»Ich spreche mich Ihnen gegenüber offener aus,« sagte er, »weil Sie eine ältere Frau sind, weil ich sehe, daß Sie mir mit nicht gewöhnlicher Herzlichkeit entgegengekommen. Ich wollte, ich könnte die ganze Malerei an den Nagel hängen, so sehr ich sie liebe. Was ich kann, können Hunderte auch. Architekt hätte ich werden sollen, doch dazu istʼs nun zu spät. Wir müssen weiter pinseln.«
Frau von Pork erfuhr nun, daß sie den Sohn des gräflichen Försters Enger vor sich habe, was sie sehr erfreute.
»Wie?« sagte sie, »so sind Sie mir ja gar nicht fremd? Habe ich doch, als Sie ein kleiner Knabe waren, das Vergnügen gehabt, Sie, der Sie in den Mühlbach gefallen, mit einem neuen Kleide zu versehen. O, welchʼ ergötzliche Scene das war, und welchen Schrecken die Gräfin damals hatte.«
Auch Eduard erinnerte sich jener Scene.
»Ja,« sagte er lachend, »mir blieben von diesem Vorfall einige dunkle Spuren im Gedächtnis, vornehmlich die Schläge, die mir mein Vater dabei applicirte vermochte kein Lethe vergessen zu machen.«
»Wie groß und stattlich Sie geworden sind,« fuhr die Dame fort, »d. h. eigentlich mehr schlank, denn den zarten Knaben von damals erkennt man noch in Ihnen wieder. Sehen Sie dort? Das ist Isabella, die Tochter des Grafen. Sie haben der Familie manches zu verdanken, ich hoffe, Sie zeigen sich dadurch erkenntlich, daß Sie uns bisweilen durch Ihren Besuch, Ihre Unterhaltung in dieser Einsamkeit von Ibstein eine vergnügte Stunde bereiten. Besuchen Sie uns zuweilen,« setzte sie hinzu, »die Sammlungen des Schlosses stehen Ihnen zu Diensten, sie enthalten manches, was Sie vielleicht bei Ihrer Arbeit benutzen können.«
Den Maler interessirte hauptsächlich ein altes Ölgemälde, das die Grabkapelle des Schlosses barg, das Werk eines altdeutschen Meisters; er bat um die Erlaubnis, es sich nochmals ansehen zu dürfen. Gern ward ihm diese Erlaubnis zu teil, und da Frau von Pork den Knaben gewahrte, rief sie ihn herbei und schenkte dem verlegen Dreinschauenden eine Tafel Chokolade, die sie für unvorhergesehene Fälle auf die Reise mitgenommen. Erst auf die Aufforderung des Malers hin dankte der Knabe unbehülflich genug.
»Ist dies Ihr Bruder?« frug die Gesellschafterin.
»Nein,« entgegnete der Künstler, »er ist der Sohn eines mir befreundet gewesenen Malers. Sein Vater starb, ich nahm das Kind zu mir.«
Eduard Enger hatte mit so einfacher Betonung gesprochen, daß Frau von Pork, dieser That des Edelmuts nicht einmal mit Worten Beifall zu zollen wagte. Sie schwieg gerührt und betrachtete mit Teilnahme den jungen Menschen, der, nachdem er dem Knaben einen Augenblick die Hand auf das Haupt gelegt, ruhig weiter malte.
Als Frau von Pork wieder mit der schweigsamen Isabella zusammentraf, wußte sie viel von der breiten Stirn, dem offenen Blick, dem bescheidenen Benehmen des jungen Mannes zu berichten und als sie bereits auf ganz andere Gesprächsgegenstände gekommen war, unterbrach sie sich manchmal mit den Worten, der junge Mann thäte ihr leid, ob sich sein Los nicht vielleicht verbessern ließe.
»Kennst Du ihn denn nicht mehr,« frug sie dann das Mädchen, »er ist ja der Sohn des Försters, der kleine Junge, der Dich, als Du, 7 Jahre alt, Schloß Ibstein besuchtest, über den Mühlbach tragen wollte?«
Die Gräfin schüttelte den Kopf, obgleich sie sich jener Scene wieder dunkel zu erinnern begann. »Du mußt es doch noch wissen,« fuhr die alte Dame fast ärgerlich fort, »erinnere Dich doch! Mama stand in der Nähe der Mühle; Du wolltest ihr in die Arme eilen, doch der reißende Bach trennte euch. Als dies der kleine Eduard gewahrte, lief er herzu, Dir die Hand zu bieten. Erinnerst Du Dich jetzt? Der Kleine stand auf einem Stein mitten im Wasser, als er Dich fassen wollte, schlug der Stein um, Du und er, ihr lagt beide im Bache, ehe man zu Hilfe eilen konnte.«
»Mag sein,« entgegnete Isabella trocken.
»Schade, daß er ein Jude ist,« meinte sie dann. Erst bei dieser Bemerkung erwachte Isabella aus ihrem Hinbrüten und sagte, unwillig lachend: »Zerstöre mir doch meine Illusionen nicht. Ein Jude, das wäre ja abscheulich.«
»Soviel ich mich erinnere, stammt er mütterlicherseits aus jüdischer Familie,« entgegnete Frau von Pork.
»Das werde ich nie glauben,« sagte Isabella fast heftig. Man hatte den Wagen erreicht und während man nun dem Schlosse entgegenfuhr, setzte Frau von Pork dem ungläubigen, aber dennoch neugierigfragenden Mädchen die Familienverhältnisse des Förstersohns auseinander, die sie ziemlich genau kannte, da der alte Förster ungefähr um dieselbe Zeit in den Dienst des Grafen eingetreten war, wie sie selbst. »Eigentlich solle man solche Geschichten nicht erzählen,« meinte Frau von Pork, doch konnte sie ihrem Mitteilungsdrange nicht länger widerstehen und so berichtete sie denn, was ihr der Förster selbst einst ausführlich erzählt hatte, nachdem sie dem sonst schweigsamen Mann durch ihren menschenfreundlichen Zuspruch das Herz weichgemacht. Förster Enger hatte einen verkommenen Juden, den er mehrmals bei Wilddiebereien ertappt, ernstlich gewarnt. Da dies nichts fruchtete, der verwegene Mensch nur immer verwegener wurde, betrat der