Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Bechstein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117993
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      Also ein Geheimniß? fragte der junge Graf gespannt und voll Antheils. – Dessen Schlüssel auch mir schon längst versprochen wurde! fügte Fluit hinzu.

      In der That, wenn ich es Ihnen mittheile, Herr Graf, so gebe ich Ihnen einen Beweis des unumschränkten Vertrauens, das Ihr ganzes offenes Wesen mir einflößt, sprach Leonardus Cornelius van der Valck weiter. Auch ich bin offen, entgegen dem Nationalcharakter meiner Landsleute, aber ich habe viele Reisen gemacht, und habe erfahren, daß Offenheit und Unbefangenheit weiter bringen als Verschlossenheit und heimliches Wesen. Vertrauen erweckt Vertrauen, und meist ist es der Jugend schönes Eigenthum und Vorrecht. Das Alter mag, das begreift sich wohl, mißtrauisch und sorgsam machen, und gerne stützt es und vertheidigt es seine Ansichten mit seinen Erfahrungen; diese Erfahrungen muß aber eben, meine ich, jedes Leben erst machen, damit es im Alter sich auf sie stützen und von ihnen reden könne.

      Es ist so, wie Sie sagen, Herr Leonardus! bestätigte der Schiffskapitän. Wer nichts erlebt und erfahren hat, der kann nicht sagen, daß er gelebt habe; und auch aus den Erfahrungen der Aelteren kann ein junger Mann Manches lernen, was er thun und was er meiden soll. Wir wollen erst unsere Kumme und unsere Gläser frisch füllen, und dann mag die Erzählung beginnen. – Das Schiff segelte mit frischem Winde durch das nur wenig und dazu gleichmäßig bewegte Meer und durch die kühle, wunderbare, sternenklare Nacht. Zur Rechten verlor sich der Blick in die Unermeßlichkeit, und man sah nicht, wo Himmel und Meer einander küßten, denn der Himmel warf die Abbilder seiner Sterne wie glühende Küsse in die Wogentiefe, und die goldenen Funken schienen sich freudehüpfend auf den silberkräuselnden Wellen zu schaukeln, die zugleich des Mondes Bild millionenfach gebrochen zurückblitzten. Zur Linken entragten die Inselflächen noch in Sicht des Schiffes, silberweiß stach ihr vom Mond scharf beleuchteter Dünensand von der dunkeln Nordseefluth ab, doch die Orte und Gehöfte darauf waren nicht mehr erkennbar. Die Inseln schienen wie silberne, riesige Nelumbiumblätter auf die Oberfläche gehoben, um im Mondstrahl träumend auf das Erscheinen der königlichen Blüthe zu harren. Nur wenig leuchtete das Meer, denn das eigentliche Leuchten desselben findet nur unter wärmeren Himmelsstrichen Statt, und der Ostwind ist demselben nicht günstig; dennoch schoß das Kielwasser von Zeit zu Zeit einen schnell verschwindenden Blitz von phosphorischem Schimmer, aber die hoch empor gespritzten Wasserstrahlen starker Tummler, die das Schiff auf weite Strecken und in großer Anzahl begleiteten, glichen im verklärenden Mondenglanze den tausend Springbrunnen eines morgenländischen Märchens.

      Mein Leben, begann jetzt bei frischgefülltem dampfenden Punschnapf Leonardus seine Erzählung: hat mich von früher Jugend an vielfach zu Wasser und zu Lande umhergetrieben. Ich machte als Knabe meine Schulen leidlich durch, und widmete mich dann der Kaufmannschaft mit angeborener Vorliebe, um so mehr, da sie mir jede Annehmlichkeit des Lebens, und durch meines Vaters günstige Verhältnisse eine glückliche und sorgenfreie Zukunft bot und noch bietet. Ich bin mit Wallfischfahrern in Island gewesen, und habe die eisumstarrten Küsten Grönlands und Spitzbergens gesehen; ich war in Stockholm und in Sanct Petersburg, und ebenso in London, Paris, Madrid und Lissabon; bald hatte ich in Geschäftsaufträgen unsers Hauses dieses, bald jenes unserer Schiffe zu begleiten, denn mein Vater wollte, ich solle recht viel erfahren, alle Handelsgeschäfte wie alle Waaren der verschiedenen handeltreibenden Nationen an ihren Stapelplätzen kennen lernen, und ich habe diesen Wunsch erfüllt, so weit es mir möglich war; ich bin auch in Konstantinopel und in der Levante, in Smyrna und in Tiflis gewesen. Mein Vater gibt mir selbst das Zeugniß, daß ich ein tüchtiger Kaufmann geworden sei. Ganz anders aber und ungleich mißlicher steht es um die Erfüllung eines zweiten Wunsches oder sogar Befehles meines verehrten Herrn Vaters. Derselbe sagte zu mir: Versprich mir, mein Sohn, über dein Herz zu wachen, keine Verbindung anzuknüpfen, die meine Pläne mit dir kreuzt, sonst betrübst du mich und gräbst dir die Grube deines Unglücks. Denn wisse, mein guter Sohn, daß ich für dich bereits gewählt habe, und zwar ein sehr liebes Kind, jetzt freilich noch im zarten Alter, das aber zur lieblichen Jungfrau heranblühen wird. Es ist die Tochter meines besten Freundes, du kennst ihn, kennst sie, sie ist die einzige Erbin, und deine Verbindung mit ihr wird der glücklichste der Tage sein, welche ich noch zu erleben hoffe.

      So sprach mein Vater, und ich, damals im neunzehnten Jahre stehend, kannte ja nicht die Zaubermacht der Liebe, und leistete unbedacht und unbedenklich das schwere Versprechen. Meine Braut zählte damals erst zehn Jahre und war in der That ein liebreizendes Kind, jetzt aber zählt sie zwanzig Jahre, und harrt vielleicht mit Trauer oder mit Ungeduld auf den die Welt durchschwimmenden Verlobten, und dieser – –

      Herr Gott! fuhr der Kapitän auf, Herr Leonardus! Und das Alles sagen Sie mir jetzt erst! Ach, das bringt mich um Ehre und Credit, schleudert mich vom sichern Steuerbord in die wogenden Wellen!

      Bleiben Sie ruhig, Kapitän! bat Leonardus. Sie mußten es endlich doch erfahren, daß Sie trotz Ihres beschworenen Eides und bester Ordnung Ihrer Papiere und Documente, dennoch eine sehr werthvolle Contrebande am Bord haben. Es ist eben die höchste Zeit, mich Ihnen, mein redlicher Freund, ganz zu entdecken, denn ich nahe der Katastrophe, und bedarf treuer, schützender Freunde. Der Befehl meines Vaters ruft mich nach der Heimath, dort harrt meiner die schöne, reiche Braut; unter allerlei Vorwänden entzog ich mich bisher der Heimkehr, ich kann es nicht länger thun, und Gott weiß, was nun werden soll! – Der Ton des Sprechenden, der erst so heiter erschienen war, wurde gegen das Ende seiner Rede kummervoll und beklommen, er senkte den Blick, starrte in sein Glas ohne zu trinken, und ein schwerer Seufzer entrang sich seinem Busen.

      Nur nicht muthlos, mein Herr van der Valck! ermunterte der Kapitän. Ich bin gerade so klug gewesen, wie einer dieser Tummler, die da mit uns schwimmen, habe nichts geahnet, bin Alles zufrieden gewesen, und werde bald genug, wenn uns kein rettender Gedanke einfällt, statt auf der Nordsee zu segeln, im schwarzen Meere der Tinte des Hauses van der Valck sitzen und in der Ungnade von Mynheer Adrianus.

      Ihre gegenseitigen Worte machen mich sehr gespannt darauf, Weiteres zu vernehmen, gab Ludwig in das Gespräch. Trinken wir einmal, Herr Reisegefährte! Sollte es mir vergönnt sein, Ihnen einen Dienst zu leisten, so rechnen Sie ganz auf mich; ich bin völlig unabhängig, Herr meiner Zeit, und wenn die Wechsel gut sind, auf die ich angewiesen bin, auch in diesem Punkt so gestellt, daß ich fremder Stützen nicht bedarf.

      Ich danke Ihnen tausendmal, mein junger edler Freund, für Ihren guten Willen! rief Leonardus mit Wärme, und drückte Ludwigs Hand. Vielleicht führte Sie zu meinem Glück der gütige Himmel uns zu. Hören Sie nun beiderseits weiter, was ich erlebte. – Eine Landreise führte mich im vorigen Sommer durch Frankreich in das Departement Sarthe und in dessen Hauptstadt le Mans; es war kein Vergnügen in Frankreich zu reisen, und ist es auch heute noch nicht, aber es galt, unserem Hause sicher angelegte Kapitalien zu retten, und dieselben nicht in Form der nichtsnutzen und völlig werthlosen Assignaten ausgezahlt zu erhalten. Ich vollbrachte mein Geschäft mit leidlich glücklichem Erfolg, weil die Vendée den Unsinn der Revolutionsgewalthaber nicht anerkannte, hatte aber Mühe genug, nicht für einen verkappten Franzosen gehalten und gezwungen zu werden, in Gemeinschaft mit den tapferen Vendéern, die sich wie ein Mann gegen die Republik und ihre Menschenschlächter erhoben hatten, die Waffen zu ergreifen. Es war im Monat September, und nach den glorreichsten Siegen warf ein grausames Geschick dennoch das Todesloos über das unglückliche Land und seine ihrem König und ihrem Glauben treuanhängliche Bevölkerung. Zwar erkämpften Elbée und Prinz Talmont noch einige dieser Siege, aber von Mainz rückte bald darauf die Garnison, welcher die Capitulation dieser Stadt eine anderweite Wirksamkeit versagte, sechzehntausend Mann stark aus und marschirte gegen die Vendée, und bald standen mehrere Heere vereinigt, die eine Armee von sechzigtausend Mann Linientruppen bildeten, welche Zahl noch durch die Nationalgarde aller Provinzen, durch die das Heer zog, vermehrt werden sollte. Es erfolgten, wie bekannt ist, die allerblutigsten Gräuel; die Vendée sollte ausgefegt werden, kein Alter, kein Geschlecht verschont bleiben, und also geschah es. Doch ich will ja nicht die Gräuel dieser scheuslichen Kämpfe schildern, sondern ein unverhofftes Glück, das mir der Himmel auf eine wunderbare Weise in den Schoos warf. Wieder kam eine Trauernachricht nach der anderen nach le Mans, der tapfere Prinz Talmont und sein Kampfgenosse d’Autichamps waren bei einem Angriff auf Doué, an der Spitze von fünfundzwanzigtausend Mann, geschlagen worden; ebenso vor Thuars General Lescure mit zehntausend, und das Schrecklichste stand bevor. Mit dem Gedanken