„Ok. Wäre das geklärt. Bleibt die Frage, woher hat sie das Koks bekommen und wo ist es mit der Hefe gestreckt worden?“
Der Arzt zuckte mit den Schultern.
„Das zu beantworten liegt nicht in meiner Macht, Frau Brecht. Das müssen Sie schon selber herausfinden. Allerdings kann ich Ihnen da einen Rat geben, nur wenn Sie wollen, selbstverständlich.“
Cleo Brecht wollte. Sie wollte allerdings nicht lange darum bitten.
„Also. Schießen Sie schon los. Für fachlich fundierte Ratschläge habe ich immer ein Ohr.“
Der Mediziner war nun abermals beleidigt und fasste sich kurz.
„Der Stoff ist, lässt man das Streckmittel mal außer Acht, recht reiner Natur, um es mit verständlichen Worten zu sagen. Der Herstellung nach zu urteilen, tippe ich auf ein südamerikanisches Land. Vielleicht Chile!“
„Danke, Doc. Das hilft ungemein.“
„Jetzt möchte ich aber meinen …“
„… wohlverdienten Feierabend machen. Sie haben es gut. Mein Tag ist noch nicht zu Ende.“
4. Ein Unfall will nicht gelingen
Ernst Theodor zu Falkenstein saß nun schon eine geschlagene Stunde hinter dem Lenkrad seines Mercedes 300, der mittlerweile mit dreißig Jahren schon als Oldtimer galt. Er fuhr jedoch nicht, sondern stand auf einem Feldweg an dem höchsten Punkt der Landesstraße.
Er hatte als passionierter Jäger immer einen Flachmann dabei, der mit einem hochprozentigen Schnaps gefüllt war. Bisher hatte er nur zwei- oder dreimal einen kleinen Schluck daraus getrunken. Er hatte ihn immer bei sich, für den Fall, dass er sich mit anderen Waidmännern auf der Jagd befand, um sich auf einen gelungenen Schuss zuzuprosten. Nun nahm er einen vierten großen Schluck aus dem vergoldeten, etwas gebogenen Behälter. Der hochprozentige Marillenschnaps rann ihm die Kehle runter und erzeugte für einen Moment ein wohltuendes Gefühl. Dieses verschwand nach kurzer Zeit wieder und Ernst Theodor zu Falkenstein rannen Tränen die Wangen herunter. Er führte in letzter Zeit öfters Selbstgespräche und so sagte er leise zu sich selbst, dass es nun geschehen sollte.
Falkenstein war zweiundsiebzig Jahre alt und hatte vor zwei Wochen die Diagnose des Chefarztes der Uniklinik bekommen, die ihn dazu bewegte, seine Geschäfte zu ordnen und die seine Gedanken in die Richtung eines nahen Endes lenkte.
„Warum muss es mich treffen?“
Er sprach das aus, was sich wohl jeder in dieser Situation fragt.
„Aber ich will auf keinen Fall dahinvegetieren. Der Krebs hat sich schon durch meinen ganzen Körper gefressen. Ich hätte eher zu Arzt gehen sollen. Nun habe ich keine andere Wahl. Ich mache jetzt und hier Schluss!“
Er nahm einen weiteren Schluck aus dem Flachmann, der nur noch halb gefüllt war.
Anfangs hatte er die Zeichen der Krankheit nicht beachtet. Er hatte sie einfach weggewischt und so weitergearbeitet wie bisher. Dann hatte er große Schmerzen bekommen, die er mit starken Schmerzmitteln mehrmals am Tage bekämpft hatte, bis es zu feinmotorischen Ausfällen kam. Er hatte sich übergeben müssen. Erst dann war er zu einem Arzt gegangen, der die niederschmetternde Diagnose stelle. Der ihm aber auch gleich vorwurfsvoll erklärte, wenn er früher gekommen wäre, hätte man da noch etwas machen können. Nun sei es zu spät.
Bei einer früheren Jagd hatte er einst mit einem anderen Jäger diskutiert, wenn es mal so weit kommen sollte, dass er sich den Hintern nicht mehr selbst abputzen könne, dann würde er sich mit seinem Jagdgewehr erschießen.
Das hatte er auch vorgehabt. Vor drei Tagen hatte er sich in das Jagdzimmer seiner alten Villa begeben, den abgeschlossenen Waffenschrank geöffnet, die doppelläufige Flinte herausgenommen, mit zwei roten Schrotpatronen geladen, entsichert und die Züge gespannt. Den Doppellauf hatte er mit seinen Knien gehalten und das Kinn auf das Ende gestützt. Die Finger hatte er an den Doppelabzug gelegt, sie aber wieder schnell weggenommen.
Er konnte es nicht tun. Er hatte sich vorgestellt, wie seine hintere Kopfhälfte samt Hirn und Schädel an der Decke kleben würde.
Eine halbe Stunde lang war er in sich zusammengesunken und hatte bitterlich geweint.
Schlaftabletten nehmen konnte er ebenfalls nicht. Seine Mutter hatte sich einst mit solchen das Leben genommen. Im Traum sah er sie oft, wie sie ihn davor warnte, so aus dem Leben zu scheiden.
Später kam ihm die Idee, mit dem Auto gegen einen Baum zu fahren.
Wieder sprach er leise mit sich selbst.
„Wenn man im Blut einen gewissen Alkoholgehalt nachweisen kann, wird man glauben, es sei ein Unfall gewesen. Mich wird dann kein Mensch als Feigling, der seinem Leben ein Ende gesetzt hat, sehen. Das ist gut.“
Er war der aberwitzigen Annahme, dass er ein Feigling sei, wenn er sich seiner Krankheit nicht stelle.
Ernst Theodor zu Falkenstein setzte den Flachmann noch einmal an die Lippen und nahm einen letzten großen Schluck des wärmenden Getränkes. Er warf den Behälter auf den Beifahrersitz, wobei der letzte Rest sich auf das Polster ergoss.
Es wurde kalt im Auto und die Scheiben fingen an, zu beschlagen.
Er wartete noch einen Moment, bis der Schnaps wirkte und ihm etwas leichter ums Herz wurde. Dann startete er den Motor.
Falkenstein legte den Gang ein und fuhr auf die Landesstraße. Er gab Gas. Der Mercedes war immer gut gewartet worden und lief wie ein Uhrwerk. Er beschleunigte sofort von 0 auf 180.
Falkenstein hatte sich keinen Baum für den Aufprall ausgesucht, sondern die Betonmauer der Brücke, die über die Landesstraße führte und fünfhundert Meter weiter unten zu sehen war.
Die Brücke kam rasend schnell näher.
Da fiel ihm ein, dass er ja noch angeschnallt war. Da hätte er womöglich ja überleben können.
Schnell drückte er die rote Taste an der Lasche und der Gurt sprang aus der Verankerung. Im nächsten Moment kam der Brückenpfeiler auf ihn zugerast.
Nur fünf Meter vor der Brücke riss Falkenstein das Lenkrad herum und der Wagen schoss wenige Zentimeter an dem Betonpfeiler vorbei. Er trat das Bremspedal durch, die Reifen quietschten und er kam hundert Meter hinter der Brücke zum Stehen.
Er zitterte am ganzen Körper. Dann weinte er erneut.
Als ein Auto neben ihm hielt und eine Frau ausstieg, an seine Fensterscheibe klopfte und wissen wollte ob er verletzt sei, saß er nur starren Blickes da und weinte.
Die Frau rief mit ihrem Handy die Polizei. Zwanzig Minuten später fuhr ein Streifenwagen mit Wiesbadener Nummernschild vor und der Beamte der Schutzpolizei öffnete die Fahrertür.
Er bemerkte den Alkoholgeruch sofort und war verärgert.
„Hans, bring mal den Alkotester mit. Hier stinkt es wie im Wirtshaus.“
Ernst Theodor zu Falkenstein war jedoch nicht dazu zu bewegen, in das Mundstück des Testers zu pusten. Da half alles Zureden nicht.
Die Beamten hatten inzwischen die Personalien festgestellt und den Führerschein einbehalten.
„Herr