Wie bestürzt war Wilfried, als er in diesem Ritter den Herrn von Hochstätten, einen Freund seines Vaters erkannte! Er erbleichte und zitterte, denn der Ritter trat auf ihn zu und sagte im Tone ernsten Vorwurfs:
»Unglücklicher, was thust Du hier? Glaubst Du, ich kenne Dich nicht? Du bist Wilfried von Iserstein!«
»Ich Wilfried von Iserstein?« stammelte der Jüngling, den Kopf schüttelnd.
»Wie, hat denn Dein Herz sich in Stein verwandelt, undankbarer, gefühlloser Sohn?« fuhr der Ritter fort, »da stehst Du und singst auf einer fröhlichen Hochzeit und ergötzest Dich an dem erworbenen Lob, während Deinen armen Eltern das Herz brechen will vor Leid um Deinen Verlust!«
Thränen traten in des Minnesängers Augen; da er indessen bemerkte daß Alle zu ihm hinsahen, bezwang er gewaltsam seine Rührung und versetzte leise:
»»Ja, Herr von Hochstätten, ich bin Wilfried von Iserstein. Was Ihr mich thun seht, ist die Erfüllung eines Gelübdes; wenn ich es breche muß ich sterben. Diesen Abend nach der Hochzeit, will ich Euch das traurige Geheimniß erklären, ich schlafe im Schlosse. Stören wir jetzt das Fest nicht; sagt, daß Ihr Euch geirrt habt, Ihr sollt Altes wissen.«
Der alte Ritter kehrte schweigend und sorgenvoll auf seinen Platz zurück. Auf Befragen gab er zur Antwort, daß er geglaubt habe, den Minnesänger zu kennen, aber durch eine entfernte Ähnlichkeit getäuscht worden sei.
Von diesem Augenblicke an brannte der Boden unter Wilfrieds Füssen.
Was hätte er nicht darum gegeben, hundert Meilen weit weg von der Burg zu sein! Doch er sah deutlich, daß der Herr von Hochstätten den Blick fest auf ihn gerichtet hielt, er mußte also seine Ungeduld verbergen, wenn er nicht seine Absicht verrathen wollte.
Noch einige andere Minnesänger trugen ihre Lieder und Sprüche vor bis endlich der Schloßherr den Befehl gab, Alle in ein Gemach neben der Küche zu führen und dort mit einem guten Mahl und alten Weinen zu bewirthen.
Wilfried folgte seinen Gefährten, ohne Eile an den Tag zu legen, er war selbst der Letzte der mit stillem Gruß den Saal verließ.
Im Speisezimmer beobachtete er scheinbar mit Eifer das Decken des Tisches, verlor aber die Thür nicht aus den Augen, weil er befürchtete, daß der Herr von Hochstätten, von Mißtrauen getrieben, ihm folgen könne.
Das Mahl wurde aufgetragen; wie hungrig Wilfried aber auch vorher gewesen war, er konnte keinen Bissen herunterbringen, der plötzliche Schrecken hatte ihn in einen fieberhaften Zustand versetzt. Würde der Herr von Hochstätten, nach Flandern zurückgekehrt, nicht verrathen, daß er ihm hier begegnet sei? Und hatte Nyctos, der Zauberei nicht gesagt, daß der Fluch sich erfüllen müsse, wenn seine Eltern etwas von ihm erführen?
Wiewohl er sich unfähig fühlte, einen Entschluß zu fassen, sagte Wilfried laut, daß er ein wenig unpässlich sei und das Bedürfnis; empfinde, in frischer Luft sich zu erholen.
Damit verließ er das Speisezimmer und schritt eine Weile scheinbar gleichgültig im Hofe hin und her, sich allmählich dem offenstehenden Thore nähernd. Im Umsehen befand er sich dann jenseits der Brücke und in Freiheit, denn nur wenig Schritte entfernt, lag der Saum eines Thiergartens mit hohen Bäumen und schattigem Gebüsch.
Dahin lenkte er eilig seine Schritte und war bald unter dem dichten Laubdache verschwunden. Ohne Zweifel würde man ihn verfolgen, so bald man seine Flucht entdeckte, denn der Herr von Hochstätten würde dann gewiss Allen seinen Namen kund machen; und ergriff man ihn, brachte man ihn gewaltsam nach Flandern, dann, o Grausen, dann mußte er zum Mörder werden an den eignen Eltern!
Von dieser entsetzlichen Vorstellung getrieben, floh Wilfried in blinder Hast Vorwärts, keuchend und mit Schweiß bedeckt durch Dickicht und Gestrüpp, bis er endlich gegen Abend eine Höhle erreichte, in die er Einkehr nahm und wo er erschöpft zusammenbrach.
Als er, nach ein paar Stunden Ruhe, wieder heraustrat, sah er, daß der Vollmond Wald und Feld mit hellem Lichte übergoß. Er begann nun seine wilde Flucht auf’s Neue, ohne zu wissen wo er war und wohin sein Lauf ihn führen würde, ihm genügte die Hoffnung, daß er sich immer weiter von dem verhängnisvollen Schlosse entfernte und daß man seine Spur nicht entdecken würde; war er doch nie einem gebahnten Wege gefolgt und weder einer Burg noch Hütte ansichtig geworden.
Er befand sich nun in einer unfruchtbaren Ebene, welche aber von verschiedenen Bächen durchschnitten, aber gänzlich unbebaut und für den Aufenthalt von Menschen ungeeignet war.
Auf seinem nächtlichen Gange im hellen Mondenschein bemerkte er wiederholt, daß die glühenden Augen eines Wolfes ihm im einiger Entfernung folgten, doch kümmerte ihn das wenig, denn er wußte, daß vereinzelte Wölfe, besonders zur Sommerzeit, furchtsam und feige sind und und durch jedes fremdartige Geräusch leicht vertreiben lassen.
Er hätte den Saiten seiner Leier nur ein paar Töne zu entlocken brauchen, um den raubgierigen Reisegefährten in die Flucht zu treiben.
Als es Morgen war, stieß er auf einige Falkenjäger, denen er ein Lied sang, wofür er Brod und die Hälfte einer gebratenen Holztaube erhielt. Er schlief noch einige Stunden in der warmen Sonne und setzte dann seinen Weg durch die öde Landschaft fort.
Gegen Abend gewahrte er, an einem über Felsblocke dahinströmenden Bach, eine kleine Hütte, deren rauchender Schornstein die Anwesenheit von Menschen verrieth.
Mit Anstrengung seiner letzten Kräfte suchte er sie zu erreichen und sah vor der Hütte einen alten Mann und eine alte Frau, die beschäftigt waren, einen kleinen Gemüsegarten zu bearbeiten, den sie mühsam dem felsigen Boden abgerungen hatten.
»Gott zum Gruß,« redete er sie an, »ich bin ein unglücklicher Wanderer, ein armer Minnesänger, der sich in der Wildniß verirrt hat. Habt Erbarmen mit mir, ich sterbe sonst vor Ermattung und Hunger, ach laßt mich bei Euch ausruhen und gebt mir Nahrung; den einzigen Gegenstand von Werth, den ich besitze, lasse ich aus Dankbarkeit Euch zurück.
Bei diesen Worten holte er aus seiner Tasche ein Messer mit silberbeschlagenem, schön geschnitzten Heft hervor und reichte es dem Manne, der es, samt seiner Frau, verwundert und voll Neugierde betrachtete; das daran angebrachte Wappen schien ganz besonderes seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Drei goldene Falken im blauen Felde,« murmelte er, »Ihr seid wohl ein edler Ritter, Herr?«
Diese Frage machte Wilfried zittern, gewaltsam seine Aufregung verbergend, erwiderte er:
»Nein», aber ein Ritter hat mir das Messer geschenkt und nun gebe ich es Euch, für etwas Brod.«
Dies Wappen muß ich schon früher gesehn haben,« sagte der Mann, sich die Stirn reibend, während Wilfried, bleich vor Schrecken, ihm lauschte, »ja nun weiß ich ganz genau, es war vor etwa dreißig Jahren zu Nystel in Flandern; ein Ritter, der drei goldene Falten im Schilde führte, gewann den Preis im Turnier. Ich war damals Diener und Waffenknecht des edlen Grafen Chiny . . . Wartet einmal, wie nannte doch mein Herr den gefeierten Sieger? Halt, da fällt mirs ein, er hieß Folkard von Iserstein; kennt Ihr ihn?«
Wilfried murmelte eine unverständliche Antwort.
»Ihr werdet ja ganz blaß, junger Herr,« rief der Mann, »warum betrüben Euch meine Worte?«
»Ach, es ist Trauer und Schmerz,« stammelte der Jüngling, »Graf Folkard von Iserstein war mir ein milder Schützer . . . er verunglückte auf der Jagd, und starb vor meinen Augen.«
»Was wollt Ihr Euch betrüben? Müssen wir mit der Zeit nicht Alle den letzten Zoll bezahlen? Hier, nehmt Euer Messer zurück; dass Wenige, was ich besitze, will ich ohne Lohn mit Euch theilen. Tretet unter mein Dach und nehmt vorlieb mit meiner armen Gastlichkeit.«
Gleich darauf setzte man ihm Brod vor und einen Brei von Grüne, auch ein Stück Käse, denn die alten Leute hielten eine Ziege. Er aß mit großem Appetit, seine Augen glänzten, die köstlichsten Mahlzeiten hatten ihm vormals nicht besser gemundet und er bezeugte seinen gütigen Wirthen den innigsten Dank. Dann aber machte sich die Ermüdung geltend, gegen die er vergebens ankämpfte.