In dem Augenblick, wo Hester das Zimmer verließ, trat Lady Lundie’s Kammerjungfer ein.
»Gehen Sie zu Miß Blanche und bitten Sie diese zu mir zu kommen, warten Sie einen Augenblick« – sie hielt inne und ging mit sich zu Rath. Blanche konnte sich weigern, sich die Einmischung ihrer Mutter gefallen zu lassen, es konnte möglicher Weise nothwendig werden, die Autorität ihres Vormundes in Anspruch zu nehmen.
»Wissen Sie, wo Sir Patrick augenblicklich ist?
»Ich hörte Simpson sagen daß Sir Patrick nach den Ställen gegangen sei, gnädige Frau!«
»Lassen Sie Sir Patrick durch Simpson sagen, ich bäte ihn freundlichst gleich zu mir zu kommen.«
Eben waren die Vorbereitungen für die Abreise nach dem Jagdschlößchen getroffen und es fragte sich nur noch, ob Sir Patrick die Gesellschaft würde begleiten können, als der Diener mit der Botschaft seiner Herrin erschien.
»Wollen Sie mir eine viertel Stunde Zeit gönnen, meine Herren?« fragte er. »Nach Verlauf dieser kurzen Frist werde ich bestimmen können, ob ich mitgehen kann oder nichts« Es versteht sich von selbst, daß die Gäste sich bereit erklärten zu warten; die Jüngeren unter ihnen brachten als Engländer natürlich die kurze Muße damit zu, darauf Zu wetten, ob Sir Patrick sich werde losmachen können, oder ob man ihn im Hause festhalten werde; auf das letztere wurde Zwei gegen Eins gewettet.
Genau nach Verlauf einer viertel Stunde erschien Sir Patrick wieder. Die häuslichen Verhältnisse hatten das blinde Vertrauen, welches Jugend und Unerfahrenheit auf ihre Macht gesetzt hatten, getäuscht, Sir Patrick hatte sich frei gemacht.
»Die Dinge sind soweit in Ordnung«, sagte Sir Patrick, »daß ich im Stande bin, mit Ihnen zu gehen. Es giebt zwei Wege nach dem Jagdschlößchen; der eine längste führt an dem Gasthof von Craig Fernie vorüber; ich muß Sie bitten, diesen Weg mit mir zu nehmen. Dort muß ich auf einige Augenblicke absitzen um im Gasthof mit Jemanden ein kurzes Wort zu reden. Sie reiten inzwischen ruhig weiter.«
Es war Sir Patrick gelungen, Lady Lundie und auch Blanche zu beruhigen, und zwar Beide durch das feste Versprechen, das er Jeder von ihnen besonders gegeben hatte, statt ihrer nach Craig-Fernie zu gehen und persönlich dort Anne Silvester aufzusuchen. Ohne Weiteres bestieg er nun ein Pferd und die Jagdpartie verließ unter seiner Anführung Windygates.
Der Gasthof
Neuntes Kapitel.
Anne
»Ich muß Ihnen nochmals bemerken, Madame, daß das Haus bis auf diese beiden Zimmer hier besetzt ist«, so sprach Mrs. Inchbare, die Wirthin des Gasthofes von Craig Fernie zu Anne Silvester, die, die Börse in der Hand, in dem einen der beiden Zimmer stand und sich erbot für beide Zimmer im Voraus zu bezahlen.
Es war Nachmittags, ungefähr um dieselbe Zeit, wo Geoffrey Delamayn den Zug nach London bestiegen und wo Arnold Brinkworth den Weg über die Haide eingeschlagen hatte, um sich nach Craig Fernie zu begeben.
Mrs. Inchbare war eine hagere, lange, respectabel aussehende Frau. Ihr häßliches Haar hing ihr in dünnen strohfarbigen Locken um den Kopf; sie trug ihre harten Knochen wie ihr hartes Puritanerthum ohne den leisesten Versuch, etwas davon zu verbergen, zur Schau; mit einem Wort, sie war eine entsetzlich respectable Frau, die mit stolzem Selbstgefühl einen entsetzlich respectablen Gasthof hielt. Sie hatte keinerlei Concurrenz zu befürchten; sie konnte ihre Preise und ihre Hausordnung nach Belieben feststellen. Wenn einmal Einer gegen ihre Preise oder ihre Hausordnung remonstrirte, so stellte sie es ihm einfach frei, anderswohin zu gehen, das heißt mit andern Worten, sich als ein heimathloser Wanderer in der unbarmherzigen schottischen Wildniß umherzutreiben. Das Dorf Craig Fernie bestand aus einem Haufen elender Hütten. Meilenweit umher war in der ganzen Gegend auf Berg und Haide kein zweiter Gasthof zu finden und kein Mensch kam überhaupt in den Fall, in dieser Gegend Schottlands Nahrung und Obdach von Fremden zu begehren, als hülflose englische Touristen. In dem ganzen weiten Reich der Hotel-Besitzer gab es keine unabhängigere Person als Mrs. Inchbare. Als unumschränkte Beherrscherin ihres einsamen Gasthofes war sie für das sonst wirksamste Schreckmittel aller Hotelbesitzer, das Schreckmittel einer ungünstigen Besprechung in den Zeitungen, vollkommen unempfindlich. Wenn es einem Gaste einmal zu arg wurde und er drohte, ihre Rechnung in den öffentlichen Blättern abdrucken zu lassen, erklärte Mrs. Inchbare, das möge er in Gottes Namen thun. »Schicken Sie die Rechnung wohin Sie wollen, wenn Sie sie nur bezahlen. So etwas wie eine Zeitung kommt nie über meine Schwelle. In Ihrem Zimmer finden Sie das alte und das neue Testament und im Frühstückszimmer die Naturbeschreibung von Perthshire und wenn Ihnen diese Lectüre nicht genügen sollte, so reisen Sie ruhig wieder ab und suchen sich anderswo etwas Besseres zu lesen.«
Das war der Gasthof, in welchem Anne Silvester allein, mit keinem weiteren Gepäck als einer kleinen Handtasche absteigen wollte; das war die Frau, deren Abneigung, sie bei sich aufzunehmen, Anne naiv genug war mit ihrer Börse überwinden zu wollen.
»Bitte, nennen Sie mir den Preis, ich bin bereit, ihn im Voraus zu bezahlen.«
Ihre Majestät Mrs. Inchbare würdigte der Börse keines Blickes.
»Die Sache ist die, Madame«, antwortete sie, ich kann Ihr Geld nicht nehmen, wenn ich Ihnen die verlangten Zimmer im Hause nicht geben kann. Das Craig Fernie Hotel ist ein Familien-Hotel und hat für die Aufrechthaltung seines guten Rufes zu sorgen.
Sie sehen mir viel zu gut aus, mein liebes Kind, um allein zu reisen.«
Es gab eine Zeit, wo Anne eine solche Bemerkung gebührend zurückgewiesen haben würde. Die harte Nothwendigkeit ihrer gegenwärtigen Lage machte sie jetzt geduldiger.
»Ich habe Ihnen schon gesagt«, erwiderte sie, »daß mein Mann mir noch heute hierher folgen wird« – und bei diesen Worten seufzte sie schwer und sank, unfähig länger zu stehen, in den nächsten Stuhl.
Mrs. Inchbare empfand bei ihrem Anblick gerade so viel Mitleid, wie sie geäußert haben würde, wenn ein verlaufener Hund mit wunden Füßen vor ihrer Thür niedergefallen wäre.
»Nun, lassen Sie es gut sein, bleiben Sie eine Weile hier und ruhen sich aus, dafür nehmen wir nichts und wir wollen dann sehen, ob Ihr Mann kommt, ich möchte lieber ihm als Ihnen die Zimmer vermiethen und somit guten Morgen!«
Mit dieser schließlichen Kundgebung ihres königlichen Willens zog sich die Beherrscherin des Gasthofes zurück; Anne antwortete nichts. Sie wartete bis die Wirthin das Zimmer verlassen hatte und that sich dann nicht länger Gewalt an. In ihrer Lage mußte sie jeden gegen sie ausgesprochenen Argwohn doppelt als eine Beleidigung empfinden. Heiße Thränen der Scham entrannen ihren Augen und ein furchtbares Herzweh bemächtigte sich ihrer. Plötzlich hörte sie ein kleines Geräusch im Zimmer; sie stutzte, sah aus und entdeckte in einer Ecke des Zimmers einen Mann, der die Möbel vom Staube reinigte und offenbar ein Kellner im Wirthshause war. Er hatte sie bei ihrer Ankunft in das Wohnzimmer geführt und sich daselbst bis zu diesem Augenblick so ruhig verhalten, daß sie ihn gar nicht gewahrt hatte.
Es war ein alter Mann, mit einem blinden und verschleierten und einem thränenden, munter blickenden Auge, mit kahlem Kopf, gichtischen Füßen, einer Nase, die mit Recht als die größte und rötheste von ganz Schottland berühmt war, und einem Munde, den die milde Weisheit des Alters in einem sanften Lächeln geheimnißvoll umspielte.
In der Berührung mit dieser verderbten Welt zeigte er in seinem Wesen die glückliche Mischung zweier Extreme, der vollkommensten Unabhängigkeit und der demüthigsten Servilität, deren nur ein Schotte fähig ist. Eine ungeheure natürliche Unverschämtheit, welche die Leute amüsirt, aber nicht verletzt, und eine unberechenbare Schlauheit, die sich gewöhnlich hinter der Doppelmaske einer eigenthümlich vorurtheilsvollen Befangenheit und eines trockenen Humors verbirgt, war die solide moralische Grundlage, auf welcher der Charakter dieses alten Mannes beruhte.
Keine noch so große Quantität