Das Mormonenmädchen Zweiter Band. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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      Weatherton hatte also keine lebende Seele in dem Hause wahrgenommen. Wären seine Blicke aber tiefer durch die blendenden Fensterscheiben in Abraham’s Geschäftszimmer eingedrungen, so würde er sich gewundert haben über den Ausdruck, mit welchem man, von einem sichern Standpunkte aus, ihn und seinen Gefährten beobachtete und ihre Bewegungen auf’s sorgfältigste bewachte; nicht zu gedenken der drohenden Aeußerungen, die betreffs seiner gewechselt wurden.

      »Es unterliegt keinem Zweifel,« sagte nämlich Abraham finster, sobald Weatherton ihm nicht mehr sichtbar war; »er hat auf irgend eine Art Euern Zufluchtsort ausfindig zu machen gewußt, und es steht zu erwarten, daß er uns nächstens persönlich einen Besuch abstattet.«

      »Und welchen Erfolg würde es für ihn haben, wenn er nur Euch träfe? Denn das, was er eigentlich und am meisten sucht, ist doch wohl sicher genug aufgehoben,« versetzte Jansen, noch einen zornigen Blick dahin sendend, wo Weatherton eben verschwunden war.

      »Aber er und diejenigen, die ihn vielleicht begleiten, könnten etwas finden, was sie nicht suchen!« entgegnete Abraham heftig. »Bedenkt die Vorräthe, die oben aufgespeichert liegen und über deren Bestimmung, jetzt, nach vorausgegangener, wenn auch vorläufig noch bedingter Kriegserklärung wohl kaum ein Schulknabe lange in Zweifel bleiben dürfte. Es würden uns dadurch nicht allein unersetzliche Verluste, sondern auch Gefahren für uns selbst erwachsen.«

      Hier zupfte Rynolds ihn leise am Rock, indem er mit den Augen verstohlen auf die beiden neuangeworbenen Officiere deutete.

      Abraham verstand den Wink und wendete sich sogleich zu diesen.

      »Ihr habt Euer militärisches Talent bewährt, meine Herren,« redete er den Grafen und seinen Kameraden mit einer verbindlichen Verbeugung an, »es ist in der That ein großer Dienst, welchen Ihr uns geleistet. Ihr werdet aber auch die Ueberzeugung gewonnen haben, daß unsere Macht wohl organisirt ist, und daß kein Wort unüberlegt gesprochen, keine Handlung ohne bestimmten Zweck angeordnet wird. Nur das genaueste Ineinandergreifen unserer Pläne und die größte Einigkeit und Uebereinstimmung in der Verfolgung derselben machen uns, selbst hier im Herzen des uns feindlichen Landes, stark, und deshalb müssen wir auf die strengste Disciplin halten. Ihr seid ja alte, erfahrene Soldaten,« schloß er, und ein kaum bemerkbarer höhnischer Zug zuckte um sein glatt geschorenes Kinn.

      »Soldaten, die ihre Ausbildung auf dem Felde der Ehre erhielten,« entgegnete der Graf, indem er mit einer anmuthigen Verbeugung für das schmeichelhafte Compliment dankte.

      In Abraham’s Physiognomie wurde abermals der spöttisches Zug sichtbar.

      »Wahrscheinlich werden Eure Dienste in nächster Zeit wieder in Anspruch genommen werden,« hob er an, sobald der Graf geendigt; »bis dahin aber bitte ich, macht es Euch unten in meiner Wohnstube so bequem wie möglich. Klingelt, wenn Euch einige Erfrischungen genehm sind, und betrachtet mein Haus als das Eurige. Ihr seht,« fuhr er entschuldigend fort, indem er auf einen Stoß Papiere und Briefe deutete, »die Arbeit droht uns über den Kopf zu wachsen.«

      Der Graf nickte in liebenswürdig vertraulicher Weise, eine Bewegung, die auch dem Baron sehr geläufig schien. Sie hegten eine heilige Scheu vor Allem, was Schreibereien nur ähnlich sah, und standen eben im Begriff, sich zurückzuziehen, als Abraham sich noch einmal zu ihnen wendete.

      »Sagtet Ihr nicht, es sei noch ein Dritter in der Gesellschaft der beiden Seeleute gewesen?«

      »Gewiß,« antwortete der Graf, der stets auf Anciennität hielt und daher gewöhnlich das Wort ergriff; »es war indessen nur eine höchst nichtssagende Persönlichkeit, ein Anstreicher, den wir schon seit längerer Zeit kennen, das heißt, von Ansehen kennen. Er liebt es, sich Künstler zu nennen; wie gesagt, eine höchst nichtssagende, unbedeutende Persönlichkeit.«

      »Ich danke Euch,« versetzte der Mormonenagent, sich nach einer neuen höflichen Verbeugung dem Fenster zuwendend. Kaum hatte er aber einen Blick auf die Straße geworfen, so verfärbte er sich, und die beiden Edelleute, die sich schon an der Thür befanden, zurückrufend, deutete er auf Falk, der, ohne rechts oder links zu schauen, eben vorüberschritt.

      »Es ist doch wohl nicht der dort?« fragte er, kaum fähig, seine Besorgniß zu unterdrücken; denn er sowohl wie Jansen und Rynolds erkannten denselben Deutschen wieder, der am vorhergehenden Abend in ihrer nächsten Nachbarschaft sich so sehr in seine Berechnungen und Betrachtungen vertieft hatte, und nur Gedanken für die in seinem Taschenbuch enthaltenen Notizen zu haben schien.

      »Derselbe Anstreicher,« antwortete der Graf in wegwerfendem Tone, »eine Persönlichkeit, welche den unteren Schichten angehört. Sieht übrigens aus, wie eine verabredete Recognoscirung. Die beiden Seeleute bilden die Spitze, der Anstreicher die Verbindung —«

      »Allerdings ist es eine Recognoscirung,« unterbrach Abraham etwas ungeduldig den mit seinen militärischen Kenntnissen kokettirenden Grafen, »doch wollen wir uns dadurch nicht in unseren ferneren Arbeiten stören lassen.«

      Die beiden Officiere glaubten zu verstehen, daß ihre Anwesenheit in dem Geschäftszimmer überflüssig sei, und entfernten sich daher. Der laute Schall der Klingel aber, der gleich darauf mit einem gewissen gebieterischen Ausdruck herauftönte, verrieth, daß sie Abraham’s Mahnung, sich gänzlich wie zu Hause zu fühlen, nicht vergessen hatten.

      Die drei Mormonen achteten nicht auf das Geräusch. Die Gestalt des Malers war wie ein unheimliches Gespenst vor ihnen aufgetaucht, und vergeblich suchten sie zu enträthseln, was gerade ihn in ihren Weg und demnächst mit Weatherton zusammengeführt habe.

      »Es ist der Fremde, der gestern Abend neben uns in der Laube saß,« sagte Jansen endlich, und seine Zähne knirschten aufeinander.

      »Derselbe,« pflichteten Abraham und Rynolds ihm gleichzeitig bei.

      »Derselbe,« wiederholte Abraham sinnend, »ich würde ihn unter Hunderten an seinem ungarischen Hut, an seinem Bart und an seinem ernsten Blick wiedererkannt haben. Mir ahnte nichts Gutes, als ich ihn so in sich versunken dasitzen sah. Ja, er war zu tief mit sich und seinen Gedanken beschäftigt, als daß es natürlich hätte sein können.«

      »Versteht er schwedisch, so dürften manche Ungelegenheiten, ja Gefahren für uns daraus hervorgehen,« bemerkte Rynolds kleinlaut.

      »Wenn wir keine Gegenminen anlegen,« fügte Abraham mit bestimmterem Wesen hinzu. »Zwei Fälle sind nur möglich,« fuhr er sodann fort, und die Falten auf seiner hohen kahlen Stirn legten sich noch dichter zusammen. »Entweder hat er unsere ganze Unterhaltung erlauscht und sich in Folge dessen an den Schiffslieutenant gewendet, oder er hat sie nicht verstanden und der Zufall führte Letzteren sammt dem groben Matrosen zu ihm in’s Haus. Wir sind gezwungen, so lange das Schlimmste anzunehmen, bis das Gegentheil erwiesen ist, und müssen noch heute demgemäß unsere Vorbereitungen treffen. Es steht zu viel auf dem Spiele; wir dürfen uns keine Unvorsichtigkeit zu Schulden kommen lassen; und ich rathe Euch daher, noch heute dieses Haus mit einer andern Wohnung zu vertauschen.«

      Nachdem Jansen und Rynolds ihm beigestimmt und sich zum sofortigen Wohnungswechsel bereit erklärt hatten, fuhr Abraham fort:

      »So weit ich bis jetzt die ganze Sachlage zu beurtheilen vermag, gilt das Spähen und Spüren des Officiers vorläufig dem Mädchen. Ich bezweifle nicht, daß er seine Forschungen auch bis hierher fortsetzen wird. Trifft er in diesem Hause auf keine Spuren von Euch, so mag Alles abgethan sein; entgegengesetzten Falls dürften die Forschungen bis in unsere Lagerräume ausgedehnt werden, und das Auffinden von Waffen und Kriegsbedarf zu immer weiteren Entdeckungen und endlicher Versiegung einer der erheblichsten Zufuhrquellen unserer Brüder am Salzsee leiten. Ferner müssen wir zu erfahren suchen, ob der Lieutenant und der Maler wirklich in den Besitz unserer Geheimnisse gelangten. Bestätigt sich dies, so müssen wir Alles aufbieten, sie unschädlich zu machen. Den Maler werden wohl die unten befindlichen Herren am besten beobachten —«

      »Doch ist es wohl nicht rathsam, ihnen zu viel Vertrauen zu schenken,« unterbrach Rynolds den Mormonenagenten; »sie machen eben nicht den Eindruck von zuverlässigen Leuten.«

      »Fürchtet nichts, meine Brüder,« entgegnete Abraham; »ich halte sie nur für das, was sie sind, nämlich für ein paar gewissenlose Abenteurer, die sich einbilden, mit uns spielen zu dürfen, die