»Sie gehören noch nicht zum Volke«, entgegnete der Müller, »denn es bleibt Ihnen noch ein Vermögen, welches einem Mann aus dem Volke als ein unermessliches vorkommen muss. Und überdies hat Ihr Kleiner Großeltern, welche ihn nicht wie ein Kind der Armen erziehen lassen werden. All’ dies ist also bloß ein Roman, den Sie sich vormalen, gnädige Frau Marcelle. Aber, wo zum Teufel haben Sie denn diese Ideen her? Sie müssen wohl eine Heilige sein, hol’ mich der Teufel! Es macht einen eigentümlichen Eindruck auf mich, Sie so sprechen zu hören, da alle andern reichen Leute an nichts denken, als noch reicher zu werden. Sie sind die Erste dieser Art, die ich gesehen. Oder denken die übrigen Reichen und Adeligen zu Paris ebenso, wie Sie?«
»Nein, sie denken anders, ich muss es gestehen. Aber machen Sie mir aus meiner Denkungsart kein Verdienst, großer Louis. Es wird wohl ein Tag kommen, wo ich Ihnen werde zeigen können, warum ich so bin.«
»Verzeihen Sie, ich muss das bezweifeln.«
»Durchaus nicht.«
»Das sind heikle Geschichten und Sie werden mich für unverschämt halten, dass ich Sie darüber ausfrage. Wenn Sie aber wüssten, dass ich gerade in diesem Kapitel übel daran und also fähig bin, die Leiden anderer zu verstehen, wie denn? Ich werde Ihnen meinen Kummer mitteilen, ich! Ja, der Donner erschlage mich! Nur Sie und meine Mutter werden davon wissen und Sie werden mir ein gütiges Wort sagen und mich wieder zu Verstand bringen.«
»Und wenn ich Ihnen nun sage, dass ich meinerseits es bezweifeln müsse.«
»Sie müssen es bezweifeln? Was gilt die Wette, dass auf der einen Seite die Liebe, auf der andern das Geld bei all’ diesem im Spiele ist?«
»Ich will Ihre Bekenntnisse anhören, großer Louis, aber da kommt der alte Lapierre die Treppe heraufgegangen. Wir werden uns noch sehen, nicht wahr?«
»Ja, es ist nötig«, antwortete der Müller leise, »denn ich habe bezugs Ihrer Geschäfte mit Bricolin noch vieles mit Ihnen zu reden. Ich fürchte, der alte Schelm nimmt Sie ein wenig zu hart mit und, wer weiß? Obgleich ich nur ein Bauer bin, kann ich Ihnen doch vielleicht einigermaßen von Nutzen sein. Wollen Sie mich zum Freunde haben?«
»Gewiss.«
»Und wollen Sie nichts beginnen, ohne es mir zuvor mitzuteilen?«
»Ich verspreche es Ihnen, mein Freund.«
Hier trat der alte Lapierre ein.
»Soll ich gehen?« fragte der Müller.
»Gehen Sie ein wenig mit Eduard beiseite. Ich muss Sie vielleicht noch um Rat fragen, wenn Sie noch einige Minuten Zeit für mich übrig haben.«
»‘S ist ja Sonntag, und überdies verschlüge es nichts, wenn es auch Werktag wäre.«
10. Kapitel.
Briefe
Lapierre trat ein. Er war blass und zitterte. Susette hatte ihm bereits alles gesagt.
Da er bei seinem Alter schwere Dienste nicht mehr leisten konnte, war er für Marcelle nur eine Art Reise-Ehrenwächter. Aber obgleich er es ihr nie ausgesprochen, hatte er doch wahre Anhänglichkeit für sie und trotzdem, dass auch ihm bereits ebenso sehr als Susette das schwarze Tal und das alte Schloss zuwider war, weigerte er sich doch, seine Herrin zu verlassen, und erklärte, dass er ihr dienen wolle für einen so niedrigen Lohn , als sie ihm zu geben für angemessen erachte.
Marcelle war gerührt von seiner edeln Ergebenheit, reichte ihm liebreich die Hand und besiegte sein Widerstreben dadurch, dass sie ihm bewies, wie er ihr weit nützlicher sein könne, wenn er nach Paris zurückkehre, als wenn er in Blanchemont bleibe.
Sie wollte sich ihres kostbaren Mobiliars entledigen und Lapierre war ganz der rechte Mann, diesen Verkauf zu besorgen und mit dem Ertrag die kleinen Rechnungen zu berichtigen, die Frau v. Blanchemont in Paris unbezahlt hatte lassen können.
Lapierre, ein rechtschaffener, einsichtsvoller Mensch, fühlte sich geschmeichelt, gewissermaßen die Rolle eines Geschäftsträgers, eines zuverlässigen, sichern Mannes zu spielen, und derjenigen Dienste zu leisten, von der er sich so ungern trennte. Die Anstalten zur Abreise wurden also gemacht. Bei dieser Gelegenheit rief Marcelle, die an alles Einzelne ihrer Lage mit großer Kaltblütigkeit dachte, den Müller ins Zimmer zurück, und fragte ihn um seine Meinung, ob sie ihren Reisewagen, den sie in *** gelassen, wohl in dieser Gegend verkaufen könne.
»Sie verbrennen also Ihre Schiffe?« antwortete der Müller. »Desto besser für uns! Sie bleiben vielleicht hier, und mir wäre nichts erwünschter, als Sie hier zu behalten. Ich gehe oft in Geschäften und zum Besuch bei einer Schwester, die dort wohnt, nach ***. Ich weiß so ziemlich alles, was in unserer Gegend geschieht, auch bemerk’ ich, dass alle unsre Bürger seit einigen Jahren wie besessen sind auf schöne Wagen, und überhaupt auf alle Luxusgegenstände. Einen weiß ich, der will sich ‘ne Equipage aus Paris kommen lassen; die Ihrige ist an Stell’ und Ort, das erspart ihm die Transportkosten, und wenn man in unserer Gegend auch die allergrößesten Narrheiten begeht, so ist man doch auch sehr auf die kleinen Ersparnisse. Er schien mir schön und gut zu sein, Ihr Wagen. Wie viel macht die Geschichte?«
»Zweitaufend Francs.«
»Soll ich mit Lapierre bis *** geh’n? Ich will ihn mit dem Käufer bekannt machen und er kann das Geld einstreichen, denn bar bezahlt man bei uns nur den Fremden.«
»Wenn’s nicht Ihre Zeit und Gefälligkeit zu sehr in Anspruch nehmen hieße, würd’ ich Sie bitten, diesen Verkauf allein zu besorgen.«
»Ich will mit Vergnügen hingeh’n. Aber sprechen Sie nicht mit Herrn Bricolin davon, denn er könnte sonst vielleicht selbst Lust haben, die Kutsche zu kaufen.«
»Und warum sollte er’s nicht?«
»Ja, weiter fehlte nichts um … um seiner Familie den Kopf zu verdreh’n! Außerdem würde Bricolin Mittel und Wege finden, Ihnen nur die Hälfte von dem zu bezahlen was sie wert ist. Wie gesagt, ich übernehme die Sache.«
»So werden Sie mir das Geld bringen, wenn es möglich ist, denn ich glaubte hier welches zu bekommen zu haben, anstatt dass ich ohne Zweifel noch werde zurückzahlen müssen.«
»Gut also; wir reisen heut’ Abend ab; der Sonntag soll mich dabei nicht scheren; und wenn ich nicht morgen Abend oder übermorgen früh mit 2000 Francs wiederkomme, so heißen Sie mich Prahlhans.«
»Ach, wie gut Sie sind!« sagte Marcelle, indem sie an die Habsucht ihres reichen Pächters denken musste.
»Soll ich nicht auch Ihre Koffer mitbringen, welche Sie in der Stadt zurückgelassen?« fragte der große Louis.
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