöner, wenn er sich freundschaftlich zu uns stellte und uns hälfe. Dann könnten wir alle so gut an Bord wohnen."
„Das werden wir auch", sagte ich, immer noch erregt, denn die Zerstörung des Scherenkrans hatte mich schwer getroffen. „Das heißt: Wir beide werden an Bord wohnen, mit oder ohne Wolf Larsens Freundschaft. Es ist kindisch", lachte ich kurz darauf, „kindisch von ihm, etwas Derartiges zu tun, und von mir, mich darüber aufzuregen."
Aber ich konnte mich doch nur mühsam beherrschen, als ich an Bord kletterte und die Verwüstung sah, die Wolf Larsen angerichtet hatte. Der Scherenkran war verschwunden. Die Pardunen waren rechts und links durchgeschnitten. Mit allem Tauwerk hatte er es ebenso gemacht. Und er wußte, daß ich nicht spleißen konnte. Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf. Ich eilte zum Spill. Es arbeitete nicht. Er hatte es zerbrochen. Bestürzt sahen wir uns an. Dann lief ich an die Reling. Alle
Masten, Spieren und Gaffeln, die ich klargemacht hatte, waren fort. Er hatte die Leinen gefunden, durch die sie gehalten worden waren, hatte sie gekappt und alles Wind und Wellen preisgegeben. Maud hatte Tränen in den Augen, und ich glaube, sie galten mir. Ich selbst hätte weinen mögen. Was wurde jetzt aus unserm Plan, die Ghost wieder seetüchtig zu machen? Wolf Larsen hatte ganze Arbeit getan. Ich setzte mich auf den Lukenrahmen und ließ in tiefster Verzweiflung den Kopf in die Hände sinken.
„Er verdient den Tod", rief ich, „und Gott verzeihe mir, daß ich nicht Manns genug bin, den Henker zu spielen!"
Aber Maud saß neben mir, ließ ihre Hand besänftigend durch mein Haar gleiten, als ob ich ein Kind wäre, und sagte: „Still, still, es wird schon alles gut werden. Wir haben das Recht auf unserer Seite, und der liebe Gott wird uns nicht im Stich lassen."
Ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter und fühlte meine Kraft zurückkehren. Was tat es? Es war nur eine Verzögerung, ein Aufschub! Die Ebbe konnte die Masten nicht weit in See getrieben haben, und es war die ganze Zeit windstill gewesen. Es bedeutete nur etwas mehr Arbeit, sie zu finden und zurückzuholen. Und zudem war es eine gute Lehre für uns. Jetzt wußten wir, was wir zu erwarten hatten. Wenn er sein Zerstörungswerk erst später getan hätte, wäre es bedeutend schlimmer für uns gewesen. Und als ich in Mauds klare braune Augen blickte, vergaß ich alles Böse, das er uns angetan hatte, und wußte nur, daß ich sie liebte und daß ich daraus die Kräfte schöpfen würde, den Weg zurückzufinden.
Zwei Tage lang durchstreiften Maud und ich See und Küste auf der Suche nach den verlorenen Masten. Aber erst am dritten fanden wir sie sowie auch den Scherenkran zwischen den gefährlichen Riffen, mitten in der tosenden Brandung am südwestlichen Vorgebirge. Wie wir arbeiteten! Am ersten Tage kehrten wir bei Einbruch der Dunkelheit mit dem Großmast im Schlepp vollkommen erschöpft in unsern kleinen Hafen