Ein zweiter Redner folgte, der mit größerer Lebendigkeit noch mehr sich bemühte, die ohnedies racheschnaubenden Gefühle seiner Zuhörer aufzureizen.
Nachdem ein dritter gesprochen, wurden die Ausrufungen unter den Oconees nach den Skalpen ihrer Feinde allgemein. Sie hatten am meisten gelitten.
»Und was sagt der weise Tlachtala?« so redete El Sol einen Cumanchee an, der hinter ihm auf einer Wolldecke ausgestreckt lag und von zwei Kugeln durchbohrt war.
»El Sol«, erwiderte der Verwundete, »weiß die Gesetze der Cumanchees.«
»Würde aber ein Cumanchee mit einem Diebe kämpfen, dessen Hand und Fuß an den Pfahl gebunden sind?«
Der Cumanchee schüttelte verachtungsvoll sein Haupt.
»Und was würden die Cumanchees tun?«
»Sie würden um einen der schlechtesten Apachees senden, daß er die Diebe an Bäume hänge, damit ihr Fleisch ebenso von den Vögeln des Himmels gestohlen werde, wie ihre Hände getan.«
»Die Seele El Sols ist die eines Cumanchees, und er will tun, wie sein Bruder sagt.«
Die Blicke der Menge wandten sich nun mit Sehnsucht auf Tokeah und El Sol. Der erstere erhob sich, aber mit unsäglicher Mühe. Man sah es ihm an, daß alle Geisteskraft von ihm gewichen war, daß es ihm schwer fiel, auch nur ein Wort hervorzubringen. Es war nicht bloß der herzzerreißende Schmerz, der seine Worte erstickte, es war das Bewußtsein eigener Schuld, die den alten Mann zittern und beben machte.
Er hatte wirklich die ganze Schuld des gräßlichen Ereignisses auf sich geladen; seine Blindheit hatte ihm und seinen Alliierten eine tödliche Wunde geschlagen, seine Halsstarrigkeit ihn taub gegen alle Zurufe El Sols gemacht. Leicht hätte das Unglück vermieden und die Seeräuber auf eine Weise empfangen werden können, die ihnen alle Lust zu einem zweiten Versuche vertrieben hätte. Der alte Mann fühlte die große Schuld, die auf ihm lag, die Verantwortung für das Leben so vieler, die, im Vertrauen auf seine weise Wachsamkeit, in der Nähe eines verdächtigen Feindes alle Vorsichtsmaßregeln vernachlässigt hatten. Scham und Rachsucht durchglühten die wenigen Worte, die er nun zu den Seinigen sprach. Die Seeräuber wurden verurteilt zu sterben. Als er gesprochen hatte, schienen die Oconees nur ungeduldig auf den jungen Mexikanerhäuptling zu warten.
Als er nun aufstand, trat eine plötzliche Stille ein.
»Sind nicht meine Brüder, die Oconees, soeben auf dem Pfade zu ihren Brüdern, den Cumanchees, begriffen?« fragte er mit dumpfer, tiefer Stimme. »Wollen sie nicht die Rede eines Cumanchee hören, der für sie zwei Wunden empfing, auf daß seine Brüder, wenn sie nach Hause kommen, unserm Volke sagen, wie sehr ihre Weisheit von ihren neuen Brüdern geschätzt werde?«
Die Menge hörte finster und schweigend in ängstlicher Bangigkeit zu. Der junge Anführer wandte sich zum Cumanchee, der bereits im Todeskampfe röchelte, aber, nach der Gewohnheit seines Volkes, eine Stärke zeigen mußte, die seiner noch übrigen Kraft nicht mehr entsprach.
»Will mein Bruder seinen neuen Brüdern sagen, was die Cumanchees mit ihren Gefangenen tun würden?«
»Sie binden«, sprach der Verwundete, »ihre Gefangenen an Pfähle am linken Fuße und an der linken Hand und lassen ihnen den rechten Fuß und die rechte Hand frei, und geben ihnen ihre Waffen, und sechs junge Krieger mögen einzeln mit ihnen kämpfen. Wenn der Gefangene fällt, dann mag der Sieger ihm das Leben nehmen und seinen Leib verbrennen; wenn die sechs roten Krieger fallen, dann wird der Gefangene ein Cumanchee.« Der Cumanchee sprach mit gebrochener schwacher Stimme, aber mit einem Ausdrucke auf seinem vom Todeskampfe entstellten Gesicht, der hinlänglich verriet, daß er seine neuen Brüder nichts weniger als fähig halte, sich diesem edlern Gebrauche seiner Nation zu unterwerfen.
»Und was tun die Cumanchees mit den Dieben, die ihre Pferde und Rinder stehlen«, fragte der junge Häuptling nach einer Pause, die dem Verwundeten Zeit geben sollte, sich zu erholen.
»Sie rufen den Schlechtesten der Apachees, daß er die Diebe beim Genick an einen Baum hänge, damit sie Speise für die Raubtiere werden«, erwiderte der sterbende Cumanchee, dessen letzte Kräfte diese Anstrengung erschöpft hatte. Er streckte sich noch einmal und war dann eine Leiche. Die Cumanchees erhoben ihn und setzten ihn an die Spitze der Gefallenen.
Obgleich die Oconees den Inhalt dieser Worte, die im Pawneeser Dialekte gesprochen, nicht vollkommen begriffen, so hatten sie doch so viel daraus entnommen, daß die Skalpe der Seeräuber ihren gefallenen Freunden und Verwandten nicht auf die große Reise mitgegeben werden sollten. Ein unbändiges Gemurmel von Unzufriedenheit brach unter den alten Weibern aus, die nun in wilden Sprüngen einen ganz eigentümlichen Tanz begannen, und die, durch die Unordnung und Anstrengung der letzten Nacht bis ins scheußlichste entstellt, wirklich gräßlich anzusehen waren. »Das Blut unserer Männer und Kinder ruft um Rache. Die Diebe haben die Axt erhoben. Wir wollen unsre Messer tief in ihr Blut eintauchen«, sprach eine Stimme. Ein Beifallsgemurmel erhob sich unter den Männern bei diesen Worten – und gleich halb gezähmten Bestien stürzten die alten Megären auf ihre Schlachtopfer zu, die jüngern Squaws schlossen sich unwillkürlich an, dann folgten die Knaben und Mädchen, die jüngern Krieger erhoben sich gleichfalls, und zuletzt stürzte die ganze wütende Schar, jung und alt, auf die Seeräuber los.
Die Cumanchees und Pawnees waren allein hinter ihrem Häuptlinge geblieben, der, ohne sich zu regen, an der Seite Tokeahs sitzen geblieben war.
»Und wollen meine Brüder das Blut ihrer Feinde nicht fließen sehen?« fragte El Sol, indem er sich gegen seine Krieger wandte.
»El Sol ist der Häuptling der Cumanchees und Pawnees, und seine Worte haften fest in ihren Ohren«, sprach einer derselben.
Der junge Häuptling stand auf, und als sähe er die Szene voraus, die nun bald erfolgen sollte, hob er die weiße Rosa in seine Arme und trug sie hinter die Laube. Kaum hatte er sie niedergelassen, als ein Gekrach und Gestöhne gehört wurde, das kurz und dumpf einige Sekunden zu hören war, und dann in ein unnatürliches Wimmern überging, das aber durch das Gelächter und das Geheul, das darauf folgte, bald wieder übertäubt wurde.
Tokeah stürzte auf den Haufen los, der sich ihm öffnete und ihm einen schrecklichen Anblick darbot. Es brauchte all das Ansehen und die Würde des Miko, um dem lange an Unterwürfigkeit gewöhnten, aber in diesem Punkte trotzig auf seinem Rechte bestehenden Haufen in seiner Wut Einhalt zu tun. Es war ihm endlich gelungen, und er kehrte rasch zu dem jungen Anführer zurück. Ihm folgten seine Männer, Hunden nicht unähnlich, die die drohende Stimme ihres Herrn vom zerrissenen Schafe hinweggescheucht.
»El Sol«, sprach der Miko mit langsam zitternder Stimme. »Die Männer der Oconees wollen nun hören, was der Häuptling ihnen sagen wird.«
»El Sol«, sprach der junge Mann in einem milden, aber entschlossenen Tone, »hat seine Hand ausgestreckt, um die Oconees der Muscogees als seine Brüder zu empfangen; aber sie haben ihm ihre Zähne gewiesen.«
Der alte Mann gab keine Antwort.
Der junge Mexikaner erhob seine Stimme noch höher, und stolz umherschauend, sprach er zu seinen Kriegern: »Haben die Cumanchees und Pawnees geschlafen, während Tokeah von den Dieben fortgeführt wurde? Haben die Oconees die Diebe gefangen, daß sie nun ihre Skalpe als ihr Eigentum nehmen?«
Alles war in Regung und Bewegung unter den aufgerufenen Cumanchees und Pawnees. Ihre Hände griffen rasch nach ihren Lanzen und Streitäxten, ihre Nasen begannen zu schnauben gleich Streitrossen, ihre düstern Gesichter nahmen einen furchtbar trotzigen Ausdruck an. – Noch ein solcher Aufruf, und sie würden auf die Überreste der Oconees losgestürzt sein, auf die sie ohnedies mit Verachtung herabsahen.
Tokeah zitterte das erstemal in seinem Leben.
»Haben die Cumanchees und