»Du kopfloses Ding,« rief die Wirthin ihr entgegen, »der Wind hat die Lichter ausgeblasen!«
Das Mädchen erklärte der Wahrheit vollkommen gemäß, daß die Thür geschlossen sei. Vielleicht würde ein böser Wortwechsel daraus entstanden sein, wenn Blanche nicht Mrs. Inchbare’s Aufmerksamkeit auf sich selbst gelenkt hätte. Das herbeigebrachte Licht zeigte, daß sie, die eben Anne umarmte, ganz durchnäßt war.
Mrs. Inchbare brachte sofort die dringende Frage eines von Blanche vorzunehmenden Kleiderwechsels auf’s Tapet und ließ Anne dadurch Zeit sich einen Augenblick unbemerkt im Zimmer umzusehen. Arnold hatte sich davon gemacht bevor die Lichter angezündet waren und während Blanche’s Aufmerksamkeit von dem durchnäßten Zustand der Kleider in Anspruch genommen war.
»Guter Gott! Ich triefe ja an allen Ecken und Enden und mache Dich, liebe Anne, eben so naß, wie ich es selbst bin; leihe mir etwas trockene Kleidung. Du hast nichts? Mrs. Inchbare, wissen Sie Rath zu schaffen – was soll ich thun? Mich zu Bett legen, bis meine Kleider getrocknet sind oder ein Anlehen bei Ihrer Garderobe machen, obgleich Sie reichlich anderthalb Kopf größer sind, als ich?«
Mrs. Inchbare ging sofort die besten Kleider ihrer Garderobe herbeizuholen.
Kaum war sie hinaus, als Blanche sich auch ihrerseits im Zimmer umsah. Der Zärtlichkeit war schon ihr Recht geworden, jetzt war die Reihe an der Neugierde.
»Im dunkeln Zimmer ist da Jemand an mir vorübergehuscht, war es Dein Mann? Ich sterbe vor Ungeduld, ihn kennen zu lernen, und beste Anne, wie heißest Du denn jetzt?«
Anne antwortete kalt: »Warte ein wenig, ich kann es Dir jetzt nicht sagen.«
»Fühlst Du Dich unwohl?«
»Ein wenig nervös.«
»Ist irgend etwas Unangenehmes zwischen Dir und meinem Onkel vorgefallen? Er war doch hier?«
»Ja!«
»Hat er Dir meinen Auftrag ausgerichtet?«
»Allerdings Blanche! Und darnach hast Du ihm Dein Wort gegeben, in Windygates zu bleiben. Warum, in’s Himmels Namen, kommst Du jetzt her?«
»Wenn Du mich halb so sehr liebtest wie ich Dich, so würdest Du mich nicht so fragen! Ich habe mir Mühe genug gegeben, mein Versprechen zu halten, aber ich konnte es nicht. Die Vorschrift meines Onkels erschien mir ganz plausibel, als er sie mir gab und so lange Lady Lundie wüthete, die Hunde bellten, die Thüren auf und zugeschlagen wurden, das ganze Haus in Aufruhr war, da hielt mich die Aufregung aufrecht; aber als mein Onkel fort war und der schrecklich trübselige, regnerische Abend herankam und Alles wieder ruhig geworden war, da konnte ich es nicht mehr aushalten; das Haus ohne Dich erschien mir wie ein Grab. Wenn Arnold bei mir gewesen wäre, hätte es gehen mögen, aber ich war ja ganz allein, denke doch, keine Seele mit der ich mich unterhalten konnte; es giebt nichts Schreckliches was Dir hätte begegnen können, wovon ich mir nicht einbildete, daß es Dir wirklich begegnet sei. Ich ging nichts Deinem leeren Zimmer und sah mich darin um; da stand mein Entschluß fest. Ich rannte von einem unwiderstehlichen Impuls getrieben, die Treppen hinunter – lief in den Stall und fand Jakob dort; ich sagte ihm: »Jacob, spanne den Ponywagen an, ich muß ausfahren, einerlei ob es regnet, Du gehst mit mir.« Jacob benahm sich wie ein Engel; er sagte, »wie Sie befehlen, gnädiges Fräulein!« Ich bin fest überzeugt, so würde er auch antworten, wenn man ihn fragte, ob er für mich sterben wolle. Jetzt trinkt er auf meinen ausdrücklichen Befehl ein Glas Grog um sich vor Erkältung zu schützen. In zwei Minuten war der Ponywagen angespannt und fort ging’s! Lady Lundie lag derweilen, von zu starkem Gebrauch von flüchtigem Salz erschöpft, auf ihrem Sopha ausgestreckt. Ich hasse sie! – Der Regen wurde immer schlimmer, aber ich kehrte mich nicht daran, so wenig wie Jacob und das Pony; Beide waren von demselben Geiste wie ich, beseelt. Als es zu blitzen und zu donnern anfing, waren wir schon näher an Craig-Fernie als an Windygates, und dazu kam, daß Du hier und nicht dort warst. Die Blitze waren wirklich fürchterlich auf der Haide. Hätte ich eines von den großen Pferden vor dem Wagen gehabt, würde es unfehlbar scheu geworden sein, aber das Pony schüttelte sein allerliebstes Köpfchen und lief ruhig weiter. Es bekommt aber auch jetzt sein Bier dafür, wenn es das getrunken hat, wollen wir uns eine Laterne geben lassen, in den Stall gehen und es liebkosen.« Inzwischen bin ich hier, liebes Kind, durchnäßt von einem fürchterlichen Gewitter, was mir aber ganz einerlei ist, und fest entschlossen, mir selbst Beruhigung über Deinen Zustand zu verschaffen, der mir ganz und gar nicht einerlei ist, und das muß und soll geschehen, ehe ich heute Abend zu Bett gehe.« – Mit Gewalt drehte sie Anne bei diesen Worten so, daß sie ihr bei dem Schein der Kerzen grade in’s Gesicht sehen konnte. Kaum hatte sie das gethan, als der Ton ihrer Stimme sich änderte: »Ich wußte es!« sagte sie. »Nie hättest Du ein so wichtiges Geheimnis; Deines Lebens vor mir geheim gehalten, nie hättest Du mir einen so kalten Brief geschrieben, wie Du ihn in Deinem Zimmer zurückgelassen hast, wenn Alles bei der Sache in Ordnung gewesen wäre. Das habe ich gleich gesagt und jetzt bin ich fest davon überzeugt. Warum hat Dein Mann Dich gezwungen Windygates Hals über Kopf zu verlassen? Warum huscht er in der Dunkelheit zum Zimmer hinaus, als ob er sich fürchte gesehen zu werden? Anne, Anne! was ist geschehen! Warum empfängst Du mich so?«
In diesem kritischen Moment erschien Mrs. Inchbare wieder mit den ausgewähltesten Kleidungsstücken die ihre Garderobe zu bieten vermochte. Anne war froh über diese Unterbrechung. Sie nahm die Lichter und ging voran in das Schlafzimmer. »Zieh erst Deine nassen Kleider aus, nachher wollen wir weiter reden,« sagte sie. Noch keine zwei Minuten hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, als an dieselbe geklopft wurde. Anne gab Mrs. Inchbare einen Wink, sich in ihrer Beschäftigung mit Blanche nicht zu unterbrechen, schlüpfte rasch in’s Wohnzimmer und schloß die Schlafstubenthür hinter sich. Sie fühlte sich unaussprechlich erleichtert, als sie den indiscreten Bishopriggs vor sich sah. »Was wollen Sie?« fragte sie.
Ein Blick aus Bishopriggs Auge genügte, um ihr zu sagen, daß er eine vertrauliche Mission an sie habe. Seine Hand zitterte, sein Athem duftete nach Branntwein. Langsam zog er einen kleinen Streifen Papier mit einigen darauf geschriebenen Zeilen aus der Tasche.
»Von ihm! Sie wissen schon,« erklärte er scherzend; »ein kleines Billetdour von Ihrem Liebsten! Ein arger Sünder Ihr Liebster. Die junge Dame im Schlafzimmer da, ist wohl die, um deretwegen er Ihnen untreu geworden ist. Mir ist die ganze Sache klar, Sie können mir kein X für ein U machen, ich war selbst in jüngeren Jahren ein schwacher Mensch; aber seien Sie ruhig, der Sünder ist wohl aufgehoben, ich habe bestens für seinen Comfort gesorgt. Ich handle väterlich an ihm, gerade wie an Ihnen. Bishopriggs kann man vertrauen, wenn eine kleine menschliche Schwäche ein Bischen geschont sein will!«
Während der Weise diese tröstlichen Worte sprach, las Anne die auf dem Papierstreifen stehenden Zeilen.
Sie waren von Arnold und lauteten so: »Ich bin im Rauchzimmer des Gasthofes, es hängt von Ihnen ab, ob ich dableiben soll; ich glaube nicht, daß Blanche eifersüchtig sein würde, wenn ich ihr meinen Aufenthalt hier im Gasthofe erklären könnte ohne das Vertrauen, das Sie und Geoffrey in mich gesetzt haben, zu verrathen. Wenn es nach mir ginge, würde ich gleich zu ihr gehen. Das Verstecken ist mir fürchterlich, aber doch möchte ich um keinen Preis Ihren Zustand noch schlimmer machen, als er ist. Denken Sie zunächst an sich selbst, ich gebe es Ihnen anheim; Sie brauchen dem Ueberbringer nur zu sagen, »warten« und ich weiß, daß ich hier bleiben soll, bis ich Weiteres von Ihnen höre Anne sah von dem Papier auf.
»Bitten Sie ihn zu warten!« sagte sie, »bis ich ihm etwas Weiteres sagen lasse.«
»Mit den besten Grüßen und Küssen,« fügte Bishopriggs als nothwendigen Commentar der Botschaft hinzu. »O, für einen Mann von meiner Erfahrung ist das ja das einfachste von der Welt. Sie können keinen besseren Vermittler haben, als Ihren ergebenen Diener Sam Bishopriggs. Ich verstehe Sie Beide aus dem Grunde.«
Dabei legte er seinen Zeigefinger an seine feurige Nase und ging davon.
Ohne einen Augenblick länger zu zögern, öffnete Anne