THE ASCENT - DER AUFSTIEG. Ronald Malfi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ronald Malfi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351943
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schlüpfte ich in meine Tennisschuhe und lief runter in die Lobby, um nach meiner Post zu sehen. Ich wühlte mich durch den üblichen Schrott an Werbeprospekten und Flyern mit einem Spendenaufruf. Nur ein Brief hob sich von der übrigen Post ab – ein weißer flacher Umschlag, wie er von Unternehmen verwendet wurde.

      Der Brief war in Australien zur Post gegeben worden und stammte von Andrew Trumbauer. Auf der Vorderseite wies der Umschlag den getrockneten Abdruck eines Stiefels auf. Das abgebildete Muster glich einer Formel aus geschwungenen Linien und kleeblattähnlichen Strukturen. Allein beim Anblick von Andrews Namen bekam ich ein flaues Gefühl im Magen.

      Ich ging mit dem Brief ins Filibuster, bestellte mir ein Glas Scotch, und setzte mich an denselben Tisch, an dem ich acht Monate zuvor mit Andrew saß. Ich musste dreimal aufs Klo, bevor ich das Glas leer getrunken hatte. Meine Hände zitterten unkontrolliert und auf meinem Gesicht hatten sich hektische Flecken gebildet. Mein Spiegelbild über der Spüle wirkte eingefallen, hager, und hatte etwas erschreckend Endgültiges an sich. Ich wurde an eine Geschichte erinnert, die ich mal gelesen hatte, über einen Mann, der ohne jede Erinnerung in einem Bus aufgewacht war. Plötzlich wünschte ich, mich ebenfalls nicht mehr erinnern zu können, aber ich konnte das heranstürmende Bild von Hannahs Todesfahrt nicht mehr aufhalten; wie David die Kontrolle über den Wagen verliert und über die Straße hinaus den Abhang runterschießt, Hannah im Beifahrersitz …

      Ich hatte zwei weitere Drinks intus, bevor ich den Brief öffnete. Es war mit derselben, kindlichen Handschrift verfasst, mit der er auch die kurze Notiz geschrieben hatte, die an den Granitblock geklebt war.

       Hör auf, Gespenster zu bekämpfen. Bitte, komm mit. A.T.

      »Arschloch«, brummte ich. Dem Brief beigelegt war ein Flugticket nach Kathmandu.

Zweites Buch

      Kapitel 5

      – 1 –

      Die Maschine landete auf dem internationalen Flughafen Tribhuvan in Kathmandu. Der Anschlussflug von London nach Nepal war lang und zermürbend gewesen und gezeichnet durch stundenlange, Übelkeit erregende Turbulenzen. Ich hatte versucht, während des Flugs zu schlafen, war aber nur in jene Dämmerzone hinabgeglitten, die mir noch von meinen Highschool-Tagträumen gut in Erinnerung geblieben war. Ich hatte damals den Kopf auf meinen Tisch niedergelegt und alle Geräusche um mich herum in meine Träume hinein verarbeitet.

      Nach der Landung trug ich mein Gepäck zusammen und sprang auf eine Tram, die sich ihren Weg durch kleinere Siedlungen und Höfe erklomm. Ich konnte die gewaltigen, unter einer Schneedecke bläulich schimmernden Berge sehen. Es war Anfang November und die Einheimischen zelebrierten die Hinduversion von Weihnachten – Dashain und Tihar, zumindest laut des Artikels, den ich während des Flugs in einem Magazin gelesen hatte.

      Ich fuhr durch Kathmandu und war enttäuscht, feststellen zu müssen, dass sich die kleine Stadt nicht wesentlich von anderen kleinen Städten überall auf der Welt unterschied und ebenfalls mit dem Fluch der Industrie und der Modernisierung zu kämpfen hatte. Ich konnte keine Magie oder Spiritualität entdecken.

      Seit unserer Begegnung im Filibuster hatte ich nicht mehr mit Andrew gesprochen. Etwa einen Monat nach dem Brief mit dem Ticket, erhielt ich ein weiteres Schreiben mit seinem Namen auf dem Umschlag. Dieses stammte aus Miami und enthielt mehr Details bezüglich der Expedition. Andrew hatte die für die Tour notwendigen Ausrüstungsgegenstände aufgelistet, die ich mitzubringen hatte, und zusätzlich war eine handgezeichnete Karte der umliegenden Dörfer dem Schreiben beigelegt gewesen. Auch den Namen der Unterkunft hatte er mir mitgeteilt. Das Zimmer hatte er bereits gebucht.

      Ich hielt es für anmaßend und provokant, so bevormundet zu werden, verfiel kurz in eine kindhafte Sturheit und entschied mich, nicht an der geplanten Tour teilzunehmen. Schließlich konnte ich nicht einfach meine Sachen packen, alles links liegen lassen und verschwinden. Trotzdem hatte ich es nicht fertiggebracht, das Ticket und den darauffolgenden Brief wegzuwerfen.

      Im Sommer erstickte ich regelrecht in der Wohnung. Die Skulptur wurde einfach nicht fertig und Hannahs Geist erschien mit einer unnachgiebigen, entnervenden Routine. Ihr Duft hing überall in der Wohnung und es gelang mir nicht, ihn loszuwerden. Selbst Räucherstäbchen führten zu keinem anhaltenden Erfolg: Nach zwei Tagen roch es in der Wohnung wieder nach ihrem Parfum.

      Zu dieser Zeit arbeitete Marta nicht mehr für mich. Ihre Entscheidung, keinen Fuß mehr in die Wohnung zu setzen, solange ich weiter vor mir hin gärte, war resolut, obwohl wir uns das ein oder andere Mal beim Lunch im City Dock Café über den Weg liefen. Ich erzählte ihr vom Geruch in der Wohnung und wie es mir immer schwerer fiel, darin zu atmen. Und auch von dem Flugticket nach Nepal, das mir Andrew hatte zukommen lassen, berichtete ich.

      »Gibt es jetzt überhaupt noch irgendwelche Zweifel, was du zu tun hast?«, fragte sie mich eines Nachmittags.

      Wir saßen im Café, aßen Club-Sandwiches und versenkten einen Mimosacocktail nach dem anderen. »Früher hast du dich schnell für solche Dinge begeistern können.«

      »Mein Bein«, erinnerte ich sie.

      »Ist inzwischen verheilt. Es ist nun über ein Jahr her. Du joggst jeden Tag fünf bis sechs Meilen. Rein körperlich bist du gut in Form. Geistig allerdings …« Sie zog die Schultern hoch.

      Natürlich hatte sie recht. Die Leere schien sich weiter in mir auszudehnen. Am Ende einer jeden Begegnung mit Marta hatte ich Angst, meine Wohnung zu betreten. Und natürlich verfluchte ich mich wegen meiner Rückgratlosigkeit.

      Als die Tram weiter ihrem Ziel entgegenholperte, lehnte ich mich zu meinem Sitzpartner – ein Inder, dem ein Büschel weißer Haare aus den großen braunen Ohren wuchs – und wollte von ihm wissen, ob er schon mal etwas über die Schlucht der Seelen gehört habe.

      Er antwortete zwar etwas, aber in seiner Sprache hätte es alles oder auch nichts bedeuten können.

      – 2 –

      Vierzig Minuten später war ich an der Hotelanlage angekommen, in der sich mein von Andrew gebuchtes Zimmer befand. Es war kühl, nicht kalt, und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke nach unten. Ein Geruch wie von Rauch lag in der Luft. Im Osten präsentierte sich der Himmel trüb und wolkenverhangen, im Westen hingegen strahlte er blau, frei von jeglicher Wolke, und die Sonnenstrahlen brachen sich auf den schneeverhangenen Gipfeln ferner Berge. Im Tal unten lag das Blätterdach des Waldes wie ein Baldachin über dem Land.

      Mein Zimmer mochte klein sein, die Ausstattung war jedoch ausreichend. Möbel im Alpenstil und mehrere Fenster, die Ausblick auf einen baufälligen Schuppen boten, sowie einigen getopften, immergrünen Sträuchern.

      Zwei junge Männer hatten mir mit dem Gepäck geholfen und ich bezahlte sie in Rupien, die ich vom Wechselbüro am Flughafen bekommen hatte.

      Mit der Trägheit von jemandem, der sich unter Wasser befindet, räumte ich mein Gepäck aus. Die Erschöpfung von der langen Flugreise machte sich langsam bemerkbar und meine Augenlider wurden immer schwerer. Letztendlich gab ich der Müdigkeit nach, stieg ins Bett und fiel für einige Stunden in den Schlaf.

      Als ich wieder erwachte, sah ich jenseits der Fenster eine schwarze Mauer. Ich duschte mich lange und ausgiebig und zog mir eine Cargohose sowie ein langärmeliges Hemd aus Baumwolle an. Bevor ich in die Nacht hinausging, schnappte ich mir noch das Buch über George Mallory, das ich mir gekauft hatte. Zu der Hotelanlage gehörten noch ein Hauptgebäude und mehrere kleinere Vier-Zimmer-Einheiten, die wahllos über das Gelände verstreut lagen. Die Bauten wirkten heruntergekommen und vernachlässigt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht billig waren. Andrew musste für diesen Trip ein kleines Vermögen hingeblättert haben.

      Ich trat in das Hauptgebäude und überquerte die Lobby zu einer gewundenen Eisentreppe, die nach unten zu einer weiteren Ebene des Gebäudes führte. Worauf ich stieß, war weniger eine Bar, als ein kleines Esslokal mit schummrigem Licht und einem langen Tresen, der sich über gesamte Breite einer Wand entlangzog und mit hölzernen Tischen und Stühlen ausgestattet