Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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Anfänglich war Xenia Alexandrowna ihm unangenehm gewesen. Als er aber die Leidenschaft entdeckte, welche diese abgestumpfte, zügellose Frauennatur für ihn gefaßt hatte, begann er einigen Anteil an ihr zu nehmen, das objektive Interesse, das der Anatom an den Zuckungen seines Objekts nimmt. Neugierig, wie sich die Sache entwickeln würde, sah er ihren Liebesleiden zu. Schließlich langweilte auch sie ihn – wie alles.

      Boris hatte seinen Sitz zum Diwan der Fürstin geschoben; ein Bein über das andere geschlagen, begann er, seine Zigarette rauchend, mit gedämpfter Stimme ein Gespräch.

      »Boris Alexeiwitsch!« sagte Xenia Alexandrowna.

      »Fürstin?«

      »Boris Alexeiwitsch, ich langweile mich.«

      »Xenia Alexandrowna, ich langweile mich.«

      »Welches Echo! Und so galant.«

      »Pardon! Aber ein Nihilist darf nicht galant sein.«

      »Pfui! Aber reden wir einmal ernstlich davon.«

      »Von der Langeweile?«

      »Von dem Nihilismus.«

      »Als Mittel gegen die Langeweile?«

      »Ein gefährliches Mittel.«

      »Das uns für immer um die Langeweile bringen kann.«

      »Ernstlich, ernstlich!«

      »Wie Sie befehlen!«

      »Können Sie wirklich ernsthaft sein?«

      »Es kommt auf das Thema an.«

      »Ich gebe Ihnen das Thema: Ist der Nihilismus wirklich eine solch ernsthafte Sache? Überall redet man darüber.«

      »Ja, wie von dem letzten Skandal der Stipani mit dem Grafen Worsky, wie von der Robe, die Sie gestern auf dem Balle der Prinzessin trugen.«

      »Ist das Ihre Ernsthaftigkeit? Jedenfalls ist sie amüsant.«

      » Merci.«

      »Wovon sprachen wir doch?«

      »Von der neuesten Mode.«

      »Das ist frivol.«

      Aber Xenia Alexandrowna lachte. Dabei wandte sie den Kopf, um Boris Alexeiwitsch ins Gesicht zu sehen; diese spöttische Laune stand ihm so gut. Je leichtfertiger er war, um so unwiderstehlicher fand sie ihn. So versuchte sie denn, die alberne Szene fortzuspielen.

      »Also sind Sie Nihilist aus Mode?«

      »Sollte ich es etwa aus Überzeugung sein?«

      »Zeigen Sie mir einen Nihilisten, aber einen echten.«

      »Mit Vergnügen, sogar ohne Entree. Aber Sie müssen Ihr Flakon gebrauchen.«

      »Warum?«

      »Weil der Mann aus Überzeugung nach Branntwein riecht.«

      »Sie könnten mich neugierig machen.«

      »Sie wissen doch, daß Nihilisten an nichts glauben?«

      »Das muß sehr bequem sein. Aber glauben sie wirklich an nichts?«

      »Die Männer an eure Reize.«

      »Und die Frauen an eure Treue.«

      »Gewiß nicht. Der Nihilismus erhebt den Wechsel zum Prinzip. Er ist sehr bequem.«

      » Mais c'est affreux.«

      »An eines, fällt mir ein, glauben auch die Nihilisten.«

      »Was ist das?«

      »An das Nichts.«

      »Ein unangenehmer Glaube.«

      »Wieso? An keine ewige Langeweile glauben zu müssen, ist Ihnen das unangenehm?«

      »Das ist zynisch.«

      »Das ist nihilistisch.«

      »So ist nihilistisch zynisch?«

      »Wohl möglich.«

      »Jetzt habe ich genug.«

      »Schon? Übrigens sind Sie zur Nihilistin verdorben.«

      »Weshalb?«

      »Weil Sie ästhetische Bedürfnisse haben. Das ist ganz gegen unsere Theorie.«

      »Muß denn eine Theorie immer gleich praktisch verwertet werden?«

      »Im Nihilismus entschieden. Was mich betrifft, so verkehre ich direkt mit dem Volk. Heißt das nicht ein Nihilist der Praxis sein?«

      »Sie werden dabei sicher praktisch verfahren.«

      »Das war boshaft.«

      »Es soll reizende Frauen unter den Nihilistinnen geben.«

      »Sie kennen uns.«

      »Monsieur – – «

      »Madame – – «

      Beide standen auf.

      »Nicht drei Sätze Französisch,« rief Boris triumphierend. »Was sind wir für Russen!«

      » Les vrais Slavophiles.«

      Ein Diener in altrussischer Tracht schlug die Portiere zurück und meldete mit leiser, singender Stimme: »Der Student Alexander Dimitritsch Russikow und die Bäuerin Wera Iwanowna Martjanow aus Eskowo bitten vorgelassen zu werden.«

      Anna Pawlowna hatte gerade das Buch aufgenommen und las so eifrig, daß der Diener seine Meldung wiederholen mußte.

      »Führe sie in das gelbe Zimmer,« erwiderte sie endlich und blätterte um.

      »Wer ist dieser Alexander Dimitritsch?«

      »Das müssen Sie meine Cousine fragen. Sie wird Ihnen antworten: Voilà, un homme.«

      »Vraiment?« meinte die Fürstin gedehnt und blickte nach Anna Pawlowna hinüber, welche, ohne eine Miene zu verziehen, nachlässig sagte: »Dieser Alexander Dimitritsch ist in der Tat – – «

      »Eine ehemalige Seele Anna Pawlownas,« fiel Boris Alexeiwitsch lachend ein. »In der Tat eine Seele, die ihr noch immer gehört, eine etwas plebejische Seele.«

      Anna Pawlowna runzelte die Stirn und fuhr, die Unterbrechung unbeachtet lassend, fort, wo sie aufgehört hatte.

      » – – Ist in der Tat einer von jenen jungen Leuten, welche das Unglück haben, eine große Leidenschaft zu fühlen und dabei keine Egoisten zu sein.«

      »Das heißt?« erkundigte sich die Fürstin, etwas unsicher, ob man sich nicht über sie lustig mache.

      »Das heißt,« demonstrierte Boris Alexeiwitsch mit einem zynischen Zucken seines schönen Mundes, »daß dieser Alexander Dimitritsch ein Nihilist ist.«

      »Ein Nihilist in deinem Hause! Aber du kompromittierst dich.«

      »Sie sollten sich den Mann ansehen,« riet Boris der Fürstin mit ungemeiner Höflichkeit.

      »Natürlich werde ich das!«

      »Er ist kein wildes Tier,« sagte Anna Pawlowna.

      Sie hatte den tiefen Ton in ihrer Stimme, den ihr Vetter so gern hörte; er liebte es, dem spröden Metall solche Funken zu entreißen.

      »Anna Pawlowna hält ihn für einen Mann,« warf er nachlässig hin.

      »Ah!«

      »Boris Alexeiwitsch beliebt es, anderer Ansichten zu fälschen,« erwiderte Anna Pawlowna, sich zur Fürstin wendend in ihrer kältesten Weise. »Dieser Student Sascha ist ein Gemüt voller Einfalt, Kindlichkeit und Uneigennützigkeit, eine Seele voller Glauben, Vertrauen und Hingebung, dabei – – «

      Sie suchte nach dem rechten Wort. Boris Alexeiwitsch fand es.

      »Voller Urkraft.«

      Er