»Sir Patrick,« sagte er warm, »wenn mein armer Vater Ihren Rath befolgt hätte, würde er es sich zweimal überlegt haben, bevor er sein Vermögen beim Rennen verspielt hätte.....«
»Und er wäre vielleicht noch jetzt unter uns, und nicht als Verbannter in einem fremden Lande gestorben,« sagte Sir Patrick, den von Arnold begonnenen Satz vollendend »Reden wir nicht mehr davon, sondern von etwas Anderem.«
»Lady Lundie hat mir kürzlich über Sie geschrieben sie theilte mir mit, daß Ihre Tante gestorben sei und Ihnen ihr Gut in Schottland hinterlassen habe. Ist dem wirklich so, dann wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück.«
Aber warum sind Sie hier zum Besuch, statt auf Ihrem Gute nach dem Rechten zu sehen? Freilich ist es nur dreiundzwanzig Meilen von hier entfernt und Sie wollen wohl noch heute mit dem nächsten Zuge hinreisen? Recht so! Wie, und dann wollen Sie übermorgen wiederkommen? Aber warum denn das? Vermuthlich fesselt Sie etwas hier? Sie sind sehr jung, Sie sind Versuchungen aller Art ausgesetzt. Sind Sie denn ein leidlich verständiger Mensch? Wenn Sie einen soliden Grund von gesundem Menschenverstand haben, so verdanken Sie das nicht Ihrem armen Vater! Sie müssen noch ganz jung gewesen sein, als er die Aussichten seiner Kinder zerstörte. Womit haben Sie Ihre Zeit seitdem hingebracht? Was war Ihre Beschäftigung, als das Testament Ihrer Tante Sie für Lebenszeit zu einem Müßiggänger machte?«
Diese Fragen hatten etwas Inquisitorisches, aber Arnold beantwortete sie, ohne einen Augenblick zu zaudern und sprach mit einer Einfachheit, durch die er sich sofort Sir Patricks Herz gewann.
»Ich war auf der Schule zu Eton, als die Verluste meines Vaters ihn ruinirten; ich mußte die Schule verlassen und mir selbst mein Brot verdienen, und ich habe das sauer genug bis zu diesem Tage gethan. Ich habe auf Kauffahrteischiffen als Seemann gedient.«
»Kurz, Sie haben das Unglück wie ein braver Kerl getragen und das Ihnen zugefallene Glück reichlich verdient«, entgegnete Sir Patrick, »geben Sie mir die Hand, Sie gefallen mir! Sie sind nicht wie die andern jungen Leute in unsern Tagen; ich will Sie bei Ihrem Vornamen nennen, aber Sie dürfen das nicht erwidern und mich Patrick nennen wollen, denn ich bin zu alt dazu. – Nun, wie gefallen Sie sich hier? Was ist meine Schwägerin für eine Art Frau und wie finden Sie das ganze Haus?«
Arnold brach in lautes Lachen aus.
»Das sind sonderbare Fragen aus Ihrem Munde an mich gerichtet, Sie sprechen ja, als ob Sie hier fremd wären!«
Sir Patrick drückte auf die Feder in der Krücke seines elfenbeinernen Spazierstockes. Ein kleiner goldener Deckel flog auf und es zeigte sich eine kleine im Innern verborgene Schnupftabacksdose. Er nahm eine Prise und lachte satyrisch in sich hinein über eine ihm durch den Kopf fahrende Idee, die er seinem jungen Freunde mitzutheilen nicht für nöthig hielt.
»Sie finden, daß ich wie ein Fremder rede«, nahm er wieder auf, »das bin ich auch. Lady Lundie und ich stehen in freundschaftlichem brieflichen Verkehr, aber wir gehen verschiedene Wege und sehen uns so selten wie möglich.«
»Meine Lebensgeschichte«, fuhr der liebenswürdige alte Herr mit einer reizenden Offenheit fort, welche alsbald alle Schranken der Verschiedenheit des Alters und Standes zwischen ihm und Arnold hinwegräumte, »ist nicht ohne Aehnlichkeit mit der Ihrigen, obgleich ich alt genug wäre, Ihr Großvater zu sein.«
»Ich verdiente mir mein Brod als schottischer Advocat, als sich mein Bruder zum zweiten Male verheirathete. Als er starb, ohne einen Sohn zu hinterlassen, avancirte ich plötzlich in der Welt wie Sie. Hier bin ich zu meinem eigenen aufrichtigen Bedauern als der jetzige Baronet, Ja, ja, zu meinem aufrichtigen Bedauern. Alle Arten von Verantwortlichkeit, an die ich nie gedacht hatte, werden mir jetzt aufgebürdet, ich bin das Haupt der Familie, der Vormund meiner Nichte. Ich muß hier bei diesem Gartenfeste erscheinen und fühle mich, unter uns gesagt, so vollständig aus meinem Element gerissen, wie es ein Mensch nur sein kann. Unter all’ diesen eleganten Leuten finde ich keinen einzigen, der mir gefällt »– Kennen Sie irgend Jemand hier?«
»Ich habe einen Freund hier in Windygates, der ebenfalls diesen Morgen angekommen ist,« antwortete Arnold, – »Geoffrey Delamayn!«
Bei diesen Worten erschien Miß Silvester in der Thür des Garten-Pavillons. Ihr Gesicht überflog etwas wie Verdruß, als sie den Platz besetzt fand, sie verschwand unbemerkt und schlüpfte wieder zu den Spielenden hin.
Jetzt sah Sir Patrick den Sohn seines alten Freundes auf einmal mit dem Ausdruck vollständiger Enttäuschung an.
»Die Wahl Ihres Freundes überrascht mich etwas,« sagte er.
Arnold faßte die Worte arglos als eine Aufforderung zu einer näheren Mittheilung auf. »Ich bitte um Vergebung«, sagte er, »die Sache hat durchaus nichts Ueberraschendes. Wir waren vor Jahren Schulkameraden in Eton, und seitdem begegneten wir uns einmal, als ich mit meinem Schiffe und Geoffrey mit seiner Yacht fuhr. Geoffrey hat mir das Leben gerettet, Sir Patrick«, fügte er mit einer Stimme und einem Blick hinzu, in dem sich die höchste Bewunderung für seinen Freund aussprach»»wenn er mich nicht gerettet hätte, so wäre ich bei einem Schiffsunfall um’s Leben gekommen! War das nicht ein guter Grund, ihn zu meinem Freunde zu machen?«
»Das kommt ganz darauf an, wie hoch Sie Ihr Leben schätzen.«
»O«, antwortete Arnold, »natürlich sehr hoch!«
»Wenn das der Fall ist, so sind Sie allerdings Mr. Delamayn zu Dank verpflichtet und in seiner Schuld —«
»Die ich nicht wieder abtragen kann.«
»Die Sie aber noch einmal mit Zinsen abtragen werden, wenn ich mich noch irgend wie auf menschliche Charaktere verstehe«, entgegnete Sir Patrick in einem sehr zuversichtlichen Tone.
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Delamayn – gerade wie kurz vorher Miß Silvester – in der Thür des Garten-Pavillons erschien; auch er verschwand unbemerkt, wie Miß Silvester, aber sehr Verschieden von den Empfindungen dieser, fühlte sich der »ehrenwerthe« Geoffrey bei der Entdeckung, daß der Pavillon besetzt sei, sichtlich erleichtert.
Dieses Mal hatte Arnold die Sprache und den Ton Sir Patrick’s richtig aufgefaßt und unternahm eifrig die Vertheidigung seines Freundes.
»Sie sagen das in einem etwas bittern Tone,« bemerkte er, »was hat Geoffrey Ihnen zu Leide gethan?«
»Mir zu Leide gethan? er hat die Prätension zu existiren«, antwortete Sir Patrick »Erschrecken Sie nicht, ich spreche im Allgemeinen. Ihr Freund ist das Muster eines jungen Engländers unserer Tage und ich liebe diese Gattung nicht. Ich habe keinen Sinn für, den Enthusiasmus, mit dem man sie als ein herrliches nationales Product feiert, weil sie groß und stark ist, und das ganze Jahr hindurch kalte Sturzbäder nimmt, ohne sich Schaden zu thun. Nach meiner Ansicht werden die rein physischen Eigenschaften, welche die Engländer mit den Wilden und Thieren theilen, viel zu hoch geschätzt, und die schlimmen Resultate jener falschen Bewunderung fangen schon an, sich zu zeigen; wir sind geneigter als je, Allem, was in unsern nationalen Sitten roh ist, die Zügel schießen zu lassen, und Alles zu entschuldigen, was in unsern nationalen Handlungen gewaltsam und brutal ist. Lesen Sie doch unsre beliebtesten Schriftsteller, gehen Sie an die öffentlichen Vergnügungsorte, Sie werden überall auf eine Abnahme der Achtung vor den feineren Sitten des civilisirten Lebens und auf eine wachsende Bewunderung alles Oberflächlichen stoßen.«
Arnold hörte dem alten Herrn mit unverhohlenem Erstaunen zu: er hatte die unschuldige Veranlassung bieten müssen, Sir Patric’s Gemüth von einem Protest gegen eine Richtung unserer Zeit zu befreien, den er schon lange mit sich herum getragen hatte.
»Wie heiß nehmen Sie die Sache, Sir Patrick!« sagte Arnold mit rückhaltslosem Erstaunen.
Sir Patrick nahm sich sofort wieder zusammen.
»Beinahe so heiß,« erwiderte er, »wie