Der scharlachrote Buchstabe. Hawthorne Nathaniel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hawthorne Nathaniel
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
als vorher.

      Im tiefsten Herzen über diesen neckenden und verwirrenden Zauber verwundet, welcher sich so oft zwischen sie und ihren einzigen Schatz stellte, den sie so teuer erkauft hatte und der ihre ganze Welt war, brach Esther zuweilen in unaufhaltsames Weinen aus. Dann runzelte vielleicht – denn man konnte nicht voraussehen, wie es sie berühren würde, – Perle die Stirn und ballte ihre kleine Faust und verhärtete ihre niedlichen Züge zu einer finsteren gefühllosen Miene voller Unzufriedenheit. Nicht selten traf es sich, daß sie von neuem und lauter als vorher lachte, wie ein Ding, das des menschlichen Kummers unfähig und dem er unverständlich wäre, oder – aber dies kam seltener vor – sie wurde von einem Schmerzparoxismus durchkrampft und schluchzte ihre Liebe zu ihrer Mutter in gebrochenen Worten aus und schien beweisen zu wollen, daß sie ein Herz habe, indem sie es brechen ließ. Esther konnte sich jedoch kaum mit Zuversicht dieser stürmischen Zärtlichkeit hingeben, denn sie verging ebenso plötzlich wieder, wie sie gekommen war. Die Mutter brütete über allen diesen Dingen und hatte ein Gefühl, als ob sie einen Geist heraufbeschworen, aber infolge irgendeiner Unregelmäßigkeit bei der Beschwörung nicht vermocht habe, das Meisterwort zu erlangen, welches dieses neue, uns unverständliche Wesen beherrschte. Ihr einziger wirklicher Trost war der, das Kind im ruhigen, sanften Schlafe liegen zu sehen. Dann war sie seiner sicher und genoß Stunden stillen, trüben, köstlichen Glückes, bis die kleine Perle erwachte und vielleicht eben jener verkehrte Ausdruck unter ihren neugeöffneten Lidern hervorschimmerte.

      Wie bald – mit welcher seltsamen Schnelligkeit – gelangte Perle zu dem Alter, welches eines weiteren geselligen Verkehrs als desjenigen mit dem stets bereiten Lächeln und den kindischen Schmeichelworten der Mutter fähig war! Und welches Glück würde es dann für Esther Prynne gewesen sein, wenn sie gehört hätte, wie ihre klaren, vogelähnlichen Töne sich mit dem Lärm anderer Kinderstimmen vermischten, und sie imstande gewesen wäre, Laute ihres Lieblings unter dem verwirrten Geschrei einer Gruppe von spielenden Kindern zu unterscheiden und herauszufinden. Aber dies konnte niemals sein. Perle war schon von Geburt an von der Kinderwelt ausgeschlossen. Als ein böser Kobold, ein Sinnbild und eine Frucht der Sünde, hatte sie kein Recht, sich unter Christenkinder zu mischen. Es konnte nichts Merkwürdigeres geben, als den Instinkt, denn dies schien es zu sein, womit das Kind seine Einsamkeit, das Schicksal, welches einen undurchdringlichen Kreis um es gezogen hatte, kurz, die ganze Eigentümlichkeit seiner Lage in bezug auf andere Kinder begriff. Seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnisse war Esther nie ohne Perle in der Öffentlichkeit erschienen. Bei allen Spaziergängen um die Stadt hatte sie auch ihr Kind bei sich, anfangs als Säugling auf dem Arme und später als kleines Mädchen, als Begleiterin ihrer Mutter, die mit ihrer ganzen Hand einen Zeigefinger umfaßt hielt und auf einen Schritt Esthers drei bis vier nebenhertrippelte. Sie sah die Kinder der Niederlassung auf dem berasten Rande der Straße oder auf den Schwellen der Familienhäuser auf die ernste Weise spielen, wie es die puritanische Erziehung gestattete, etwa In-die-Kirche-gehen oder Quäker peitschen oder in einem Scheingefecht mit Indianern Skalpe nehmen oder einander mit eingebildeten Hexereien in Furcht jagen. Perle sah sie und blickte sie aufmerksam an, bemühte sich aber nie, Bekanntschaft zu machen. Wenn sie angeredet wurde, so antwortete sie nicht. Wenn sich die Kinder um sie versammelten, wie es zuweilen geschah, so wurde Perle in ihrem Kinderzorn wahrhaft entsetzlich, hob Steine auf, um sie nach ihnen zu schleudern und stieß schrille, unzusammenhängende Schreie aus, bei welchen ihre Mutter erbebte, weil sie soviel von dem Klange der Verwünschungen einer Hexe in irgendeiner unbekannten Zunge an sich hatten.

      Das Wahre an der Sache war, daß die kleinen Puritaner, die zu dem unduldsamsten Geschlechte, welches je gelebt, gehörten, eine unbestimmte Idee von etwas Ausländischem, Unmenschlichem oder mit dem gewöhnlichen Leben in Widerspruch Stehendem über Mutter und Kind gefaßt hatten und sie daher in ihrem Herzen verachteten und nicht selten mit ihren Zungen schmähten. Perle fühlte diese Einschätzung und vergalt sie mit dem bittersten Hasse, welcher an einem Kinderherzen fressen kann. Diese Ausbrüche eines zornigen Charakters besaßen eine Art von Wert und selbst Trost für die Mutter, da in dieser Stimmung wenigstens ein verständlicher Sinn statt der unbeständigen Laune lag, welche sie bei den Äußerungen des Kindes so oft in Verwirrung gesetzt hatte. Dessen ungeachtet aber schauderte ihr, als sie auch hier wieder eine schattengleiche Abspiegelung des Bösen entdecken mußte, welches in ihr selbst existiert hatte. Alle diese Feindseligkeit und Leidenschaftlichkeit hatte Perle nach unveräußerlichem Rechte aus Esthers Herzen geerbt. Mutter und Tochter standen in dem gleichen Kreise der Abgeschlossenheit von der menschlichen Gesellschaft beisammen, und in der Natur des Kindes schienen sich die unruhigen Elemente fortzupflanzen, welche Esther Prynne von Perlens Geburt durchwühlt, seitdem aber begonnen hatten, von den erweichenden Einflüssen der Mutterschaft beschwichtigt zu werden.

      Daheim in der Hütte ihrer Mutter und um dieselbe fehlte es Perlchen nicht an einem weiten, verschiedenartigen Bekanntenkreise. Der Zauber des Lebens ging von ihrem stets schöpferischen Geiste aus und teilte sich tausenderlei Gegenständen mit, wie eine Fackel eine Flamme entzündet, wo sie auch angelegt werden mag. Die scheinbar untauglichsten Stoffe, ein Stock, ein Lumpenbündel, eine Blume waren die Puppen der Zauberei Perlens und paßten sich, ohne eine äußere Veränderung zu erfahren, geistig jedem Drama an, welches die Bühne ihrer inneren Welt einnahm. Ihre eine Kinderstimme diente einer Menge von eingebildeten Personen, so alten wie jungen, zum Sprechen. Die alten schwarzen, ernsthaften Fichten, welche ihr Stöhnen und andere traurige Töne von dem Winde forttragen ließen, bedurften nur einer geringen Umwandlung, um als puritanische Kirchenälteste zu figurieren, die häßlichsten Unkräuter im Garten waren deren Kinder, die Perle auf das unbarmherzigste niederschlug und ausriß. Es war wunderbar, in welche Vielzahl von Formen sie ihren Verstand fügte, allerdings ohne Zusammenhang, aber sie schossen auf und tanzten in einem Zustande übernatürlicher Beweglichkeit, sanken bald wieder zusammen, wie von einer schnell strömenden, fieberischen Lebensglut erschöpft, und hatten andere Gestalten von gleicher, wilder Energie zu Nachfolgern. Es glich nichts so sehr wie dem phantasmagorischen Spiele des Nordlichtes. In der bloßen Übung der Phantasie und der spielenden Beweglichkeit ihres wachsenden Geistes mochte jedoch wohl wenig mehr sein, als bei anderen Kindern von glänzenden Fähigkeiten zu bemerken ist, außer insofern Perle bei dem Mangel an menschlichen Spielgenossen mehr auf die visionären Wesen, welche sie erschuf, angewiesen war. Die Sonderbarkeit lag in den feindlichen Gefühlen, mit welchem das Kind alle diese Sprößlinge ihres eigenen Herzens und Geistes betrachtete. Sie erschuf nie einen Freund, sondern schien stets die Drachenzähne auszusäen, aus denen eine Ernte von bewaffneten Feinden hervorkeimte, gegen die sie in den Kampf stürmte. Es war unaussprechlich traurig! Welche Tiefe von Kummer mußte es für eine Mutter sein, die in ihrem eigenen Herzen den Grund davon fühlte, an einem so jungen Wesen dieses beständige Erkennen einer feindlichen Welt und eine so gewaltsame Einübung der Kräfte zu erkennen, welche in dem Kampfe, der erfolgen mußte, ihre Sache vertreten sollten!

      Wenn Esther Prynne auf Perle blickte, so ließ sie oft ihre Arbeit sinken und rief mit einer Pein, die sie gern verborgen hätte, die sich aber in Tönen, die zwischen der Rede und einem Stöhnen lagen, Luft machte: »Vater im Himmel! Wenn du noch mein Vater bist – was ist dieses Wesen, das ich auf die Welt gebracht habe?« Und Perle, die den Ausruf hörte oder durch irgendeinen feinen Kanal diese Kundgebungen der Pein bemerkte, wendete dann ihr lebhaftes schönes Gesichtchen ihrer Mutter zu, lächelte mit koboldartigem Verständnis und fuhr in ihren Spielen fort.

      Eine Eigentümlichkeit in dem Benehmen des Kindes muß noch mitgeteilt werden. Das erste, was sie in ihrem Leben bemerkt hatte, war – was wohl? – nicht das Lächeln der Mutter, dem sie, wie andere Kinder mit jenem schwachen Lächeln des kleinen Mundes geantwortet hätte, dessen man sich später so zweifelhaft und mit so zärtlicher Überlegung, ob es wirklich ein Lächeln gewesen sei, erinnert – nein, keineswegs. Der erste Gegenstand, welchen Perle zu bemerken schien, war – müssen wir es sagen? – der Scharlachbuchstabe auf Esthers Brust! Eines Tages, als sich die Mutter über die Wiege beugte, waren die Augen des Kindes von dem Schimmer der Goldstickerei um den Buchstaben angezogen worden, und es hatte seine kleine Hand erhoben, und lächelnd, nicht zweifelhaft, sondern mit einem entschiedenen Freudenstrahle, welcher seinem Gesicht das Aussehen eines weit älteren Kindes verlieh, darnach gegriffen. Da hatte Esther Prynne, nach Atem ringend, das schicksalhafte Zeichen erfaßt und instinktgemäß versucht, es hinwegzureißen, so unermeßlich war die Qual, welche die verständige Berührung der