Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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wir käuflich, alle sind wir da, um gekauft zu werden. Wir verkommen in Scharen – es braucht durchaus nicht immer auf der Gasse zu sein.

      Fort mit der Larve unseres Geschlechts!

      Ohne dieselbe werden wir die freien Genossinnen der Männer.

      Fordern sie von uns unsere Liebe, so fordern wir von ihnen einen Teil ihrer Arbeit.

      Gebt uns von eurer Arbeit!

      Ihr habt uns bis an den Rand des tiefsten Abgrunds geschleudert – erhebt uns! Erhebt uns so hoch daß unsere Stirne derselbe Glanz umleuchtet, den ihr bis dahin für eure Häupter allein beansprucht habt: gebt uns die Glorie der allgemeinen Gleichheit.

      Ihr schuldet sie uns!

      Wie das russische Volk in seiner vielhundertjährigen Knechtschaft ein starkes Volk geblieben, so blieben die Frauen in ihrer vieltausendjährigen Leibeigenschaft ein starkes Geschlecht. Laßt uns euch das beweisen. Eine kurze Zeit der Gleichberechtigung und wir werden euch gleich sein.

      Prüft uns!

      Verwendet unsere Leidenschaften zu größeren Zwecken; gestattet nicht mehr, daß wir Sklavinnen sind, und wir werden Heldinnen sein. Verbietet, daß wir uns für euch schmücken, und wir werden unser Haar abschneiden, unsern Körper in eine Zwilchjacke stecken und doch von euch schön gefunden und geliebt werden.

      Laßt uns euch voranstürmen. Wir werden nicht wanken und nicht weichen. Verfügt über uns!

      Sendet uns unter das Volk und laßt uns für die Sache Propaganda machen. Wir tun es mit Wonne. Schickt uns in die Kerker, in die Bergwerke, auf das Schafott. Wir werden glückselig sein. Ich sage euch noch einmal: Weil die Frau am tiefsten gesunken, muß sie sich am höchsten erheben.«

      Dieser Rede folgte eine solche Lautlosigkeit, daß man Nataliens rasselndes Atmen vernahm. Als sie auf ihren Stuhl zurücksank, stand Wera vor ihr, sah sie mit leuchtenden Augen an und faßte ihre beiden Hände, die sie heftig preßte.

      Natalia Arkadiewna flüsterte: »Wir wollen Freundinnen sein. Komm morgen zu mir. Ich habe dir vieles zu sagen.«

      Sie lächelte Wera zu und deutete auf Wladimir, der sich zum Reden anschickte.

      Er entwickelte den Revolutionsplan seiner Partei.

      Danach löste sich die Sitzung auf, die »Auferstandenen« gingen auseinander.

      Das mußte sehr vorsichtig geschehen. Einzeln verließen sie das Versammlungslokal; durch eine Tür und einen Gang, der in die Teestube führte. Wladimir und Sascha waren mit Wera und Natalia die letzten. Sie fanden die Gaststube bereits voller Arbeiter, die ihren Morgentrunk einnahmen; doch bekümmerte sich niemand um sie. Nur die Wirtin, ein großes, stattliches Weib, das sich mitten unter ihren Gästen das prächtige gelbe Haar auskämmte, blickte bei dem Eintritt der viere auf. Wera kam es vor, als sähe die Frau sie böse und feindselig an. Als Sascha an der Wirtin vorüberging, schlug ihm diese mit einem ihrer mächtigen Haarsträhne ins Gesicht, daß es laut klatschte. Sie tat es lachend, doch ihre dunklen Augen funkelten und ihr schöner Mund verzerrte sich. Gleichmütig nickte Sascha der Frau zu: »Du bist heute morgen bei guter Laune, Marja Carlowna. Die Heiligen bescheren dir einen gesegneten Tag.«

      »Kommst du diesen Abend herein, Brüderchen?« fragte die Wirtin mit rauher, gebieterischer Stimme. »Es gibt rote Rübensuppe.«

      Sascha antwortete nicht, Marja Carlowna begann hinter ihm her zu singen. Es klang wild und drohend.

      Zehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Kaum waren sie zum Hause hinaus, als Wladimir sich nach Sascha umdrehte und ihn anherrschte: »Daß du heute abend zu Marja gehst! Sie hat uns mit Gefahr ihrer Freiheit ihr Haus für unsere Zusammenkünfte gegeben, weil sie sich in dich vergafft hat. Untersteh dich nicht, sie zu vernachlässigen. Du kannst Marja Carlowna küssen und deswegen doch in Anna Pawlowna verliebt sein.«

      »Was sind das für Dummheiten,« murmelte Sascha und schielte scheu zu Wera hinüber. Diese blickte vor sich hin und sah bei dem fahlen Morgenlicht erschreckend bleich aus. Er näherte sich ihr; doch sie wich zurück.

      Wladimir wollte Natalia nach Hause begleiten; denn dieselbe schien mit ihren Kräften zu Ende und taumelte mehr als sie ging. Indessen da Wladimir sie ansprach, faßte sie heftig Saschas Arm und erwiderte mit abgewandtem Gesicht, sie habe bereits mit Sascha verabredet, daß dieser sie nach Hause bringe.

      Was ist das nun wieder? dachte Sascha, der von keiner Verabredung mit Natalia Arkadiewna wußte. Doch sagte er nichts; denn ihm fiel ein, daß Natalia Arkadiewna bei Anna Pawlowna wohnte. So schlug er denn mit ihr die Straße nach dem Kraßnajaplatze ein, nachdem Wera Natalia Arkadiewna hatte versprechen müssen, sie noch diesen Vormittag zu besuchen.

      Schweigend setzten die beiden anderen ihren Weg fort. Begierig atmete Wera die frische Morgenluft ein. Mehr und mehr nahm das Erlebte für sie die Gestalt eines Traumes an, aber es tat ihr leid, daß sie erwacht war. Sie mußte tief aufseufzen. Plötzlich fragte sie: »Sascha sagte mir, daß Boris Alexeiwitsch auch zu den »Unsern« gehöre. Ist das wahr?«

      »Ja.«

      »Warum war er nicht bei der Versammlung?«

      »Sehnst du dich nach ihm?«

      Er sah sie scharf an; mit einem bösen Lächeln um den Mund, der so rot und frisch war wie der eines Mädchens.

      Wera verstand ihn nicht. In ihrer ernsten und herben Weise entgegnete sie ihm: »Was mich Boris Alexeiwitsch angeht? Ich fragte dich nach ihm, weil es mich freuen würde, wenn er nicht mehr so hochmütig wäre und sich der Sache des Volks von Herzen annähme.«

      »Was schert Boris Alexeiwitsch die Sache des Volks?«

      »Wie?«

      »Aber freilich; die Sache des Volks kann unter Umständen selbst für einen Boris Alexeiwitsch ihre Reize haben. Wenigstens ist sie ihm neu. Und wem die Welt etwas so Altes ist, wie ihm trotz seiner achtundzwanzig Jahre, dem ist jedes Neue ein Leckerbissen. Wenn man sich die Delikatesse nur mit Gefahr seines Lebens gewinnen kann, so setzt man eben sein Leben an die neue Trüffelpastete. Übrigens hat er recht, du bist merkwürdig schön geworden. Er mußte das wissen.«

      »Warum war er heute nicht bei der Versammlung?« fragte Wera zum zweitenmal mit großer Heftigkeit.

      »Er glaubte dich noch nicht angekommen. Das nächste Mal ist er sicher dort.«

      Mit zuckenden Lippen rief Wera: »Was hat Boris Alexeiwitsch mit mir zu tun?« Sie fühlte ihre Wange brennen; dort hatte seine Peitsche sie getroffen.

      Wladimir ließ sich nicht aus seiner spöttischen Ruhe bringen.

      »Du bist stolz, mein Täubchen. Desto besser! Du wirst ihm sein Spiel schwer machen. Das gefällt mir! Gewinnen wird er es doch. Das ist gut für die Sache! Laß ihn zappeln. Er soll dich teuer erkaufen, er soll dem Volk für dich zahlen; entweder so oder so; entweder mit seinem Gelde, seinem Namen, seiner Ehre oder mit seinem Blut. Wir wollen ihm den Preis hoch setzen.«

      »Du bist betrunken,« sagte Wera kalt und ließ ihn vorausgehen.

      Anstatt die Richtung nach dem Prokowskykloster einzuschlagen, an dem vorbei ihr Weg in die Nowaja-Andronowska-Vorstadt führte, lenkte Wladimir seine Schritte der inneren Stadt zu. Bald befanden sich beide in demjenigen Teile Moskaus, wo die meisten Paläste liegen. Einige der hohen, prächtigen Gebäude waren noch strahlend erleuchtet. Vor den Portalen warteten die Equipagen in langer Reihe. An den beiden Fußgängern rollte eine Karosse vorüber, aus deren mit dunklem Samt ausgeschlagenen Kissen eine weiße Atlasrobe leuchtete.

      Wladimir ballte die Hand und schüttelte sie gegen die glanzvolle Gestalt.

      »Ihr seid schuld daran, ihr und euresgleichen! Von euch ist ausgegangen, was jetzt mit Schrecken und Entsetzen enden wird. Ihr verdarbt uns an Leib und Seele. Während ihr über uns