Ja – ja – brummte der Kapitän – ein verteufeltes Wagestück – wollen sehen, wie es enden wird!
Es war gerade, als wir in Havre landeten, ein mir besonders lieber Tag, und ich begann ihn mit dem werthen Freund hier und der theueren Freundin am Bord, in überglücklicher Heiterkeit, sorglos und um die nächste Zukunft unbekümmert – wissen Sie noch, Kapitän? Wir vertilgten damals vielen Champagner und Dry Madeira – es war mein Geburtstag, der 22. September.
Wie, mein Herr? fuhr Ludwig mit rascher Frage auf. Auch ihr Geburtstag ist der 22. September? Ich habe die Ehre, Ihnen zu sagen, daß der meinige auf denselben Tag fällt.
Nun, das grenzt aber in der That an das Wunderbare, rief der Kapitän. Welche Aehnlichkeiten werden wir noch entdecken zwischen diesen beiden Herren! Nun will ich Ihnen auch etwas sagen, meine hochverehrten Passagiere, heute ist mein Geburtstag, den wollen wir feiern, und den Ihrigen noch einmal mit. Ich habe den Schiffskoch schon beauftragt, für ein Frühstück nach Seemannsbrauch zu sorgen. Madeira, der zweimal unter der Mittagslinie hindurchging, wird nicht nur zu Mittag, er wird auch zum Frühstück munden, und mit dem tollen Franzosen, Monsieur Kreideweiß, werden wir auch noch anbinden können, und ihn auf gut niederländisch tractiren.
Der Kapitän entfernte sich mit schallendem Gelächter, nachdem seine Reisenden ihm vereint Glück zum heutigen Tage gewünscht hatten, um alles Nöthige anzuordnen. Mittlerweile faßte Leonardus Ludwig’s Hand, drückte sie mit Wärme und sprach: Junger Herr! es ist in der That wunderbar, wie viel Aehnlichkeit das Geschick uns gegenseitig zu Theil werden läßt. Lasset uns Freunde sein, lasset uns einen Bund schließen für das ganze uns noch vergönnte Leben. Mein Herz ist ganz voll von unbegrenztem Vertrauen zu Euch!
Ludwig dachte in diesem Augenblick der geistigen Mitgabe durch die Großmutter. Sie hatte gesagt: Achte treue Freundschaft und hüte dich vor falschen Freunden. – Ein falscher Freund konnte Leonardus nicht sein, nicht werden; sein offenes blühendes Gesicht drückte Biederkeit aus, seine Augen, blau wie die eigenen des jungen Grafen, strahlten Treue. Ludwig bot daher unbedenklich und mit voller jugendlicher Hingebung gerne beide Hände dar und antwortete: Ich habe von Freundschaft einen hohen Begriff; mein Lehrer in der griechischen Sprache ließ mich die Sprüche des großen Weltweisen Solon lesen und lernen, und da lernte ich: »Gerechte Freundschaft ist der sicherste Besitz! – Kein schöneres Gut auf Erden, als ein Freund! – Den Göttern gleich verehre willig Freunde! – Für Brüder achten sollst wahrhafte Freunde du!«
Ja Bruder! Bruder! rief Leonardus enthusiastisch, und warf sich küssend in Ludwig’s Arme.
Bruder im Leben, im Tode Bruder! sprach Ludwig sehr ernst, und erwiderte den Bundeskuß mit dem heiligen Gefühle eines Jünglingsherzens, das sich bisher in holder Unbefangenheit und in schönen Idealen hatte nähren und aufrichten dürfen.
Ich habe nicht Griechisch gelernt, mein Bruder Ludwig, versetzte Leonardus bewegt, aber ich will dir die hohen und weisen Worte deines Solon mit einem Ausspruch des größten Dichters unserer britischen Nachbarn erwiedern. Shakspeare sagt:
Den treuen Freunden will ich weit die Arme öffnen,
Und wie sein Kind der Lebensopf’rer Pelican
Mit meinem Blut sie tränken.
Das Erscheinen des Kapitäns, der vom Koch gefolgt, mit alle dem würdigen Werkzeug eintrat, das gehobene Seelenstimmung hervorzurufen und zu beleben im Stande ist, unterbrach die Ergüsse jugendlicher Erinnerungen an tiefeingeprägte unsterbliche Dichtergedanken, und es begann die heitere Morgenfeier des Geburtstages des treuen und wohlgesinnten Kapitäns.
Schon näherte sich das Schiff der Küste der Insel Ameland, an deren nördlicher Spitze es nahe vorbeisegeln und zwischen den Riffen der Watten links und der Zuyd-Wal rechts die schmale Fahrstraße einhalten mußte. Die »vergulde Rose« behielt nun auf mehrere Stunden zur Rechten die Inseln Ter Schelling und Vliland näher oder entfernter, die friesländische Küste aber in stets gleicher ziemlicher Nähe zur Linken in Sicht, bis es dieser bei dem sagenreichen Stavoren vorüber am nächsten kam.
Als Kapitän Fluit die erste Flasche entkorkt und die geistige Flut in die Gläser hatte rinnen lassen, und der erste Toast ihm von den Freunden ausgebracht war, verließ Leonardus schnell die Kajüte.
Was hat er? Was ist ihm? fragte Ludwig, einigermaßen bestürzt und verwundert über diesen raschen Aufbruch.
Werden es gleich sehen, mein Herr Graf! Werden gleich sehen, was Herr Leonardus hat, gab der Kapitän lachend zur Antwort, und siehe, bald darauf wurde wieder die Kajütenthüre geöffnet und herein trat mit einem freudestrahlenden Blick Leonardus, auf seinem Arm ein über alle Beschreibung schönes Kind tragend, und dicht hinter ihm folgte mit einem unendlich reizenden keuschen Erröthen Angés Berthelmy.
Ludwig und der Kapitän erhoben sich zum freundlichen Gruße der Eintretenden, und indem sie einen schüchternen Blick auf Ludwig warf, erglühte sie noch höher wie zuvor, und rief: Mein Leonardus, dein Herr Bruder!
Ja, mein Bruder, gute Angés, nimm ihn immer dafür! Nicht wahr, sie darf? fragte Leonardus seinen neuen Freund, und dieser erwiderte in einiger Verwirrung, ja fast mädchenhaft: Wohl, sie darf, welch’ eine liebenswürdige Schwester gewinne ich dabei!
Freundlich wurde Angés genöthigt, bei den Freunden sich niederzulassen; sie setzte zwischen sich und Ludwig das Kind, und sich selbst traulich anschmiegend an Leonardus Seite.
Ludwig konnte, nachdem er an Angé’s Schönheit seine Augen vollgeweidet, diese Augen kaum von dem Kinde wenden. Die kleine Sophie war von blühendster Frische und von der zartesten Färbung der Haut, sie hatte ein rundes Gesichtchen, weiches blondes Haar, welches in Ringellocken um das Engelsköpfchen fiel, und die herrlichsten dunkeln Augen, die man nur irgend sehen konnte; das kleine Mädchen mochte vier Jahre zählen, erschien aber im Wachsthum schon voraus und voll Anlage zu einem schlanken Wuchs. Sophiechen sprach blos Französisch. – Nur leise nippte Angés an dem perlenden Schaumwein, ihr ganzes Wesen erschien edel, zart, zaghaft, voll züchtiger Haltung, und dabei voll Hoheit und Tiefe des Gemüths und Charakters, obschon sie dies nicht in Worten kund gab. Sie saß vielmehr befangen bei den Männern, und machte sich, oft erröthend, viel mit dem Kinde zu thun. Das Gespräch lenkte sich der allernächsten Zukunft zu, oder vielmehr Leonardus lenkte es darauf hin, denn es wurde allgemach hohe Zeit, an dieselbe ernstlich zu denken.
Beim heitern Becher wird auch ein ernstes Wort nicht schaden, sprach er. Ludwig, mein Freund, mein Bruder, höre meine, höre unsere Bitte! Nimm dich dieser Verlassenen liebend und in Treue an, so lange ich in Amsterdam zu weilen gezwungen bin. Angés kennt mein ganzes Verhältniß, ich brauche nichts weiter zu erläutern. Auf dem Schiff kann sie nicht bleiben, ohne unserm guten Kapitän Ungelegenheiten zuzuziehen; daher vertraue ich sie dir, deiner Ehre die ihrige vertraue ich an, laß sie unter deiner Obhut wohnen, sage, daß sie deine Verwandte sei, deine Schwester, nimm sie in deinen ritterlichen Schirm und Schutz, Alles, was du für sie und dieses holde, verwaiste, mindestens so gut als verwaiste Kind aufwendest, will ich ja gern vergüten und vergelten. Ich hoffe fest, daß ich mich bald wieder werde befreien können, und dann dich freigeben. Du botest mir deine Dienste freiwillig an, guter Ludwig, zürne mir nun nicht, wenn ich die dargebotene Hand ergreife als den Rettungsanker meines sonst unfehlbar sinkenden Lebensschiffes. O geliebte Angés, theurer Fluit, helft mir ihn bitten!
O, wenn Sie wollten gütig gegen uns sein! sprach Angés mit Flötenlauten, und ihre Augen standen voll Thränen.
Bedarf es noch der Bitte? Bin ich von Stein? Gab ich nicht im Voraus mein Wort? fragte Ludwig mit edelmüthiger Aufwallung. Es bedarf ja nur der Angabe dessen, was ich thun soll und was ihr von mir wünscht, und ich vollbringe es mit Freudigkeit.
O, tausend Dank und tausendfache Vergeltung! riefen Leonardus und Angés, und der Kapitän brummte ein Bravo in den Bart, auf welchem einige Champagnerperlen glänzten, wie Morgenthau auf braunem Riethgras, und füllte