– Es kam mir in der That etwas wunderbar vor. . . wollte Neshdanow erwidern.
– Herr Markelow, – unterbrach ihn Marianne – hat mir einen Antrag gemacht; – und ich habe ihn ausgeschlagen. Das ist Alles, was ich Ihnen zu sagen hatte, und nun – leben Sie wohl und denken Sie von mir, wie Sie wollen.
Sie wandte ihm schroff den Rücken und eilte hastigen Schrittes von dannen.
Als er sein Zimmer betreten, setzte sich Neshdanow nachdenklich an das Fenster.
– Ein wunderliches Mädchen! – Und was soll dieser bizarre Einfall, diese unerbetene Aufrichtigkeit bedeuten? Was ist das? – Originalitätssucht – oder einfach Schönthuerei – oder Stolz? . . . Stolz – das wird wohl am richtigsten sein. Sie kann nicht die Spur eines Verdachts ertragen. . . Der Gedanke, daß man sie falsch beurtheilen könnte, läßt ihr keine Ruhe.
– Wunderliches Mädchen!
Während ihn diese Gedanken beschäftigten, hörte er, wie unten auf der Terrasse von ihm gesprochen wurde.
– Es spürt meine Nase – suchte Kallomeyzew Frau Ssipjagin zu überzeugen, – es spürt meine Nase, daß er zu – zu den Rothen gehört. In der Zeit, da ich noch – avec Ladislas – Beamter für besondere Aufträge beim General-Gouverneur von Moskau war, habe ich diese Herren – die Rothen – und auch die Raskolniks aufzuspüren gelernt. Es leitete mich mein Instinkt! – Und nun erzählte Kallomeyzew, wie er einst in der Umgegend von Moskau einen greisen Raskolnik, in dessen Hütte er mit der Polizei eingedrungen war, am Stiefelabsatz gepackt und festgehalten habe: »er wäre mir fast durch’s Fenster entsprungen . . . Und so ruhig hatte er, der Taugenichts, bis zu jenem Moment auf der Bank gesessen!«
Kallomeyzew vergaß aber hinzuzufügen, daß derselbe greise Raskolnik im Gefängniß jede Nahrung von sich gewiesen hatte – und Hungers gestorben war.
– Ihr neuer Lehrer, – fuhr der eifrige Kammerjunker fort – ist unbedingt ein Rother! Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß er niemals zuerst grüßt?
– Weshalb soll er denn auch zuerst grüßen? – bemerkte Frau Ssipjagin, – das gefällt mir gerade an ihm.
– Ich bin der Gast des Hauses, in welchem er dient – rief Kallomeyzew aus, – ja, ja, in welchem er dient, für Geld, comme un salarié . . . Ich stehe folglich über ihm. – Und daher muß er mich zuerst begrüßen.
– Sie fordern zu viel, mein liebenswürdiger Freund, – fiel Ssipjagin ein; – das riecht, – entschuldigen Sie – nach dem vorigen Jahrhundert. Ich habe nur seine Arbeit gekauft, er selbst ist ein freier Mensch geblieben.
– Die Zügel fühlt er nicht, – fuhr Kallomeyzew fort – die Zügel: le frein! So sind sie Alle – diese Rothen. Ich sage Ihnen – ich habe eine feine Nase! – Es könnte sich nur Ladislas in dieser Beziehung mit mir messen! – Wenn er nur mir in die Hände gerathen wäre, dieser Lehrer – ich würde ihn schon zappeln lassen! So würde ich ihn zappeln lassen! Einen anderen Ton würde er bei mir anschlagen; – und den Hut abnehmen würde er vor mir . . . eine wahre Pracht!
– Du Lump, Prahlhans! – wäre es Neshdanow beinahe entfahren . . . da that sich aber die Thür seines Zimmers auf und es trat – zu seiner nicht geringen Verwunderung – Markelow herein.
Zehntes Capitel
Neshdanow erhob sich und ging ihm entgegen. – Markelow richtete, ohne zu grüßen, sogleich die Frage an ihn, ob er in der That Alexei Dmitrijew Neshdanow, Student der St. Petersburger Universität sei.
– Ja . . . der bin ich, – antwortete Neshdanow.
Markelow zog darauf aus der Seitentasche seines Rockes einen entsiegelten Brief hervor.
– Dann lesen Sie. – Von Wassilij Nikolajewitsch, – fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
Neshdanow nahm den Brief und begann zu lesen. Der Brief war etwa in der Art eines halboffiziellen Rundschreibens, in welchem Derjenige, der ihn vorzeige, Ssergei Markelow, als »Einer von den Unsrigen,« als eine des Vertrauens vollkommen würdige Person empfohlen wurde; dann folgte ein Hinweis auf die unaufschiebbare Nothwendigkeit gemeinsamen Handelns und eine Instruktion über die Verbreitung der bekannten Prinzipien.
Neshdanow reichte Markelow die Hand, bot ihm einen Stuhl und setzte sich gleichfalls. Markelow rauchte, ohne ein Wart zu sprechen, eine Cigarette an. Neshdanow folgte seinem Beispiel.
– Ist es Ihnen bereits möglich gewesen, mit den hiesigen Bauern Verbindungen anzuknüpfen? – fragte endlich Markelow
– Nein, noch nicht.
– Sind Sie schon lange hier?
– Bald werden es zwei Wochen.
– Und haben Sie viel zu thun?
– Nein, nicht besonders viel.
Markelow hüstelte trocken.
– Hm! Die Bauern sind hier ziemlich einfältig, – fuhr er mürrisch fort; – das Volk liegt noch arg im Finstern – muß des Besseren belehrt werden. Die Armuth ist groß – und doch ist Niemand da, der es ihnen auseinandersetzen könnte, warum sie so arm sind.
– Die früheren Leibeigenen Ihres Schwagers scheinen, so weit ich es beurtheilen kann, gerade nicht zu darben, – bemerkte Neshdanow.
– Mein Schwager ist ein Schlaukopf; Sand in die Augen zu streuen versteht er meisterhaft. Den hiesigen Bauern geht es in der That nicht schlecht; aber er hat eine Fabrik. Das ist die Stelle, wo die Sache in Angriff genommen werden muß. Das ist wie ein Ameisenhaufen, ein zur rechten Zeit gegebener Stoß – und sie rühren sich gleich. – Haben Sie auch Bücher bei sich?
– Ja . . . aber nicht viele.
– Ich werde Ihnen welche schicken.
Wie haben Sie nur so wenige mitnehmen können!
Neshdanow blieb die Antwort schuldig. – Auch Markelow verstummte und rauchte weiter, indem er bläuliche Wolken durch die Nase aufsteigen ließ.
– Ist das aber ein Schurke, dieser Kallomeyzew! – rief Markelow endlich aus. – Während des Mittags fuhr es mir durch den Kopf, ob ich nicht aufstehen, zu diesem Herrn herantreten, und ihm die ganze unverschämte Physiognomie braun und blau schlagen solle, damit nicht Andere in Versuchung gerathen, dies zu thun? Doch nein! Haben wir jetzt doch Wichtigeres zu vollbringen, als Kammerjunker zu prügeln. – Jetzt ist nicht die Zeit, in Zorn darüber zu gerathen, daß Narren thörichte Reden im Munde führen; jetzt ist es vielmehr Zeit sie zu hindern, thörichte Thaten zu vollführen.
Neshdanow nickte bejahend mit dem Kopf, – Markelow griff wieder zu seiner Cigarette.
– Es befindet hier sich unter der Dienerschaft ein höchst brauchbarer Mensch, – begann er von neuem; – nicht Iwan, der bei Ihnen ist das ist eine Fischnatur; nein, ein Anderer . . . er heißt Cyrill und hat das Buffet unter sich (dieser Cyrill war als ein Erztrunkenbold bekannt). – Sehen Sie ihn sich näher an. Ein desperater Kerl . . . nun, schüchtern thun, ist jetzt nicht unsere Sache. Was sagen Sie aber zu meiner Schwester? – fügte er, den Kopf mit den gelben Augen plötzlich zu Neshdanow emporhebend, hinzu. – Die ist doch noch schlauer als mein Schwager. Wie denken Sie über meine Schwester!
– Ich denke, daß es eine sehr angenehme und liebenswürdige Dame ist. . . Und auch eine sehr schöne Dame. . .
– Hm! Wie Ihr Euch, meine Herren, in Petersburg fein auszudrücken versteht. . . Ich staune-! – Nun . . . in Hinsicht, aber . . . – fing er an, hielt jedoch plötzlich mit finsterer Miene in seiner Rede inne. – Ich sehe, wir müssen uns aussprechen, – begann er von neuem. – Hier geht’s aber nicht. Weiß der Teufel! Sie horchen am Ende hinter der Thür. Wissen Sie, was ich Ihnen vorschlagen will? Heute ist Sonnabend,