Seine Antwort verschloß mir den Mund und die Lust zu weiteren Fragen verging mir! Mr. Sherwin hatte ein großes Modewaarengewölbe in – street! Der Bursche nannte mir die Nummer ebenso wie die Seite der Straße, wo dieses Gewölbe sich befand.
Dann fragte er mich, ob dies Alles wäre, was ich wissen wolle.
Ich besaß nicht mehr Kraft genug, auch nur vier Worte zu sprechen. Ich gab ihm bloß durch einen Wink zu verstehen, daß er gehen könne und daß er mir genug gesagt habe.
Genug? Wenn er mich nicht belogen hatte so war es mehr als zu viel– ein Modewaarengewölbe – die Tochter eines Modewaarenhändlers! War ich noch verliebt? Ich dachte an meinen Vater, an den Namen, den ich trug, und dies Mal, obschon ich die Frage hätte beantworten können, wagte ich es doch nicht.
Wenn aber dieser Bursche sich geirrt hatte? Ich beschloß, die mir von ihm gegebene Adresse aufzusuchen und mich durch mich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Als ich an dem bezeichneten Orte angelangt war, sah ich richtig das Kaufgewölbe Der Name Sherwin stand über der Thür Es blieb mir nun nur noch eine Möglichkeit Dieser Sherwin und der Sherwin von Hollyoak Square konnten ganz verschiedene Individuen sein.
Ich trat in das Modewaarenmagazin, um Etwas zu kaufen. Während der Commis, an welchen ich mich wendete, seine Waaren vor mir ausbreitete, fragte ich ihn, ob sein Principal in Hollhoak Square wohne.
Er schien über diese Frage ein wenig zu erstaunen, dann antwortete er mir bejahend.
»Ich kannte früher einen Mr. Sherwin,« sagte ich und schmiedete mit diesen Worten die ersten Glieder einer langen Kette von Lügen, die mich später knechten und herabwürdigen sollten; »einen Mr. Sherwin, der gegenwärtig, wie ich gehört habe, in der Umgegend von Hollyoak Sauare wohnen soll. Er war unverheirathet und ich weiß nicht, ob mein Freund und Ihr Principal eine und dieselbe Person sind« –
»Das ist wohl nicht möglich, Sir. Unser Pricipal ist »verheirathet und hat eine Tochter, die in dem Rufe« steht, ein sehr schönes junges Mädchen zu sein, Sir.«
Und der Commis schmunzelte, indem er diese letzten Worte sprach. Niemals war mir ein Schmunzeln widerwärtiger und verletzender gewesen.
Endlich hatte ich so nach die so sehr begehrte Auskunft erlangt. Margarethe! ich wußte sogar ihren Namen! Margarethe! Bis jetzt war dies ein Name, den ich nicht sonderlich liebte. Gegenwärtig empfand ich eine Art Schrecken, als ich mich auf der Wiederholung desselben ertappte, und fand in dem Klange dieser Buchstaben eine neue Poesie, von der ich noch keine Idee gehabt hatte.
War es denn Liebe? Eine reine, eine ernste Liebe? Liebte ich in so hohem Grade, daß ich die Tochter eines Modewaarenhändlers zu heirathen wünschte, die ich eine Viertelstunde lang im Omnibus gesehen und der ich während einer zweiten viertel stunde bis an ihre Wohnung nachgeschlichen war?
Dies war etwas Unvernünftiges und Unmögliches. Ich empfand, ich weiß nicht welchen seltsamen Widerwillen, nach Hause zurückzukehren und in diesem Augenblicke meinen Vater und meine Schwester wiederzusehen.
Ich ging daher langsam wieder fort, aber nicht in der Richtung nach unserem Hause, als ich einem alten Universitätsfreunde meines Bruders begegnete, mit dem ich auch bekannt war – einem stets heitern jungen Manne, der fortwährend seinem Vergnügen nachging.
Er redete mich sofort mit geräuschvoller Herzlichkeit an. Ich sollte ihn begleiten und mit ihm in seinem Club dinieren, wo er mir delikaten Burgunder und von einem Koch ersten Ranges bereitete Gerichte vorsetzen wollte.
Er wünschte sich mit mir ein wenig über Ralph lustig zu machen, eben so wie über dessen neue Geliebte, diese Frau von reifem Alter, welche es unternommen hatte, einen ordentlichen Mann aus ihm zu machen!
Ganz gewiß war dies Stoff genug zu einer heiteren Unterhaltung! War es nicht sogar ein Süjet zu einer neuen Pantomime, wie Harlekin Don Juan, sich, wie gewöhnlich, in alle Arten Händel verwickelte und Madame Colombine Moralität ihm fortwährend auf den Fersen folgte und ein großes Pasde decorum tanzte, um ihm schlimme Geschichten zu ersparen?
Ja wohl, ich mußte mitgehen! Ich sollte nur an den Burgunder und an die lustige Unterhaltung über Ralph denken! Rasch, rasch! – warum wollte ich so lange zaudern?
Wenn die Gedanken, die noch schwer auf meinem Gemüthe lasteten, von einer vorübergehenden und ich weiß nicht wie lange dauernden bizarren Melancholie erzeugt waren, so sah ich mich jetzt dem Manne gegenüber, dessen Gesellschaft sie am sichersten zerstreuen mußte.
Ich beschloß daher, den Versuch zu machen, und nahm seine Einladung an.
Beim Diner bemühte ich mich, mich auf dasselbe Niveau mit ihm zu erheben und eben so viel Heiterkeit und Laune zu entwickeln.
Ich trank viel mehr Wein als gewöhnlich, aber es war vergebens. Die lustigen Worte erstarben mir auf den Lippen. Der Burgunder überreizte mich, hauchte mir aber keine fröhliche Laune ein.
Das Bild der braunen Schönheit, welche ich am Morgen gesehen, behauptete die Oberherrschaft über meine Gedanken. Ich stand fortwährend unter der Macht der gleichzeitig unheilvollen und bestrickenden Eindrücke des Morgens. Ich verzichtete auf den Kampf. Ich wünschte allein zu sein.
Mein Freund bemerkte bald, daß meine erzwungene Heiterkeit erschlaffte. Er that Alles, was er konnte, um mich wieder zu ermuntern, bemühte sich, für Zwei zu sprechen, ließ noch mehr Wein bringen, aber Alles war vergebens.
Endlich machte er gähnend und seine getäuschte Erwartung kaum verhehlend mir den Vorschlag, in’s Theater zu gehen. Ich entschuldigte mich, indem ich Unwohlsein vorschützte, und gab ihm zu verstehen, daß ich für meine Gewohnheit zu viel getrunken hätte. Er lachte, ließ aber dabei ein wenig Verachtung hindurch schimmern und verließ mich, um allein ins Theater zu gehen, indem er ohne Zweifel bei sich selbst sagte, daß er mich noch eben so unzugänglich und ungesellschaftlich fände, als er mich einige Jahre auf der Universität gekannt.
Sobald wir uns trennten, fühlte ich Erleichterung und beinahe Freude. Meine Unentschlossenheit bemächtigte sich meiner wieder.
Ich that einige Schritte auf der Straße vorwärts und eben so viele rückwärts, dann gebot ich allen meinen Bedenklichkeiten Schweigen, überließ meinen Neigungen die Sorge, mich zu führen, wie sie wollten, und nahm zum dritten Male an diesem Tage den Weg nach Hollyoak Square.
Der schöne Sommerabend neigte sich zur Dämmerung. Die glühende Sonne stand tief an dem wolkenlosen Horizonte, und als ich den Square betrat, überzog die wonnige Stunde, welche der Nacht vorangeht, den Himmel mit ihrem violetten Schimmer.
Ich näherte mich dem Hause.
Sie stand am Fenster, welches weit geöffnet einen hoch an dem Fensterladen hängenden Vogelkäfig sehen ließ.
Sie stand diesem Käfig gegenüber und ließ ihren armen gefangenen Kanarienvogel nach einem Stückchen Zucker schmachten, welches sie ihm bald da, bald dort durch die Zwischenräume seines Käfiggitters bot, aber alle Mal wieder zurückzog.
Der Vogel flatterte und hüpfte in seinem Gefängnisse, um den Zucker zu erhaschen, und zwitscherte dabei, als ob er seiner Herrin dadurch das Vergnügen beweisen wollte, welches dieses Spiel ihm machte.
Ha, wie reizend war sie! Ihr über den Wangen empor gekämmtes das Ohr freilassendes schwarzes Haar bildete hinten weiter Nichts als eine einfache Rolle von dichten Flechten, ohne Schmuck irgend einer Art. Sie trug ein dicht am Halse anschließendes weißes Kleid, welches auf der Brust eine Menge Falten bildete.
Der Käfig war so hoch aufgehängt, daß sie da durch genöthigt ward, den Kopf ein wenig emporzurichten. Sie lachte heiter und fröhlich wie ein Kind, und fuhr fort, mit ihrem Zuckerstückchen hin und herzufahren. Jeden Augenblick nahmen ihr Kopf und ihr Hals eine neue anbetungswürdige Biegung an und bei jeder Veränderung ihrer Stellung traten die harmonischen Umrisse ihres Gesichts besser hervor.
Ich hielt mich hinter einem Pfeiler der Gartenthür versteckt und schaute hin,