In Isabella erwachte, als sie dies Bild längere Zeit betrachtet und dasselbe mit dem gegenüber hängenden Portrait ihres Vaters verglichen hatte, ein wahrer Ingrimm gegen Denjenigen, der eine solche Macht auf das Herz ihres Vaters besaß, daß der schwache, alte Mann, der sich früher allen Launen seiner Tochter lächelnd gefügt, in diesem Falle sich unerbittlich, ja beinahe hart gezeigt hatte.
Sie wußte wohl, daß man auch von Oben herab die Verheiratung des Barons von Brunau mit der reichen Erbin von Ibstein wünschte, aber durfte das den Vater so sehr verblenden, daß er sich dem Willen seines Kindes entgegensetzte? Sie nahm das Bild des Barons und war im Begriff, es zornig bei Seite zu werfen, ließ es dann aber verächtlich lächelnd stehen und begab sich in ihr Bett zurück. Die Zofe Emma, die im Nebenzimmer schlief, war erwacht und hatte gerufen, ob man sie nötig habe. Isabella biß die Lippen zusammen und schwieg. Sie war ärgerlich darüber, daß das Mädchen gerufen, wäre aber ebenso ärgerlich gewesen, wenn sie nicht gerufen. Warum kommt sie nicht zu mir, dachte sie und würde, im Falle sich Emma im Schlafgemach gezeigt hätte, sie weggeschickt haben. Welcher Reiz liegt doch darin, bemitleidet zu werden, aber sie wollte nicht bemitleidet sein. Warum sie auch bemitleiden? War sie denn bemitleidenswert? Vergebens suchte ihr Geist den entfliehenden Schlaf herbeizuzwingen. Wie sie sich auch abmühen mochte, immer kehrten ihre Gedanken zu dem Bild zurück; ein unleidliches Herzklopfen verscheuchte jede Ruhe.
Vor Allem bedrückte sie ihr unkindliches Benehmen, das sie dem Vater beim Abschied gezeigt. Ja, sie war unkindlich gewesen, herb und trotzig war sie in den Wagen gestiegen, ohne dem alten Manne Lebewohl zu sagen. Sie fühlte sich jetzt so zu Thränen geneigt, könnte sie doch ihr Unrecht wieder gut machen, es war ihr, als solle sie den Vater nie wiedersehen. Warum es ihr nur heute so weich ums Herz war, sie mußte sich in der That mit dem Taschentuch über die Augen fahren und sie wußte gar nicht, warum sie so plötzlich wünschte, irgend Jemand sähe sie hier weinend liegen. Sie war auf dies Schloß geflohen, um den Bitten ihres Vaters, dem Andrängen Brunauʼs zu entgehen – jetzt verfolgten diese Beiden sie bis in ihr Schlafgemach. Sie hörte im Geiste das scharfklingende Gelächter des Barons, sie sah die kleinen vorsichtigen Schritte ihres Vaters, die auf dem Parket hinglitten. Schwer und träge zog die Nacht vorüber, die Uhr auf der Toilette kündigte mit dünner, zirpender Metallstimme an, wenn eine Stunde vorbei war; sonderbar hallte der Schall der größeren Wanduhr im unteren Teil des Schlosses durch die Corridore, als ob er die kleine Uhr im Zimmer zurechtweisen wollte; manchmal knackte es in den altersschwachen Möbeln, sonst finstre Stille. Allmählig kam sie in jenen Zustand der Ermattung, in welchem die quälenden Gedanken ihre nagende Kraft verlieren. Endlich schlief sie gegen Morgen ein, bis es ihr schien, als vernehme sie jenes aristokratische Räuspern, mit dem Papa immer nach drei Worten seine Sätze zu unterbrechen pflegte – hem! hm! schlug es an ihr Ohr, dann glaubte sie das höfliche, lachende Gesicht des Barons vor sich zu sehen, seine theatralische Art sich zu verbeugen; sie fuhr aus dem Schlafe empor. Wie lange hatte sie wohl geschlafen? Eine Stunde oder eine Minute? Wie müde sie noch war, wie schwer es auf ihren Augenlidern lag. Sie gähnte und starrte dem öden Grauen des Tags ins schläfrige Antlitz. Was sie für das Räuspern Papaʼs gehalten, war entferntes Hundegebell gewesen. Nochmals gähnend und mit schmerzendem Augenlid durch das offene Fenster blickend, gewahrte sie das rötliche Dach des gräflichen Forsthauses, wie es aus dem Blättermeere des Parks auftauchte, wie die schlanke, weiße Rauchsäule seines Schornsteins sich so graziös abhob von dem blauen Duft des dahinterliegenden Eichwalds. Von dort herüber erscholl das Hundegebell. Die scharfe, keusche Morgenluft wirkte seltsam berauschend auf ihr Nervensystem, es war ihr, als badete sie im reinsten Äther einer höheren Welt. Sie wußte nicht, warum sie lächeln mußte, reckte sich behaglich in den Polstern und schlief noch einmal ein.
III
»Ich muß zurück nach München, liebe Mutter,« rief Eduard Enger, »hier, wo mir jede Anregung durch Gleichstrebende fehlt, gelingt mir kein Pinselstrich.« Eduard hatte sich das nördlich gelegene, eigentlich nicht zum Bewohnen bestimmte, sogenannte gute Zimmer des Forsthauses zum Atelier eingerichtet, da er beschlossen, einige Zeit bei seinen Eltern zuzubringen, um sich einesteils von den anstrengenden Studien zu erholen, andernteils sich mehr, als er es seither gethan, der Landschaft, dem Tierstück zu widmen. Das Zimmer, nicht größer und nicht höher wie die übrigen vier oder fünf des Hauses, mußte seine schwerfälligen Möbel dazu hergeben, Farben und Pinsel zu beherbergen; auf dem muldenförmig ausgesessenen Sopha, auf welchem Vater Enger sein Mittagsschläfchen zu machen pflegte, standen Rahmen; selbst der gutmütige, lederne Sorgenstuhl, in welchem der Urahne der Familie verstorben war, mußte sich herbeilassen, zum Aufbewahrungsort der Pinsel zu dienen. Zwar mochte der moderne Gewehrschrank ziemlich verdrießlich auf die Unordnung herabschauen; auch das Rehgeweih neben dem Spiegel reckte sich grimmig empor, aber die vorher kahlen Wände trugen ihren reichen Schmuck an halbvollendeten Bildern sehr befriedigt zur Schau. So saß denn Eduard in dem mit Skizzen aller Art beklebten, niedrigen Zimmer vor seiner Staffelei und führte jenes Bild, das wir bereits kennen, genauer aus. Nebenan in dem einfach behaglich eingerichteten Familiengemach deckte die Mutter den Tisch. Ihre Schicksale, die wir bereits kennen, hatten keine sichtliche Spur in ihrem Antlitz zurückgelassen, der Förster wußte die Erinnerung