Bis jetzt rührte sich in der Nordvilla noch Nichts. Ich ging weiter bis über die letzten Häuser hinaus und kam in jenes eintönige freie Feld, welches die Umgebung von London bildet.
Ich bemühte mich, an das Mittel zu denken, welches ich anwenden mußte, um Margarethen zusehen und zu sprechen, ehe ich wieder nach, Hause zurückkehrte.
Als aber eine halbe Stunde auf diese Weise verflossen war, kehrte ich ohne Plan und ohne eine bestimmte Idee nach dem Square zurück, war aber nichtsdestoweniger entschlossen, eine Unterredung mit ihr zu haben.
Die Gartenthür der Nordvilla stand jetzt offen. Eine Dienerin des Hauses stand auf der Schwelle, athmete die frische Morgenluft und schaute sich ringsum, ehe sie ihre gewohnte Arbeit begann.
Ich trat näher, entschlossen, mich ihrer Dienste, wo nicht durch Ueberredung, durch ein Geldgeschenk zu versichern. Sie war jung – dies, war schon ein Umstand zu meinen Gunsten – munter und drall, und schien mir ganz besonders nicht gleichgültig gegen die Wirkung zu sein, sie hervorbringen könnte, was ein zweiter günstiger Umstand war. Sobald sie mich näher kommen sah, und fuhr sich rasch mit der Schürze übers das Gesicht, gerade wie ein Meubleshändler einen Tisch oder eine Kommode abwischt, wenn er einen Käufer kommen sieht.
»Steht Ihr ins Mr. Sherwin’s Diensten?« fragte ich, als ich bis an die Gartenthür gelangt war.
»Ja, als Köchin Sir« antwortete die Gefragte, indem sie sich nochmals mit ihrer Schürze das Gesicht rieb.
»Jhr würdet ohne Zweifel Euch sehr wundern, wenn ich Euch bäte, mir einen großen Dienst zu leisten.«
»Das ist allerdings wahr – ich kenne Sie gar nicht – aber dennoch – ich weiß nicht –«
Sie schwieg und trug die Operation, welche bis jetzt auf ihr Gesicht beschränkt gewesen, auf die Arme über.
»Ich hoffe, daß wir einander nicht mehr lange fremd sein werden. Wie wäre es, wenn ich die Bekanntschaft mit Euch damit begänne, daß ich Euch sagte, Euer Gesicht würde sich noch viel hübscher ausnehmen, wenn Ihr Bänder von lebhafterer Farbe trüget, und Euch bäte, einige dergleichen zu kaufen, bloß um zu sehen, ob ich nicht Recht habe?«
Indem ich dies sagte, drückte ich ihr ein Geldstück in die Hand.
»Sie sind sehr freundlich, Sir, und ich danke Ihnen,« entgegnete sie lächelnd und rückte ihre Haube ein wenig. »Haubenbänder sind aber das Letzte, was mir in einem Dienste wie der meinige erlauben würde zu kaufen. Unser Herr ist hier Herr und er hat Damen, und ich glaube, er machte uns toll durch den Lärm, den er über Hauben und Bänder zu schlagen versteht. Er ist ein so strenger Mann, daß wir hier die Hauben so tragen müssen, wie er es will. Es ist schon unangenehm, wenn eine Dame sich um die Haubenbänder einer armen Dienerin kümmert; aber einen Herrn zu haben, der in, die Küche herunterkommt – doch ich brauche Ihnen dies weiter nicht zu sagen mein Herr. Ich danke Ihnen aber für Ihr Geschenk und bin Ihnen sehr. verbunden.«
»Ich hoffe, es wird dies nicht das letzte Mal sein, daß ich Euch ein Geschenk mache. Ich komme nun auf den Dienst, um den ich Euch ersuchen möchte. Könnt Ihr ein Geheimnis bewahren?«
»Und ob, Sir! Ach, wie viele Geheimnisse hab’ ich schon bewahrt, seitdem ich unter den Leuten bin!«
»Schön; ich möchte nämlich Gelegenheit finden, Miß Margarethen zu sehen und unter vier Augen mit ihr zu sprechen; aber man dürfte ihr kein Wort vorher davon sagen – versteht Ihr mich?»
»Ach Sir, das kann ich nicht wagen!«
»Nun, errathet Ihr denn nicht, warum ich Euere junge Dame sehen möchte und was ich ihr zu sagen habe?«
Die Köchin lächelte und schüttelte verlegen den Kopf.
»Es ist möglich, daß Sie sich in Miß Margarethen verliebt haben, Sir; aber so Etwas werde ich nicht thun. Ich wage es nicht.»
»Nun gut, aber wenigstens könnt Ihr mir sagen, ob Miß Margarethe alle Tage einen Spaziergang zu mache pflegt?«
»Ja Sir, sie geht fast alle Tage aus.«
»Ihr begleitet sie wohl alle Mal, wenn sie ohne ihre Eltern in die Stadt geht?«
»O, ich bitte, fragen Sie mich nicht!« rief die Köchin mit kläglicher Miene, indem sie zugleich verlegen die Zipfel ihrer Schürze durch die Finger zog.« »Ich weiß gar nicht, wer Sie sind, und Miß Margarethe weiß es sicherlich auch nicht. Ich kann Ihnen Nichts sagen, Sir – fragen Sie mich nicht,« »Na, seht mich doch an! Sehe ich wohl aus wie ein Mensch, der Euch oder Eurer jungen Herrin etwas Uebles zufügen möchte? Bin ich ein gefährlicher Mensch, dem man sich nicht anvertrauen kann? Würdet Ihr auf mein Wort glauben, wenn ich, Euch ein Versprechen,gäbe?«
»Ja, Sir ganz gewiß könnte ich Vertrauen zu Ihnen haben. Sie sind ja schon so gütig gegen mich gewesen!
»Nun, dann nehmt an, daß ich Euch ersten verspreche, Miß Margarethen kein, Wort davon zu sagen, daß ich mit Euch von ihr gesprochen, und zweitens, daß ich wenn Ihr mir gesagt haben werdet, zu welcher Stunde Miß Margarethe mit Euch ausgeht, nur in Eurem Beisein mit ihr sprechen und sie verlassen werde; sobald Ihr mir einen Wink gebt. Wenn ich Euch dies Alles verspreche, werdet Ihr dann nicht wagen, mich ein wenig zu unterstützen?«
»Nun, dann freilich wäre die Sache etwas Anderes. Aber, sehen Sie, ich fürchte mich gar so sehr vor unserm Herrn. Wollen Sie nicht lieber erst mit diesem sprechen?«
»Denkt Euch einmal an Miß Margarethens Stelle! Würdet Ihr es wohl gern sehen, wenn man Euch mit Erlaubniß Eures Vaters den Hof machte, ohne vorher Euern eigenen Willen befragt zu: haben? Würdet Ihr einen Heirathsantrag wie eine Botschaft durch Vermittlung Eures Vaters gemacht haben wollen? Gesteht mir einmal offen – würde so Etwas Euch gefallen?«
Sie lachte und warf auf sehr ausdrucksvolle Weise den Kopf empor. Ich merkte, daß ich mit diesem letzten Argument die richtige Stelle getroffen hatte, und wiederholte:
»Denkt Euch also an Miß Margarethens Stelle.«
»Still, still! sprechen Sie nicht so laut!« hob das Mädchen in leisem, vertraulichem Tone wieder an. »Ich bin überzeugt, daß Sie ein ganz solider, anständiger Herr sind und daß Sie ehrenwerthe Absichten haben – ich möchte Ihnen. auch gern behilflich sein, aber ich wage es nicht, denn –«
»Ihr seid ein gutes Mädchen,« entgegnete ich. »Sag mir bloß, zu welcher Stunde Miß Margarethe heute ausgeht und wer sie in die Stadt begleitet.«
»Ach, es ist sehr Unrecht von mir, wenn ich es sage, aber ich muß. – Doch still, still! Unser Herr steht jetzt auf – ach, mein Gott, wenn er an das Fenster käme und uns sähe! – Nun, so hören Sie – sie wird heute Vormittag gegen elf Uhr mit mir auf den Markt gehen. Es ist dies seit voriger Woche alle Tage geschehen. Unser Herr liebt diese Gänge nicht, aber Miß Margarethe hat ihn so lange gebeten, bis er ihr die Erlaubnis dazu gegeben hat. Sie sagt sie würde ja niemals fähig sein, zu Heirathen, wenn sie sich nicht von den Dingen der Wirthschaft unterichtete, wenn sie nicht den Preis der Waaren, den Unterschied zwischen guten und schlechten Fleische und Alles, was sonst noch dazu gehört, kennen lernte – Sie verstehen mich schon, nicht wahr?«
»Tausend Dank. Ihr habt mir nun den Aufschluß, gegeben dessen ich bedurfte. Um elf Uhr werde ich wieder hier sein und warten, bis Ihr das Haus verIasset.«
»Nein, kommen Sie nicht hierher, Sir, ich bitte Sie! Ich hätte Ihnen überhaupt Nichts sagen sollen.«
»Fürchtet Nichts; Ihr sollt nicht bereuen, mir es gesagt zu haben. Ich verspreche Euch Alles, was ich vorhin versprochen habe, jetzt nochmals. Auf Wiedersehen! und Vergeßt nicht, jetzt kein Wort zu Miß Margarethen zu sagen, so lange ich sie nicht gesehen habe.«
Während ich mich nun beeilte, nach Hause zurückzukehren, hörte ich die Köchin einige Schritte mir nachlaufen, dann stehen bleiben, umkehren und die Gartenthür leise hinter sich verschließen. Augenscheinlich hatte sie sich noch ein Mal an Miß Miargarethe’s Stelle gedacht,