Der junge Mexikaner horchte aufmerksam auf die Worte des alten Mannes.
»Hat der Geist des Vaters dem Miko zugeflüstert?« fragte er mit starker, dumpfer Stimme.
»Zweimal hat er deutlich gesprochen.«
»Dann muß er seiner Stimme gehorchen. Groß ist«, sprach er, und ein unwillkürlicher Schauder durchzuckte ihn – »groß und schrecklich ist der Fluch, der jene trifft, die die Gebeine aus ihrer Ruhe reißen. – Ihr Volk wendet sich schaudernd, und ihre Namen sind verflucht von Geschlecht zu Geschlecht; aber wenn der Vater gesprochen hat, dann muß der Sohn gehorchen. El Sol will mit seinem Vater gehen.«
»El Sol«, erwiderte der Greis kopfschüttelnd, »ist der Sohn des Miko und seinem Herzen sehr teuer, er hat das Blut Tokeahs in seinen Armen gehabt; aber sein Auge darf den entheiligten Hügel nicht sehen, unter dem sein Vater begraben ist.«
»El Sol wird nicht auf die Schande seines Vaters schauen; aber er wird dem Miko folgen und will fern von dem Grabhügel Sheyahs warten, bis der Miko zurückkommt.«
Der alte Mann gab schweigend seine Einwilligung, und der kleine Zug bewegte sich gegen Osten. Mit dem Anbruch des zweiten Tages befanden sie sich am Fuße eines Berges, hinter welchem die Flächen Georgiens sich unabsehbar gegen das Atlantische Meer hinabdehnen. Der alte Mann hatte im feierlichen Ernst den Berg erstiegen. »Sieht mein Sohn«, sprach er, als sie auf dem Gipfel angekommen waren, von dem sie eine ferne Aussicht auf die waldbekränzten, nur hie und da durch Reif versilberten Hügel hatten – »sieht mein Sohn jene hohen Hügel, die sich in einer Kette hinabwinden, und deren Füße sich immerdar in dem glänzenden Strome waschen? Sie sind noch in Nebel gekleidet; hinter diesen ist das Tal, wo die Gebeine des Vaters Tokeahs ruhen.« –
»Mein Vater mag dann gehen«, sprach El Sol.
»Nein, mein Sohn«, versetzte der alte Mann. »Als der Leib des Vaters Tokeahs tief gelegt ward, da sprach der große Prophet seines Volkes den Fluch über denjenigen aus, der seine Gebeine an das glänzende Licht der Sonne bringen und vor Scham erbleichen machen würde. Das Licht des Himmels darf sie nie wieder sehen; der finstern Nacht wurden sie übergeben, in der finstern Nacht müssen sie aus ihrem Dunkel gehoben werden. Tokeah will warten, bis die glänzende Kugel hinter der Welt ist.«
Er sprach nun mit den Oconees, und diese entfernten sich, kamen aber nach einer Weile zurück, mit Rinde beladen. Sie setzten sich mit dem alten Manne nieder und fingen an, diese in die Form eines kleinen Sarges zusammenzunähen, dessen Innen- und Außenseiten sie mit den Fellen von Hirschen bekleideten, die sie den Tag zuvor erlegt hatten. Ein Strahl von Zufriedenheit überzog das erstorbene Gesicht des Greises, als er den Sarg beendigt sah. Er heftete an die beiden Enden einen breiten Riemen.
»In der Rinde deiner Geburtswälder und im Gewande derselben Hirsche, die du gejagt hast, sollst du ruhen, Gebein meines Vaters«, sprach er.
Und dann legte er sich zur Ruhe. Als die Nacht herangebrochen war, stand er auf, nahm den Sarg an seine Brust, und winkte den beiden Oconees, ihm zu folgen.
Es war Mitternacht, als die drei Indianer im Tale ankamen. Der volle Mond war bisher durch einen lichten Saum leichter silberner Wolken geflogen und sank nun in eine bleifarbige, graue Schneewolke. Die Indianer bewegten sich im tiefsten Stillschweigen, längs den Ufern des Stromes, unter den blätterlosen Walnußbäumen fort. Ein leichter Schauder überfiel den armen Mann, als er sich durch die wohlbekannten Wälder seines Geburtslandes stahl; er blickte auf, starr und scheu und furchtsam, als umschwebten ihn die Geister seiner Väter. Er horchte, als hörte er ihre Stimme. Je weiter er in das Tal eindrang, desto beflügelter wurden seine Schritte. Ein entfernter Laut schlug an seine Ohren. – Es war Hundegebell. »Geist meines Vaters,« stöhnte er, »die Weißen sind deinem Grabe nahe.« – Er rannte nun, er flog dem Grabeshügel zu. Die rohe Einzäunung eines Welschkornfeldes umgab die Stätte – die liebliche Nacht der Wildnis war verschwunden, – Stengel von Welschkorn und Hülsen mit Stöcken lagen auf dem Boden zerstreut umher. Die Bäume standen blätterlos und abgestorben; ihre zum Teil rindelosen weißen Stämme starrten wie in Grabtücher gehüllte Riesen in das zuckende Antlitz des Wilden. »Geist meines Vaters!« rief er; »Geist meines Vaters!« jammerte er in unsäglichem Schmerze. »Wo sind die Gebeine, die deine Stärke ausmachten, und von denen die Gebeine Tokeahs sind?« Das Erdreich rings um die Bäume, deren kahle, im blassen Mondlichte zum Himmel emporstrebende Äste die Verwüstung anzuklagen schienen, war durch den Pflug aufgerissen. Der Greis fiel bewußtlos zur Erde. Seine Gefährten sprangen herbei, ihn aufzurichten. »Hinweg! weg«, murmelte er mit dumpfer Stimme. – »Hinweg von dem Grunde, wo ein mächtiger Miko begraben liegt! Tokeah will seine Gebeine allein ausgraben.«
Und mit seinen Händen grub er nun den halb gefrornen Boden auf. Der Kiesel schnitt in seine erstarrten Palmen, das Blut floß von Fingern und aus den Nägeln, die Haut fiel in Fetzen von seinen Händen; aber seine Eile, als befürchtete er, jemand würde ihn seines Schatzes berauben, nahm mit seinen Wunden zu, und er bohrte, bis er die ganze Masse Erde aufgeworfen und die Überbleibsel seines Vaters gesammelt hatte. Das erste und einzige Mal in seinem Leben schluchzte er laut und vergoß heiße Tränen. Dann rannte er zum Grabe seiner Mutter. Der Pflug war hier tiefer eingedrungen. Nur wenige Zoll Erde bedeckten noch ihre Gebeine. Mit unsäglichem Schmerze legte er diese zu denen seines Vaters. Der Mond goß sein volles Licht auf den Wilden, als er auf der gefrornen Erde vor dem Sarge lag.
»Geist meines Vaters!« stöhnte er, »du hast wahr gesprochen. Die Hufe der Tiere der Weißen sind über deinen Grabhügel gegangen. Sie haben ihn flach getreten. Sieh herab von deiner Wohnung. Der Sohn hat getan, was du ihm geboten hast. Er wird deine Überreste nun dahin nehmen, wo keine freche, grabschänderische Hand sie stören, wo seine eigenen Gebeine ruhen sollen. Er will sie unter seinem Volke begraben. Geist meines Vaters! bitte den großen Geist, daß er auf seine Kinder mit mildem Antlitz sehe, daß du einst wieder ihrer Taten dich freuen mögest. Dein Sohn ist gleich einer vermoderten Eiche. Viele Stürme haben seine Kraft gebrochen, seine Äste sind zerschellt, sein Geist seufzt. – Geist meines Vaters! Wenn du das Antlitz des großen Geistes siehst, bitte ihn für deinen Sohn, seine Kinder!«
Das Hundegebell ließ sich abermals hören.
»Ich höre die Stimme des Vorläufers der Feinde meines Geschlechtes. Lebe wohl, Vater- – Mutterland! Lebt wohl, ihr Bäume, in deren Schatten Tokeah so oft sich gekühlt hat, während des heißen Sommers, – wo er geruht hat nach der langen Jagd. – Lebe wohl, Strom! wo er seine Glieder so oft erfrischt, wo er das Ruder zuerst gehoben. – Lebt wohl, ihr Hügel, auf welchen sein Vater zuerst seine schwachen Arme gelehrt hat, den Bogen zu spannen!«
Der Mond goß seine Silberstrahlen wieder hinter dem zarten Flaume von Wolken hervor. Das Gebelle ward zum dritten Male gehört. –
»Großer Geist!« bat er, »du hast mit hellen Augen auf die Taten des Kindes gesehen. Öffne die Ohren seiner Brüder, auf daß sie die Worte hören, die er ihnen sagen wird.«
Er stand sodann auf, und nachdem er den Riemen um seinen Hals gelegt, nahm er den Sarg an seine Brust und kehrte zurück zu den Cumanchees. Den beiden Oconees winkte er, und diese entfernten sich in verschiedenen Richtungen.
»Der