In Sagen und Geschichten erscheint der Wassermann in Gestalt eines alten Mannes mit grauer, grüner oder roter Kleidung. Er trägt langes Haar, hat grüne Zähne und spitze Ohren, manchmal hat er auch Füße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Er kann zwergenhaft klein sein oder als Riese erscheinen. In St. Egid am Neuwald in Niederösterreich dachte man sich den Wassermann als ein Ungeheuer, halb Fisch, halb Mensch, mit Binsen bekleidet und statt der Haare trug er Schilfblätter. Im Waldviertel und nördlich davon ist er eine kleine koboldartige Figur mit grünen Beinkleidern, grünem Frack und langen, flatternden grünen Haaren. In Österreich entlang der Donau erscheint er als Donaufürst mit blauen bis ins Wasser reichenden Haaren und einem langen Bart, er trägt einen purpurroten Mantel und eine goldene Muschelkrone auf dem Haupt. Am leichtesten ist der Wassermann, der sich gerne an Land unter die Bevölkerung mischt, an seiner Kleidung zu erkennen. Zwar kann er wie jeder Junker oder Bauer angezogen sein, ein untrügliches Zeichen für seine wahre Identität aber ist das Wasser, das beständig aus dem Saum seines Gewandes tropft.
Typisch für den Wassermann ist, dass er den Wein liebt. So lebte einst ein Wassermann im Schlossteich von Waasen bei Wildon in der Steiermark, der sich einen unterirdischen Gang zum Weinkeller des Schlosses gegraben hatte. Als es auffiel, dass der Wein in den Fässern immer weniger wurde, legte man sich auf die Lauer und konnte den betrunkenen Wassermann einfangen. Er wurde nach Graz gebracht, wo sich seine Spur verliert.
Die Wohnung des Wassermanns liegt im Wasser unter der Oberfläche von Teichen und Tümpeln, oder aber er wohnt unter einer einjochigen Brücke. Liegt sein Palast in einem See oder Teich, so ist dieser durchsichtig wie aus Glas mit vielen Zimmern. In der Mitte steht ein gewaltiger Kachelofen, auf dessen Vorsprüngen kleine Glasgefäße stehen. In ihnen bewahrt der Wassermann die Seelen der Ertrunkenen auf.
Manchmal strandet der Wassermann und kann nicht mehr von selbst in sein Reich zurückkehren, dann liegt er am Ufer seines Tümpels und muss die Vorbeigehenden bitten, ihn ins Wasser zu werfen. Wenn man das tut, so wird man in seinen Palast eingeladen und kann sich unter seinen Juwelen die schönsten Stücke aussuchen.
Es kommt auch vor, dass der Wassermann ein Mädchen einlädt, ihm in seinem Palast am Grunde eines Sees für ein Jahr zu dienen. So erzählt eine Geschichte aus Röhrawiesen in Niederösterreich, dass hier einst ein Wassermann in einem Tümpel hauste und eine Magd bat, ein Jahr lang für sein Haus zu sorgen. Am Ende des Jahres bot er ihr als Lohn den Kehricht an, den sie widerwillig in ihrer Schürze mit sich nahm, nur um an der Oberwelt festzustellen, dass sich der Schmutz in goldene Taler verwandelt hatte.
Wenn aber kein Mädchen freiwillig zu ihm kommen will, so scheut der Wassermann nicht davor zurück, sich ein solches mit Gewalt zu holen. Dann verfolgt er wie in einer Sage vom Wörthersee die Mädchen an Lande, um sie in seinen Seenpalast zu bringen. Retten kann man sich nur, wenn man sich in ein zu Neujahr geweihtes Haus oder in eine Kirche flüchtet.
Oft wohnt der Wassermann unter einer Brücke. Dies scheint mit der alten Vorstellung der Brücke als die Möglichkeit zur Überschreitung einer mythischen Grenze zu tun zu haben, quert man diese, so befindet man sich in einem gefährlichen Zwischenreich und ist für den Wassermann erreichbar. Deshalb muss man ihm vor dem Überschreiten der Brücke ein Opfer bringen oder die Brücke unter göttlichen Schutz stellen. Auf vielen Brücken steht daher der hl. Nepomuk, der die Reisenden beschützen soll. Die Römer kannten zum Schutz der Brücken als obersten sakralen Beamten den pontifex maximus, den »höchsten Brückenbauer«, der aber nicht nur für den Brückenbau verantwortlich war, sondern auch dafür, den Gott des überbrückten Flusses zu besänftigen und zu verehren. Auch Sagen von Teufelsbrücken, bei denen der Fürst der Hölle das erste Lebewesen verlangt, das die von ihm erbaute Brücke überschreitet, sind bekannt.
Der Wassermann ist gefährlich, er zieht den Unvorsichtigen, der dem Ufer zu nahe kommt, hinunter in sein Reich. Dazu legt er wertvolle Edelsteine oder bunte Bänder an den Ufern aus, um so die Menschen – oft sind es Kinder – anzulocken. Dann lässt er sie viele Jahre arbeiten und Dienste verrichten, und wenn sie dann von ihm freigelassen werden und wieder ans Tageslicht kommen, sind ihre Verwandten und Bekannten längst verstorben und niemand kennt sie mehr.
Zum anderen weiß der Wassermann viele Geheimnisse der Welt. Er kennt die Berge, die wertvolle Erze enthalten, er weiß Bescheid über die Bedeutung des Kreuzes in der Nuss und wo man den begehrten Karfunkelstein findet, außerdem kennt er das Geheimnis, wie man aus Milch Gold sieden kann.
Der Wassermann ist aber auch rachsüchtig. Als ihm einmal in Wessely an der March ein Fleischhauer beim Einkaufen die Hand abgeschlagen hatte, drohte er, dass er nie wieder über eine Brücke gehen oder über einen Fluss fahren dürfe, sonst würde etwas Schreckliches geschehen. Der Mann hielt sich viele Jahre daran, musste aber dennoch eines Tages die March überqueren und da hat ihn der Wassermann ins Wasser gezogen.
Oft findet sich der Hinweis, dass der Wassermann mit einem goldenen Kamm am Ufer sitzt, sich das Haar kämmt und so Macht über Menschen erhält. Dies dürfte mit den seit alter Zeit bestehenden Vorstellungen von der Macht des langen Haares, wie man es schon in der Bibel bei Samson findet, zusammenhängen. Auch in der nordischen und mittelalterlichen Sagenwelt lässt sich das Motiv wiederfinden. Zudem ist der Kamm ein Symbol des Wassers und wurde früher nicht nur mit den Pflanzen, sondern auch mit der Himmelsfeuchtigkeit gleichgesetzt. Es gibt den Glauben, dass es regnet, wenn sich eine Nixe oder ein Wassermann ihre Haare frisieren, und der Brauch, sich die Haare über einem Fluss zu kämmen, gilt als Opfer an tote Vorfahren.
Der Wassermann kann auch mit anderen dunklen Mächten im Bunde sein und hält sich gerne in Teufelsmühlen auf, wie in der von Stockerau. Hier briet ein Wassermann vor langer Zeit des Nachts immer seine Fische, was dem Müller gar nicht gefiel, und er dachte darüber nach, wie er den feuchten Gesellen loswerden könnte. Da kam eines Tages ein Bärentreiber mit seinem Tanzbären in die Mühle, und als des Nachts der Wassermann wieder seine Fische am Rost hatte, griff auch der Bär zu. Als der Wassermann sich wehrte, bekam er die Pranke des Bären zu spüren und floh. Am nächsten Tag fragte er den Müller: »Sag, hast du noch die große Katze?« und dieser antwortete geistesgegenwärtig: »Natürlich, und sie hat auch noch zwei Junge bekommen.« Seitdem ließ sich der Wassermann hier nicht mehr sehen.
Die Art, wie der Wassermann Menschen fängt, ist verschieden. An den Ufern der Flüsse und Bäche fährt er als kleiner Knabe einen Wagen, der voll ist mit bunten Bändern und Blumen. Mit diesen lockt er die neugierigen Kinder herbei und zieht sie mit sich ins Wasser. Zuweilen hat er über den Fluss ein Netz ausgespannt, welches so fein ist, dass man es mit freiem Auge nicht sehen kann, und wer sich in dasselbe verirrt, ist verloren. Am Freitag ruht sich der Wassermann von der Arbeit des Menschenfangens aus. Dieser ist der Feiertag des Wassermannes. Keines seiner vielen Netze hat er ausgespannt, um Beute zu erhaschen, sondern alle sind eingezogen. Er sitzt im hohen Gras und beschäftigt sich mit dem Ausbessern jener Netze, welche im Laufe der Woche Schaden genommen haben. Wenn er mit dieser Arbeit fertig ist, kämmt er seine langen, grünen Haare und wäscht und reinigt sich. Sodann legt er sich auf den Rasen, streckt sich aus und schläft bald ein. Die Leute sagen, dass am Freitag der Eingang in das Land des Wassermannes geöffnet sei und nicht bewacht werde.
Die bekannteste Wassermannsage in Österreich stammt aus der Steiermark und hat mit der Auffindung des Erzberges zu tun. Die zwischen den Ortschaften Hieflau und Eisenerz gelegene Schwarze Lacke, auch Wassermannsloch genannt, ist der Schauplatz. Dort sahen die Leute vor vielen hundert Jahren öfter einen Wassermann. Man glaubte, dass dieser große Schätze besitze, und aus diesem Grund versuchten ihn die Leute zu fangen. Er war aber sehr scheu und glatt wie ein Fisch und war mit bloßen Händen nicht zu halten. Also griff man zu einer List. Man stellte ihm Essen und Wein vor den Tümpel, und als er davon satt und betrunken war, konnte man ihn fangen und verlangte von ihm die Herausgabe seiner Schätze. Der Wassermann versprach ihnen aber:
»Nun wählet schnell auf dieser Stell’! Ein gold’ner Fuß, bald schwinden muss. Ein silbernes Herz, die Zeit verzehrt’s. Ein Eiserner Hut, hält lang und gut. Erwägt es klug, dann habt genug!«