»Richtig, sonst hätte der Mörder der Frau ihn gleich mit umgebracht. Bleibt natürlich alles Spekulation, Rander. Was wirklich vorgefallen ist, könnte uns nur der Mörder sagen.«
Leutnant Current fuhr scharf und schnell. Da die Straßen um diese Zeit recht leer waren, konnte er auf das Tempo drücken. Immerhin brauchten sie mehr als eine halbe Stunde, bis sie das Gebiet der riesigen Schlachthöfe erreichten
Vor einem windschiefen, verlotterten Holzhaus parkten zwei Streifenwagen der Polizei, ein Krankenwagen und der Spezialwagen der zuständigen Mordkommission.
Current und Mike Rander sahen sich zuerst die ermordete Frau an. Sie war bereits vermessen, fotografiert und erkennungsdienstlich behandelt worden, wie es in der Fachsprache so kalt heißt. »Tut mir leid, mit diesem Gesicht weiß ich nichts anzufangen«, erklärte Mike Rander nach einem kurzen Blick auf die Tote. »Noch nie gesehen.«
»Mir geht’s auch so …!« stellte Leutnant Current fest. Er wandte sich an einen Detektivsergeanten. »Von mir aus könnt ihr sie wegschaffen lassen. Wo befindet sich das Scheckheft?«
Nun, es lag auf einem Tisch. Die Beamten hatten es aus dem Dachzimmer nach unten geholt.
»Tatsächlich, das ist Harrisons Unterschrift«, meinte Rander, nachdem er sich die vollgekritzelten Schecks ansah. »Entweder versuchte er sich in Unterschriften oder er war nicht ganz richtig im Kopf, als er die Vordrucke ausfüllen wollte.«
»Gehen wir nach oben, sehen Sie sich mal die vielen leeren Flaschen an«, schlug Current vor, »ein Wunder, daß Harrison noch nicht an Alkoholvergiftung gestorben ist.«
In der Dachkammer stellten Spurensicherer die Fingerabdrücke fest. Die leeren Flaschen boten sich dazu förmlich an. Mike Rander, der sich eine Zigarette angezündet hatte, blieb an der Tür stehen.
Er dachte an Joel Harrison, aber auch an Josuah Parker. Ob sein Butler bereits auf der richtigen Spur war? Ob er von diesem Holzhaus wußte, in dem Joel Harrison festgehalten worden war?
Current wurde abgerufen.
Unten im Treppenhaus unterhielt er sich mit einem Zivilbeamten, der einen Gegenstand aus seinem Taschentuch wickelte. Current starrte auf dieses Beweisstück.
Langsam drehte er sich um, rief Rander an.
»Kommen Sie runter«, bat er mit lauter Stimme. »Das hier wird Sie bestimmt interessieren.«
»Haben Sie was gefunden?«
Mike Rander stieg nach unten. Current öffnete die Hand und grinste dünn.
»Was sagen Sie dazu?« fragte er.
»Betrachten Sie sich mal den Schlüsselanhänger.«
Mike Rander legte den Kopf schief, um besser buchstabieren zu können.
»Verdammt«, erwiderte er langsam und nahm den Kopf wieder gerade. »Die Gravur auf dem Schlüsselschildchen lautet auf die Firma Harrison. Joel wird ihn verloren haben.«
»Nicht Joel … Sehen Sie genauer hin, Rander.«
Der Anwalt las noch mal, stutzte. Dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»Mrs. Harrison«, wiederholte er die Gravur auf dem schmalen Schlüsselschildchen. »Na, jetzt möchte ich nicht in der Haut von Gay Harrison stecken!«
»Kommen Sie mit, Rander?«
»Selbstverständlich. Sie wollen Sie unter Mordverdacht verhaften, wie?«
»Zumindest habe ich ihr einige verdammt unangenehme Fragen zu stellen, Rander …!«
Chris Downers, der Mann, der Joel Harrison festgehalten und unter Alkohol gesetzt hatte, saß in einer Kneipe und prüfte die allgemeine Lage.
Noch nachträglich wurde ihm heiß unter der Jacke. Um ein Haar wäre er der Polizei genau in die Arme gelaufen, als er zurück ins Holzhaus wollte.
Inzwischen wußte er mehr.
Was sich zugetragen hatte, war bis zu den neugierigen Menschen, also auch bis zu ihm, durchgesickert. Ira Hof des Holzhauses hatte die Polizei eine weibliche Leiche gefunden.
Er hatte sie nicht sehen können, konnte sich aber vorstellen, daß Helen Napers die Tote war.
Nun grübelte er darüber nach, was wohl passiert sein mochte.
Kann sein, sagte er sich, daß Harrison durchdrehte und sie umbrachte. Aber besitzt er überhaupt noch die Energie, solch eine Tat zu begehen? Kaum möglich …!
Wenn Joel Harrison es aber nicht war, wer kommt dann als Mörder in Betracht?
Blieb nur der Boß, für den er seit langer Zeit arbeitete. Der Boß mochte sich eingeschaltet haben. Hatte er Joel Harrison gleich mitgenommen? Warum mag er das getan haben?
Chris Downers kannte den Boß.
Noch wußte er nicht genau, ob er ihn anrufen sollte. Downers war vorsichtig und gerissen. Er hatte nicht die geringste Lust, seiner Freundin Helen in den Tod zu folgen.
Nach einem weiteren Whisky kam er zu einem Entschluß.
Ich werde zum Boß hinausfahren, überlegte er, aber ich pfeife ihm was und melde mich nicht vorher telefonisch an. Überraschend tauche ich bei ihm auf und rede mal deutlich mit ihm. Wenn er mich reinlegen will, muß er verdammt schnell sein. Lind ab sofort wird er auch mehr Geld spucken müssen, sonst lege ich ihm mal gründlich die Daumenschrauben an.
Downers zahlte, verließ die Bar und setzte sich in seinen Wagen.
Vielleicht war es sein Fehler, daß er die Lage zu harmlos beurteilte und sich für zu clever hielt …!
*
Josuah Parker schritt durch die Dunkelheit.
Sein Ziel war die hohe Mauer der Privatklinik des Doktor Givons. Ihr wollte er einen überraschenden und heimlichen Besuch abstatten. Bestimmte Verdachtsmomente warteten auf die Klärung. Dieser Besuch sollte dazu dienen.
Als er die Mauer erreicht hatte, entfaltete Parker eine äußerst zielstrebige Tätigkeit.
Zuerst einmal beschäftigte er sich mit seinem Universal-Regenschirm. Er schraubte den Schirmgriff aus dem Gewinde und löste ihn vom Stock.
Heraus rollte eine dünne, aber ungemein starke Nylonschnur, die am Griff befestigt war. Mit einer geschickten Wurfbewegung schickte er diesen jetzt lockeren Griff auf die Reise. Elegant segelte er durch die Luft und legte sich als eine Art Mauerhaken über die Krone der Steinmauer.
Alles Weitere war eine reine Spielerei.
Die Nylonschnur als Kletterseil benutzend, enterte der Butler die Mauer. Es verstand sich am Rande, daß er selbst während dieser Kletterpartie nichts von seiner Steifheit und angemessenen Würde verlor. Es war überhaupt ein Wunder, wie schnell und geschickt er dennoch die Mauer erstieg. Eine Kraftanstrengung sah man dem Butler nicht an.
Dieses Spiel wiederholte sich auf der anderen Seite noch mal. Nach der Landung auf dem Rasen verstaute Parker sein Kletterseil wieder im Schirmstock, schraubte den Griff auf und lustwandelte durch den weiträumigen, stillen Park.
Erleuchtete Fenster schimmerten durch das Gesträuch. Alles hier machte einen friedlichen und unverdächtigen Eindruck. Josuah Parker schlug einen weiten Bogen. Er wollte sich die beiden Seitentrakte ansehen.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.
Er hatte ein feines, scharrendes Geräusch gehört.
Ganz automatisch fiel seine Hand in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats. Sekunden danach baute sich vor ihm ein dunkler Schatten auf. Gereiztes Knurren deutete an, daß es sich um eine schwere und große Dogge handelte.
Das Her nahm Maß.
Josuah Parker ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Wenn er den Kriegspfad beschritt, war er für jeden Zwischenfall gewappnet. Auch jetzt