Hüter der Freude. Paul Leppin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Leppin
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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hatte sie mißtrauisch gemustert. Sie war hochgewachsen und hatte die üppige Schlankheit sinnlicher Weiber. Der herausfordernde Mund gab ihrem sonst dummen Gesichte den Ausdruck starker Lebendigkeit. Sie trug kein Mieder unter dem knappen Kleide und die Schatten unter den Augen waren künstlich gedunkelt. Er trat auf sie zu.

      Was kostet die Geschichte? – fragte er brutal. Sie zuckte zusammen und eine zornige Falte zeigte sich, für einen Augenblick nur, auf ihrer Stirne. Dann hob sie die Achseln und meinte leichthin: Weiß Gott, was sich die Bomba für dieses Loch bezahlen läßt. Viel kann's nicht sein. Drei oder vier Kronen. – –

      Mit einer niederträchtigen Freundlichkeit, die ihn zurechtwies und beschämte, reichte sie ihm ihr Täschchen hin:

      Wenn Sie vielleicht nicht bei Kasse sind? –

      Da hatte er's. Aus lauter Verlegenheit machte er eine Lümmelei nach der andern.

      Ich habe Geld – knurrte er mit rotem Kopfe und wälzte die Augäpfel in den Höhlen. Sein dünner Bart sträubte sich giftig und er sah wie ein borstiger Kater drein.

      Frau Nowotny hatte ihre Laune wiedergefunden. Sie nahm den Hut ab und nestelte an ihren strähnigen, ein bischen wüsten Haaren.

      Wie heißen Sie denn? – fragte sie mit jenem gutmütigen Interesse, das im Munde einer Frau immer etwas Mütterliches bekommt.

      Gaudentius?

      Sie buchstabierte ungeschickt an dem Namen herum und lachte dann albern los. Ihre Brust straffte sich unter der Jacke, während sie mit gekreuzten Beinen auf der Tischkante saß. Der eine Fuß hing in der Luft und wippte.

      Ich heiße Kamilla! – sagte sie dann mit einem Beiklang von Selbstgefälligkeit in der Stimme. Man sah ihr förmlich die Freude darüber an, daß sie so einen ordentlichen, gut gebräuchlichen Namen besaß. Sturmfenster starrte auf den Knopfschuh, der ihr graziöses Fußgelenk umschloß. Die Ernüchterung, die ihn vorhin befallen hatte, und der Unmut verließen ihn. Er besann sich, daß er nun allein mit der Frau war, die ihm gefiel, und daß sie vor ihm auf dem Küchentische saß und ihm gehörte. Er erinnerte sich des ordinären Seitenblicks, mit dem sie ihn willenlos über die Stiegen des unbekannten Hauses in die fremde Wohnung geschleppt hatte. Die Nächte während seiner Gymnasialzeit fielen ihm ein, wo seine Phantasie die Stube, die er mit seinen Eltern teilte, mit solchen Frauen bevölkerte. Noch heute, wenn er zurückdachte, konnte er ihre Gesichter unterscheiden. Sie alle hatten diese heißen Augen mit den begehrlichen Schattenringen und alle sahen Kamilla ähnlich. Es war kein Zufall, daß er ihr heute begegnet war. Hundertmal hatte er diese feisten Lippen geküßt, diesen weißen, fleischigen Hals betastet. Er kannte Kamilla. Immer schon, seit vielen Jahren, waren unsichtbare Fäden zwischen ihr und ihm gewesen. Schon damals, als er an langen Nachmittagen über den punischen Kriegen büffelte, hatte ihn ihr Bild bedrängt. Oder waren es die Heere der Amazonen, die so in seine Träume stürmten? Weiber, unübersehbar und zahllos, Schenkel an Schenkel auf ihren wilden Pferden, mit dem Antlitz Kamillas zwischen flatternden Haaren. Gaudentius begriff es, daß sie siegreich waren, daß den Feinden die Waffen entfielen und sie zu kämpfen vergaßen.

      Das Bild schob sich in sein Gedächtnis, das er auf dem Wege zur Schule täglich betrachtet hatte. Es war ein grellfarbiges Plakat, das für eine bekennte Zahnseife Propaganda machte. Ein braunes Nubiermädchen mit malerisch zerzaustem Gelock besah im Spiegel ihre derben Zähne. Ein buntkarriertes Tuch bedeckte ihre Schultern und ein kurzes Gewand ließ ihre muskulösen Beine frei, die nur über den Knöcheln mit Sandalenbändern verschnürt waren. Minutenlang war er oft vor diesem Bilde gestanden. Die unbekümmerte Weiblichkeit in dem Gesichte des Mädchens hatte ihn gefangen genommen. Erst heute wußte er, daß dieses Antlitz allen Frauen gemeinsam war, die seine Sinne verführten. Es war ein Kamillagesicht, knochig und rabiat, mit einem asiatischen Einschlag. Damals geschah es oft, daß es ihn in die Nächte verfolgte. Oder daß es wahrend der Unterrichtsstunde plötzlich aus der Landkarte sprang, wollüstig, mit dem unwiderstehlichen Munde. Dann kam manchmal das wunderbare Chaos über ihn, das ihn auch jetzt noch zuweilen heimsuchte. Wo die Welt, der Himmel, die Leute in einem rasenden Wirbel versanken und nur hie und da wie die Trümmer entschwindender Dinge die Erinnerung an ein Erlebnis wiederkam, an eine Straße, die er einmal gegangen war, an ein Spielzeug, an die punischen Kriege. Darüber hinweg kam es gigantisch gebraust. Auf schnaubenden Pferden, nach Männerart im Sattel sitzend, kamen die Weiber geritten, die steifen Brüste von der Mähne gepeitscht, die Schwerter in den erhobenen Händen. Es begann die Schlacht. Die süße Schlacht, in der man unterging, in der man sich verlieren konnte. Rosse stürzten zuhauf, Glieder schimmerten zwischen Blut und Schweiß. Aber Schenkel an Schenkel kamen immer neue. In dem Getümmel, das ihn in die Knie zwang, sah Gaudentius die Gesichter, von wüsten Haaren umrahmt, mit knochigem Kinn und gemeinem Munde. Er sah die Arme, die sich zum Schlage reckten, hörte Schreie, die ihn erzittern ließen. Hundertmal, von stählernen Muskeln gespannt, vom rieselnden Blut wie mit roten Sandalen bebändert, sah er die braunen Beine der Nubierin. Sturmfenster wachte auf. Langsam, noch mit einem Leuchten, hob er den Blick zu Kamilla auf. Die saß noch immer geduldig und wippte mit dem Fuße.

      Zieh dich aus! – befahl er rauh, merkte gar nicht, daß er nun unvermittelt du zu ihr sagte.

      Kamilla gehorchte. Sie öffnete ihr Kleid über der Brust und begann sich zu entkleiden.

      Wo werden wir uns lieben? – fragte sie beinahe demütig und sah sich in dem Raume um, wo der Tisch und drei Stühle die einzigen Möbelstücke waren. Es stand weder Bett noch Sofa in Frau Bombas Küche.

      Sturmfenster antwortete nicht. Er verzog nur den Mund wie in einem großen Schmerze. Seine blauen Augen wurden dunkelgrün, und als das Weib zu ihm herankam, nur mit dem Hemd und den Hosen bekleidet, als sie den Kopf zurückwarf und ihm die Lippen bot, erstickte er den Schrei, der ihm aufstieg, in einem Kusse.

      Sie legte die nackten Arme um seinen Hals und während sie ihn wieder küßte, hing ihr großer Leib wie ein Gewicht an ihm und zog ihn im Fallen auf die schmutzigen Dielen nieder. In dem Kehricht, der um sie wie eine Wolke aufflog, liebten sie einander. Er nahm das Weib, das sich ihm willig entgegendrängte, mit dem ungestümen Haß des Geschlechts. Er pflückte die schweren, irdischen Küsse von ihrem Mund und sie deckten seine Augen mit einem Schleier zu, hinter dem er nichts mehr erkennen konnte. Nur eine kleine, goldene Sehnsucht flatterte noch vor ihm her und schlug mit den Flügeln.

      Ein Heimweh, das ihn immer befiel, wenn er in einem unzulänglichen Glück sich der Erde verschwisterte. Gaudentius Sturmfenster sehnte sich nach der himmlischen Liebe. Das war eine, die nicht aus Qualen und Dünsten geboren wurde, das war eine süße, köstliche Liebe. Eine, die ewigen Glanz besaß und Herzen erlösen konnte.

      Unwillkürlich suchte er mit den Augen das Licht, das zum Fenster hereinkam. Draußen hatte der Regen nachgelassen und eine blasse Sonne flammte in den Scheiben.

      Ach sieh doch, sieh! – sagte Sturmfenster und löste sanft die Hände Kamillas von seinem Nacken. Sie betrachtete ihn verwundert, wie er verzückt durch das verstaubte Küchenfenster starrte. Ein paar Sonnenstrahlen flirrten über ihre nackte Brust und sie blinzelte suchend in der Richtung seines Blicks.

      Wo schaust du hin? – meinte sie dann und schmiegte sich wieder an ihn.

      Er schwieg. Nachdenklich strich er mit den Fingern seine struppigen Barthaare zurecht und erhob sich langsam. Er konnte doch dem Weib, das da vor ihm auf dem Fußboden kniete, nicht sagen, daß er eben zwischen dem Fensterrahmen in Frau Bombas Küche ein Stückchen Himmel gesehen hatte.

      IV. KAPITEL

HERR RÖMERSTERN LÄSSTSICH DEN KOPFWASCHEN

      In der Rasierstube des Herrn Scheibenhonig war heute eine fidele Stimmung. Meermann mit dem martialisch emporgewichsten Schnurrbarte und dem gutmütig vorgeschobenen Kinn war wieder einmal der Gegenstand unbändiger Heiterkeit. Äußerlich war eigentlich nichts an ihm zu bemerken, was die Ausbrüche des Humors, die er immer wieder bei der anwesenden Kundschaft entfesselte, gerechtfertigt hätte. Mittelgroß und von angemessenem Leibesumfang bot er in dem sauberen Leinenkittel, von dem sich sein gebräunter Teint stattlich abhob, das Bild einer wohlgereiften Männlichkeit, wie es wohl den Dienstmädchen und Ladenmamsellen der Nachbarschaft als vollendetes