Auch ihm wurde es leichter um’s Herz, auch in ihm wurde es still.
Unterdessen erzählte unten im Schlafzimmer Ssipjagin seiner Frau, wie er mit Neshdanow bekannt geworden und was ihm der Fürst G. erzählt und worüber sie auf der Reise gesprochen.
– Ein kluger Kopf! – wiederholte er, – und hat Kenntnisse; freilich gehört er zu den Rothen, aber Du weißt, das hat ja in meinen Augen nichts zu bedeuten; sie haben doch wenigstens Ehrgeiz, diese Leute. Und Kolja ist ja auch noch zu jung; es ist nicht zu befürchten, daß er sich von diesen Thorheiten etwas aneignen könnte.
Valentine Michailowna hörte ihrem Mann mit freundlichem und doch zugleich spöttischem Lächeln zu, als ob er sich vor ihr gleichsam wegen eines seltsamen, aber doch lustigen Einfalls entschuldige; es schien ihr sogar angenehm zu sein, daß ihr »seigneur et maitre,« ein so solider Mann und hochstehender Beamter, im Stande war, wie ein zwölfjähriger Knabe plötzlich irgend einen tollen Streich loszulassen, vom Zaune zu brechen. Im schneeweißen Hemd, mit blauseidenen Tragbändern vor dem Spiegel stehend, kämmte er sich nach englischer Art mit zwei Bürsten das Haar; – Valentine Michailowna aber, die ihre Füßchen auf die niedrige türkische Couchette heraufgezogen, fing an, ihm über die Wirthschaft Mittheilungen zu machen, über die Papierfabrik, mit der es nicht so gut ging, als es eigentlich sollte, über den Koch, den man wechseln müsse, über die Kirche, in welcher die Stukkatur herabgefallen sei, über Kallomeyzew. . .
Zwischen den Eheleuten herrschte aufrichtiges Vertrauen und volles Einvernehmen; sie lebten mit einander wirklich, wie man zu sagen pflegt, in Liebe und Eintracht; und als Ssipjagin, nachdem er mit seiner Toilette zu Ende, sich in ritterlicher Weise die Hand von Valentine Michailowna zum Kuß erbat, reichte sie ihm beide Hände, und schaute mit zärtlichem Stolz auf ihn, als er sie abwechselnd küßte. Es war das Gefühl, welches beiderseitig zum Ausdruck kam, ein gutes und wahres Gefühl, wenn es bei ihr auch aus eines Raphael’s würdigen Augensternen leuchtete, bei ihm nur aus einfachen, geheimräthlichen Augen.
Genau um fünf Uhr begab sich Neshdanow nach unten zum Diner, das nicht durch Glockenton angekündigt wurde, sondern durch den gedehnten Schall des chinesischen Gong. Im Eßzimmer waren bereits Alle beisammen. Ssipjagin bewillkommnete ihn von Neuem, von der Höhe seiner Halsbinde herab, und wies ihm am Tisch einen Platz zwischen Anna Sacharowna und Kolja an. Anna Sacharowna war ein bejahrtes Fräulein, eine Schwester von Ssipjagins verstorbenen Vater; es ging von ihr ein kampherartiger Duft aus, wie von einem Kleide, das lange gelegen; auch hatte sie ein unruhiges und gedrücktes Aussehen. Sie erfüllte im Hause die Pflichten einer Aufseherin oder Gouvernante Kolja’s, und es war die Unzufriedenheit, daß man Neshdanow zwischen sie und ihren Schützling gesetzt, deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen. Kolja schaute zum neuen Nachbar zuweilen von der Seite aus; der kluge Knabe errieth, daß sich der Lehrer unbehaglich fühle, daß er verlegen sei; er hob die Augen ja gar nicht empor und aß fast gar nichts. Das gefiel Kolja: er hatte bis dahin gefürchtet, daß er vielleicht ein strenger und böser Lehrer sein werde. Auch Valentine Michailowna blickte von Zeit zu Zeit auf Neshdanow.
»Er hat das Aussehen eines Studenten – dachte sie – und ist wohl nicht viel unter Menschen gewesen, aber das Gesicht ist interessant und auch die Farbe der Haare so originell, wie bei jenem Apostel, den die alten italienischen Meister stets mit rothem Haar abgebildet, – auch die Hände sind rein.« Es sahen übrigens alle Tischgenossen aus Neshdanow, und es schien, als ob sie ihn in der ersten Zeit in Ruhe lassen, ihn gleichsam schonen wollten; er fühlte das und war zufrieden damit, obgleich es ihn zugleich auch erbitterte. Die Unterhaltung führten Kallomeyzew und Ssipjagin. Man sprach über die Semstwo, über den Gouverneur, über die Wegesteuer, die Loskaufs-Operationen, die gemeinschaftlichen Bekannten in Petersburg und Moskau, über das sich eben erst kräftig aufschwingende Lyceum des Herrn Katkow, über die Arbeiternoth, über die Strafen, aber auch über Bismarck, über den Krieg von 1866 und über Napoleon, den Kallomeyzew besonders herausstrich. Die Ansichten, die der junge Kammerjunker entwickelte, waren höchst retrograder Art; er war in seinen Reden endlich so weit gekommen, daß er – freilich nur in Form eines Scherzes – den Toast eines ihm bekannten Herrn auf einem Banket bei Gelegenheit einer Namenstagsfeier anführte: »ich bringe ein Hoch auf auf die einzigen Prinzipien, die ich anerkenne,« – hatte der erhitzte Gutsbesitzer ausgerufen – »die Peitsche und Roederer!«
Valentine Michailowna runzelte die Brauen und bemerkte, daß dieses ein Citat sei – de très mauvais gout – Ssipjagin sprach im Gegentheil höchst freisinnige Ansichten aus; in höflicher und ein wenig herablassender Weise widerlegte er Kallomeyzew und machte sich sogar über ihn lustig.
– Ihre Befürchtungen in Hinsicht der Bauern-Emanzipation, lieber Ssemen Petrowitsch – sagte er ihm unter Anderem – erinnern mich an ein Memorandum, das unser verehrter und vortrefflicher Alexei Iwanytsch Tweritinow im Jahre 1860 eingereicht und in allen Petersburger Salons vorgelesen hat. Wundervoll war namentlich die eine Phrase: wie der befreite russische Bauer nothwendiger Weise mit der Fackel in der Hand über den Boden des Vaterlandes hinschreiten würde! Man mußte es sehen, wie unser lieber Alexei Iwanowitsch, die Wänglein aufblasend und die Aeuglein aufreißend, mit dem kleinen Kindermunde die Worte hervorstieß: »Fackel! F-ackel! wird mit der F-ackel hinschreiten!« Nun, die Bauern-Emanzipation ist da . . . Wo ist denn der Bauer mit der Fackel geblieben?
– Tweritinow, entgegnete finsteren Tones Kallomeyzew, – hat sich nur darin geirrt, daß nicht die Bauern mit der Fackel in der Hand einherschreiten werden, sondern andere Leute!
Bei diesen Worten blickten Marianne und Neshdanow, der das Mädchen bis zu diesem Moment fast gar nicht beachtet hatte – sie saß ihm schräg gegenüber – plötzlich einander an, und sie fühlten sogleich, daß sie Beide, – dieses in sich gekehrte Mädchen und er – von demselben Schlage seien und denselben Ansichten huldigten. Sie hatte auf ihn nicht den geringsten Eindruck gemacht, als sie ihm von Ssipjagin vorgestellt worden war; weshalb hatte er sie denn gerade jetzt angeblickt? Er stellte sich gleich die Frage: ob es nicht schimpflich, nicht eine Schande sei, da zu sitzen und dergleichen Reden anzuhören, ohne zu protestiren und durch sein Schweigen Anlaß zu der Voraussetzung zu geben, daß er diese Ansichten theile? Neshdanow blickte von Neuem zu Marianne auf und es schien ihm, daß er in ihren Augen die Antwort auf seine Frage zu lesen habe: »wart’ noch ein wenig, jetzt ist nicht die Zeit dazu . . . es lohnt nicht der Mühe . . . später; wirst es ja jederzeit thun können . . . «
Es war ihm angenehm zu denken, daß sie ihn verstehe. Er wandte sich wieder der Unterhaltung zu. . . Valentine Michailowna war jetzt statt ihres Mannes in dieselbe eingetreten und äußerte sich noch freisinniger, noch radikaler als dieser. Sie konnte es nicht begreifen, »positiv nicht be . . . grei . . . fen,« wie ein gebildeter und junger Mann an dieser veralteten Anschauung festhalten könne!
– Ich bin übrigens überzeugt, – fügte sie hinzu, – daß es bei Ihnen nur Schönrednerei ist! Was Sie jedoch betrifft, Alexei Dmitritsch, – wandte sie sich mit verbindlichem Lächeln auf den Lippen zu Neshdanow – er war ganz erstaunt darüber, daß sein Tauf- und Vatername ihr bekannt waren – so weiß ich, daß Sie die Befürchtungen von Ssemen Petrowitsch nicht theilen: Boris hat mir Ihre Unterhaltung mit ihm während der Reise mitgetheilt.
Neshdanow erröthete, beugte