»Magst Du ihn leiden?« fragte Teresa dann.
»Ich weiß nicht«, gab Zo wiederum zur Antwort.
Ovid und seine Cousine hatten das, was in einiger Entfernung von ihnen vorging, beobachtet und Benjulia’s Größe sowie seine augenscheinliche Vertraulichkeit mit dem Kinde hatten die Neugier der Letzteren erregt.
Da Ovid einem Gespräche über denselben abgeneigt schien, so machte sich Miß Minerva mit größter Zuvorkommenheit nützlich, nannte Carmina den Namen des Mannes und beschrieb ihn als einen von Mrs. Gallilee’s alten Freunden. »In den letzten Jahren«, so fuhr sie fort, »soll er seine ärztliche Praxis aufgegeben haben und sich mit chemischen Experimenten beschäftigen. Es scheint aber Niemand viel über ihn zu wissen. Er hat sich auf einem einsamen Felde in irgend einer verlorenen Vorstadt – Niemand weiß wo «– ein Haus gebaut; kurz, Doctor Benjulia ist eine geheimnißvolle Persönlichkeit.«
Als Carmina dies hörte, wandte sie sich wieder an Ovid.
»Wenn mir Räthsel aufgegeben werden«, sagte sie, »kann ich nicht eher ruhen, bis man sie für mich gerathen hat; und ebenso, wenn ich von Geheimnissen höre, habe ich gleichfalls nicht eher Ruhe, bis sie offenbart sind. Sie sind selbst Arzt; erzählen Sie mir mehr davon!«
Ovid wäre vielleicht der Bitte durch eine Entschuldigung aus dem Wege gegangen, wenn ihre Augen nicht so unwiderstehlich gewesen wären: ihr Blick machte ihn auf der Stelle nachgiebig.
»Doctor Benjulia ist was wir einen Spezialisten nennen«, sagte er. »Er behandelt nur gewisse Krankheiten, die des Gehirns und der Nerven. Ohne seine ärztliche Praxis ganz aufzugeben, beschränkt er sich auf ernste Fälle – wenn die anderen Aerzte in Verlegenheit sind, wissen Sie, und seine Hilfe begehren. Mit dieser Ausnahme hat er allerdings seine Berufsinteressen seiner Manie für chemische Experimente geopfert. Was das für Experimente sind, weiß Niemand außer ihm selbst. Den Schlüssel zu seinem Laboratorium trägt er Tag und Nacht bei sich und besorgt die Reinigung dort selbst.«
Mit athemlosem Interesse hörte Carmina zu: »Hat noch Niemand in die Fenster gesehen?« fragte sie.
»Es sind keine Fenster in den Wänden – nur ein großes Oberlichtfenster.«
»Kann man nicht auf das Dach kommen und durch das Fenster sehen?«
Ovid lachte. »Einer seiner Diener soll es einmal versucht haben.«
»Und was hat er gesehen?«
»Eure große weiße Gardine, die keinen Blick in das Innere des Zimmers gestattete. Der Doctor entdeckte aber den Mann und entließ ihn auf der Stelle. Natürlich laufen Gerüchte um, die das Geheimniß des Doctors und seines Laboratoriums erklären. Das eine besagt, daß er Versuche entstelle, um gewöhnliche Metalle in Gold zu verwandeln; ein anderes, daß er irgend eine explosive Verbindung erfände, die so furchtbar zerstörend wirken soll, daß sie jedem Kriege ein Ende machen würde. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wenn ich ihn zufällig treffe, sein Geist noch ebenso vollständig mit Gehirn und Nerven beschäftigt zu sein scheint wie je. Was die aber mit in der Einsamkeit angestellten chemischen Experimenten zu thun haben können, das ist mir ein Räthsel, auf das ich bis soweit noch keine« Antwort gefunden habe.«
»Ist er verheirathet?« forschte Carmina.
»Sie meinen, wenn Doctor Benjulia eine Frau hätte«, erwiderte Ovid, den die Frage zu amüsieren schien, »so könnten wir hinter seine Geheimnisse kommen? Leider haben wir diese Aussicht nicht, denn er besorgt seinen Haushalt selbst.«
»Hat er denn auch keine Haushälterin?«
»Auch das nicht!«
Indem sah er den Doctor langsam auf sie zukommen. »Entschuldigen Sie mich für eine Minute«, sagte er; »ich will nur eben mit ihm sprechen und komme sogleich zurück.«
Ueberrascht wandte sich Carmina an Miß Minerva.
»Ovid scheint irgend welchen Grund zu haben, den großen Menschen von uns fern zu halten. Mag er ihn nicht leiden?«
Die Gouvernante hätte durch eine scharfe Antwort ihren Haß gegen Carmina befriedigen können, aber sie hatte – nach dem, was sie im Gewächshause gehört und was sie hier gesehen – ihre Gründe, Carmina’s Vertrauen und den Einfluß einer Freundin über sie zu gewinnen zu suchen, und benutzte sofort die Gelegenheit.
»Ich kann Ihnen mittheilen, was ich selbst beobachtet habe«, sagte sie vertraulich. »Man gestattet mir, zugegen zu sein, wenn Mrs. Gallilee Gesellschaften giebt – um die Größen der Wissenschaft zu sehen. Bei einer solchen Gelegenheit sprach man über Instinct und Vernunft und Ihr Cousin, Mr. Ovid Vere, meinte, es sei nicht leicht zu entscheiden, wo der Instinct aufhöre und die Vernunft begönne. Er habe in seiner Praxis Leute von schwachem Verstande gefunden, die durch den Instinct geleitet, zu gesünderen Schlüssen gekommen seien, als ihnen an Intelligenz weit Ueberlegene durch Vernunft. Das Gespräch nahm dann eine andere Wendung – und bald darauf gesellte sich Doctor Benjulia zu den Gästen. Ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß Mr. Gallilee viel von seinem Stiefsohne hält?«
Carmina bejahte. »Ich mag Mr. Gallilee sehr gern leiden«, setzte sie warm hinzu; »er ist ein so netter, gutherzigen natürlicher alter Herr.«
Miß Minerva verbarg ihren Spott unter einem Lächeln und stimmte Carmina bei. »Der Doctor begrüßte den Hausherrn und die Hausherrin«, fuhr sie dann fort, »und schüttelte Mr. Ovid die Hand, dann versammelten sich die Männer der Wissenschaft alle um ihn und führten ein gelehrtes Gespräch. Mr. Gallilee kam, etwas unruhig aussehend zu seinem Stiefsohn und sagte flüsternd – Sie kennen seine Weise, nicht wahr? – Magst Du Doctor Benjulia leiden, Ovid? Ich hasse ihn; aber sprich nicht davon! Das war eine harte Sprache im Munde Mr. Gallilee’s, nicht wahr? Als Mr. Ovid zurückfragte, weshalb er ihn hasse, antwortete er wie ein Kind: »Weil ich es eben thue.« Dann kamen einige Damen herein und der alte Herr verließ uns, um mit denselben zu sprechen. Ich wagte, Mr. Ovid zu fragen, ob das Instinct oder Vernunft wäre, und er antwortete, die Frage ganz ernst nehmend: »Instinct, und es benuruhigt mich.« Ich überlasse es Ihnen, Miß Carmina, sich daraus Ihre Schlüsse zu ziehen.«
Beide sahen auf. Ovid und der Doctor entfernten sich langsam von ihnen und gingen gerade an Teresa und dem Kinde vorbei. In demselben Augenblick trat einer der Wärter an Doctor Benjulia heran, sprach einige Worte mit ihm und entfernte sich dann wieder, und gleich darauf kam Zo, die Alles gehört und theilweise verstanden hatte, auf Carniina zugeeilt, um ihr die Neuigkeiten, die sie erfahren, mitzutheilen.
»Hier im Garten ist ein kranker Affe, der einen Raum ganz für sich hat«, rief die Kleine. »Und sieh’ da!« Dabei zeigte sie aufgeregt auf Benjulia und Ovid, die wieder langsam auf die Vogelhäuser zukamen. »Da ist der große Doctor, der mich immer kitzelt! Er hat gesagt, er wollte den armen Affen sehen, sobald er noch einige Worte mit Ovid gesprochen habe. Und was meinst Du, hat er noch gesagt? Er werde vielleicht den Affen mit nach Hause nehmen.«
»Was dem armen Geschöpfe wohl fehlen mag?« fragte Carmina.
»Nach dem, was Mr. Ovid uns» erzählt hat, glaube ich, es zu wissen«, antwortete Miß Minerva. »Doctor Benjulia würde sich nicht für den Affen interessieren, wenn derselbe nicht eine Gehirnkrankheit hätte.«
Capitel XIII
Obgleich Ovid versprochen hatte, unverzüglich wieder zu Carmina zurückzukehren, so vergingen doch Minuten und Doctor Benjulia hielt ihn noch immer durch seine Unterhaltung fest.
Jetzt, wo der Doctor sich nicht mehr in seiner Weise damit amüsierte, die kleine Zo zu Mystifizieren, schienen sich die Linien seines mürrischen braunen Gesichtes zu verhärten. Gewissenhaft höflich wie er war, blieb er doch immer kalt dabei und wartete stets, bis man ihm die Hand schüttelte und bis er angeredet wurde. Doch heute hatte er etwas zu sagen, und änderte sofort das Thema, nachdem Ovid die Conversation begonnen hatte.
»Was führt Sie hierher nachdem zoologischen Garten, Benjulia?«
»Einer der Affen hat ein Gehirnleiden bekommen, und man glaubte, daß ich das Thier vielleicht gern sähe, ehe es getödtet würde. Haben Sie letzthin