Die meisten der anwesenden Damen waren überzeugt davon, daß der Herzog von Southampton, dessen Familiensitz zusehends verfiel und der zudem noch hoch verschuldet war, nur zu gern bereit sein würde, seinen Adelstitel an eine Frau zu verkaufen, die reich und zudem noch Engländerin war.
Es war schließlich allgemein bekannt, daß er sich bereits nach einer reichen amerikanischen Erbin umgesehen hatte, die über den Atlantik kam, um sich einen adligen Gatten zu angeln.
Die wenigen Bewerberinnen, die einigermaßen gesellschaftsfähig waren, hatten angesehenere Herzoge vorgezogen, vielmehr hatten ihre Mütter das arrangiert.
Der absonderliche ungeschriebene Sittenkodex zur Zeit König Edwards sah vor, daß es Aufgabe der Mütter war, ihren Töchtern einen Gatten von möglichst hohem gesellschaftlichem Rang und Ansehen zu besorgen, sobald die Mädchen im heiratsfähigen Alter waren.
Wie die Töchter dazu standen, spielte nicht die geringste Rolle.
Während Susanna dem Gespräch lauschte, das sich um sie und ihre Zukunft drehte, mußte sie wieder einmal an May denken und daran, wie die Schwester ihr völlig verzweifelt das Herz ausgeschüttet hatte: „Ich kann ihn nicht heiraten, Susanna! Ich kann einfach nicht! Mir wird speiübel, wenn er mich anrührt!“
Nacht für Nacht hatte May sich bei ihrer Schwester ausgeweint. Sie hatte sonst niemanden gehabt, der ihr zugehört, geschweige denn, sie getröstet hätte. Daran hatte Susanna denken müssen, als sie ihre Schwester als Brautjungfer durch den Mittelgang der St.-Georges-Kirche begleitet hatte und mitanhören mußte, wie May mit versagender, tränenerstickter Stimme das Ehegelöbnis sprach.
Sie hatte ihren Schwager auch vom ersten Augenblick an verabscheut. Sein aufgedunsenes Gesicht zeugte von reichlichem Rotweingenuß, aber alle, selbst ihr Vater, priesen ihn als schneidigen Sportsmann und großartigen Schützen, und keiner kam jemals auf die Idee, May könnte eine andere Vorstellung von ihrem Zukünftigen gehabt haben oder den Marquis gar abstoßend finden.
Als ihre Schwester von der Hochzeitsreise zurückgekehrt war, mit bleichem Gesicht und glanzlosen Augen, da war sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihrer jüngeren Schwester gegenüber verschlossen gewesen.
Damals hatte Susanna sich hoch und heilig geschworen, sich niemals zu einer Ehe mit einem ungeliebten Mann zwingen zu lassen. Wie schwer man ihr das machen würde, wurde ihr in diesem Augenblick erst richtig klar.
Lady Lavenham herrschte mit eiserner Faust und unnachgiebiger Härte über ihren Gatten und ihre Kinder, an denen sie im Übrigen niemals viel Interesse bekundet hatte. Als sie noch klein waren, hatte ihre Mutter sie als störend empfunden, und jetzt als Erwachsene waren sie ihr lästig.
Es hatte sie daher mit großer Genugtuung erfüllt, ihrem Gatten nach den beiden ungewollten Töchtern noch einen Sohn und Stammhalter geschenkt zu haben. Doch gleichzeitig hatte sie kategorisch erklärt, damit sei Schluß mit dem Familienzuwachs.
Henry, der zur Zeit das Eton College besuchte, war ein hübscher kleiner Bursche und hatte auffallend viel Ähnlichkeit mit seinem Vater. In den Schulferien wurde ihm eine besondere Auszeichnung zuteil. Er durfte mit seiner Mama in der offenen Kutsche auf der berühmten Rotten Row im Hyde Park spazieren fahren.
In diesen Genuß war vorher auch May gelegentlich gekommen, während Susanna nie mitgenommen wurde.
Sie wußte genau, warum. Ihre Mutter fand sie häßlich und unbedeutend, und sie gehörte zu den Menschen, die niemals zugeben wollen, daß irgendetwas, das mit ihnen in Zusammenhang steht, nicht vollkommen ist.
Sie schämte sich ihres zweiten Kindes, und deshalb durfte Susanna so wenig wie möglich in Erscheinung treten und mußte sich immer im Hintergrund halten.
Von den Kindern erwartete sie, daß sie weder zu hören noch zu sehen waren. Als sie noch klein waren, brachte Nanny, das Kindermädchen, sie pünktlich zum Fünfuhrtee nach unten. Sie durften sich dann genau eine Stunde lang im Salon aufhalten.
Die Gäste ihrer Mutter gaben sich entzückt über die lieben Kleinen. Sie bekamen einen Schokoladenkeks und hatten dann still in einer Ecke zu sitzen, bis Nanny sie wieder holte.
Die ganze Prozedur hatte Susanna jedes Mal als äußerst peinlich empfunden, schon als ganz kleines Kind, und sie war ungemein erleichtert gewesen, als sie später ausgeschlossen wurde. Ihre Mutter hatte irgendwann entschieden, daß zwei Kinder im Salon zu viel wären und nur noch May nach unten zu kommen brauchte. In Wirklichkeit schämte sie sich ihrer zweiten Tochter, weil sie dick und häßlich war.
„Das ist unfair!“ hatte May sich wütend geäußert, während Nanny ihr eines ihrer hübschen Kleider überzog. „Ich darf nach unten, und Susanna guckt in den Mond!“
„Du kennst die Antwort darauf“, wies Nanny sie scharf zurecht. „Gehorche deiner Mutter und sorge dafür, daß sie stolz sein kann auf dich, sonst wird es dir noch leidtun.“
„Nichts wird mir leidtun. Ich wäre froh, wenn sie mich auch nicht sehen wollte“, murrte May und folgte Nanny mißmutig nach unten.
Susanna war ganz froh darüber, daß ihr das Theater im Salon erspart blieb.
Während ihres Aufenthalts in Lavenham Park in Hampshire galt die gleiche Anordnung. Ansonsten waren sie auf dem Lande viel glücklicher gewesen als in der Stadt. Hier fiel zumindest der Zwang weg, dem sie in London unterworfen waren. Sie durften auf ihren Ponys reiten, spielten Versteck und stibitzten Pfirsiche aus dem Gemüsegarten. Von den glanzvollen Gesellschaften, die ihre Mutter gab, bekamen sie kaum etwas mit, außer daß sie heimlich übers Geländer spähten, wenn der König vorfuhr.
Einmal hatte das Herrenhaus gleich drei Könige auf einmal zu Gast gehabt, und obwohl sie es als ihre patriotische Pflicht erachteten, König Edward zu bewundern, war ihr großer Schwarm doch der gutaussehende dunkelhaarige spanische König Alphonso gewesen.
Selbst im dritten Stock des Westflügels, wo die Kinderzimmer untergebracht waren, spürte man die Betriebsamkeit im Haus, die jedes Mal einem Besuch des Königs vorausging.
Da wurden die von ihm bevorzugten Auberginen angeliefert, Ingwerplätzchen aus Biarritz, ein besonderes Badesalz und die Lieblingszigarren. Einer der Räume im Haus wurde in ein privates Post- und Telegraphenamt verwandelt.
In Begleitung des Königs befanden sich Stallmeister, Kammerdiener, der Sekretär, Stallknechte und in der Jagdsaison Ladeschützen, Pferde und Hunde.
Ob nun drei Könige in Lavenham zu Gast waren oder gar keiner, Susanna hatte immer den Eindruck, daß es geradezu königlich zuging, wenn die Gäste ihrer Mutter sich zum Diner begaben.
Die zierliche Taille betont, die Schultern in Tüllwolken gehüllt, erstrahlte ihre Mutter im Glanz ihres Diamantendiadems, das ihr sorgfältig onduliertes Haar schmückte und mit dem Blitzen der diamantenbesetzten Schnallen ihrer eleganten seidenen Ballschuhe wetteiferte.
Die Damen in ihrem Gefolge waren genauso prächtig herausgeputzt, ohne auch nur im entferntesten an die Schönheit der Gastgeberin heranreichen zu können.
Es war unerläßlich, daß jeder der eingeladenen Herren seinen Kammerdiener mitbrachte und jede Dame ihre Zofe, die das lederne Schmuckköfferchen mit den in Goldbuchstaben aufgeprägten Initialen und dem Krönchen, das die vornehme Herkunft ihrer Herrin verriet, in der Hand hielt.
Wenn König Edward den Gastgebern die Ehre seines Besuchs erwies, dann rüsteten sich die Damen mit Diamanten, Diademen, Colliers, Ohrgehängen und Armreifen aus wie ein Ritter mit seinem Panzerhemd.
Im Haus, einschließlich dem Flügel, wo sich die Kinderzimmer befanden, wußte schließlich jeder, daß der König von jeder Dame in seiner Gesellschaft erwartete, daß sie im vollen Glanz ihres Schmucks erstrahlte, und seine scharfe Rüge, die er der Herzogin von Marlborough erteilt hatte, als sie statt mit einem Diadem nur mit einem Diamantenreif im Haar zu einem Galadiner erschienen war, besagte alles.
Susanna hatte May zugeschaut, als sie kurz nach der Rückkehr aus den Flitterwochen die Haven-Juwelen angelegt hatte.
Das