Aber Helene seufzte resigniert:
»Glaubst du? ich nicht! Solange du des Nachts an deinem Schreibtisch sitzt und dich damit begnügst, deine Romanheldinnen mit einer bewundernswerten Pünktlichkeit Mütter werden zu lassen, werde ich wohl darauf verzichten müssen.«
Und da versprach Günther, den das schlechte Gewissen plagte, feierlich Besserung.
»Das soll jetzt anders werden!« sagte er, »verlaß dich drauf.«
Und wenngleich Helene im stillen dachte: Wenn es nur nicht schon zu spät ist, so lächelte sie doch und tat, als wenn sie ihm glaubte.
Als draußen die Klingel ging, fuhr Günther erschreckt zusammen, zitterte und ließ sie los.
»Was ist dir?« fragte Helene. »Du bist ja entsetzlich nervös heute.«
»Hast du nicht gehört?« fragte Günther.
»Gewiß!« erwiderte Helene gleichgültig, »es hat geklingelt.«
»Das ist Franz Siewers, verlaß dich drauf!«
»Je früher, um so besser!« sagte Helene und stand auf. Und aus der Art, wie sie sich innerlich und äußerlich zurechtrückte, entnahm Günther, der jede ihrer Regungen und Bewegungen kannte, daß sie sich für einen feierlichen Akt vorbereitete.
»Du willst ihm doch nicht etwa . . .? – nein, Helene! das ist meine Sache! Bitte, geh du und lasse mich mit ihm allein.«
Helene widersprach leidenschaftlich:
»Glaube mir, Frauen haben dafür ein feineres Gefühl!« sagte sie. »Du wirst sehen, wie ich es ihm bestimmt und doch mit aller Schonung beibringe.«
»Nein!« erklärte Günther, der nahe zur Tür stand und schon die Schritte seines Freundes hörte, »das schickt sich nicht!«
Da lachte Helene, deren Augen noch naß von Tränen waren, laut auf und sagte:
»Nanu? seit wann fragt denn Ernst Günther Elsner danach, was schicklich ist?«
Darauf wußte selbst Günther keine Antwort. Sie blieb ihm auch erspart, da im selben Augenblick Siewers ins Zimmer trat, der in seiner breiten, behaglichen Art mehr einem peinlichen und gutgestellten Beamten glich als einem Dichter.
Helene beherrschte sofort die Situation. Sie setzte eine feierliche Miene auf – oder ihr war wohl wirklich so zu Mute – ging ihm mit würdevollem Schritt entgegen, nahm ihm, was immerhin ungewöhnlich war, noch ehe sie ihn begrüßt hatte, bei der Hand und sagte:
»Kommen Sie!« und zog ihn, der bereits anfing, sich zu wundern, auf die Chaiselongue.
»So! hier setzen Sie sich hin!« bestimmte sie; und Siewers, dem bereits unbehaglich wurde, fühlte sich sanft auf die Chaiselongue gedrückt. – »Und ich, ich setze mich zu Ihnen,« fuhr sie fort und saß im selben Augenblicke auch schon neben ihm.
»Die Sitzung ist eröffnet,« sagte Günther vor sich hin. Und obschon er an dem Verlauf dieser Sitzung stark interessiert war, so konnte er sich doch der Komik dieser Gruppe, die Helene und sein Freund jetzt bildeten, nicht entziehen.
Helene legte ihren Arm auf Siewers Schultern, so daß der ängstlich zu Günther aufsah, blickte ihn teilnahmsvoll an und sagte:
»Armer Freund! Tragen Sie’s wie ein Mann!«
»Ja! um Gottes willen!« rief Siewers, »was ist denn geschehen?«
»Vor allem aber,« fuhr Helene mit feierlicher Stimme fort, »handeln Sie so, wie ich und Ihr Freund Günther es in dieser Lage von Ihnen erwarten.«
Aus dem heiteren, behaglichen Siewers wurde innerhalb weniger Sekunden ein Bild des Jammers. Und Günther, der diese Wandlung sah, schlug zum ersten Mal das Gewissen.
»So foltern Sie mich nicht länger!« stieß er wortweis hervor, »sagen Sie mir endlich, was ist?«
Aber Helene setzte, gewissenhaft wie Frauen nun mal sind, ihre Sezierarbeit fort.
»Nicht wahr« – fragte sie – »Sie haben Ihre Kinder lieb?«
»Welche Frage!« erwiderte Siewers. »Jedes von ihnen ist mir lieber als mein Leben.«
»Jedes!« erwiderte Helene – »und nicht wahr, sie machen keine Ausnahme?«
»Ich liebe eins genau so wie das andre,« sagte Siewers, der schon ruhiger wurde und dem plötzlich ein Gedanke aufstieg, der ihn ganz beruhigte. »Ach so!« rief er, »jetzt verstehe ich – weil Ihr selbst keine Kinder habt, so wollt Ihr, daß ich euch eins von den meinen . . .«
Da warf Günther beinahe die Stimmung und war nahe daran, laut aufzulachen.
»Danke!« sagte er, »ich verzichte.«
Helene fuhr in demselben Tone fort:
»Also, lieber Freund – wenn Sie nun plötzlich erführen, daß Sie . . . von früher her . . . gleichviel von wem . . . ich meine, es könnte doch sein – — welcher Mann kann das Gegenteil behaupten . . .«
»Das kann niemand!« bestätigte Günther.
»Sie brauchen die Frau ja nicht einmal geliebt zu haben – — ja, Sie brauchen noch nicht einmal ihren Namen zu kennen, aber plötzlich – nach Jahren vielleicht, – träte ein hübsches, gesundes, wohlerzogenes Mädchen vor Sie hin und sagte zu Ihnen: Ich bin dein Kind, da du mein Vater bist! – was würden Sie tun?«
Dr. Siewers sprang auf. Er hatte dieser Eröffnung gegenüber nur einen Gedanken.
»Sie kennen meine Frau nicht!« rief er entsetzt:
Aber Helene ließ sich nicht verwirren, auch sie stand auf, trat vor ihn hin und erklärte feierlich:
»Her Doktor, mein Mann und ich haben Ihnen die Eröffnung zu machen, daß Sie der Vater eines elfjährigen Mädchens sind.«
Dr. Siewers blöder Ausdruck sagte mehr als viele Worte.
Helene achtete nicht darauf.
»Vor fünf Minuten noch stand es da, wo Sie jetzt stehen,« sagte sie. »Ein allerliebstes Kind, zu dem ich Sie nur beglückwünschen kann.«
»Ich danke ergebenst,« wehrte Siewers ab.
Aber Günther bestätigte:
»Wirklich, das muß man sagen: ein allerliebstes Kind!«
»Gütige Hände haben es groß gezogen,« sagte Helene.
»Das hätten die gütigen Hände lieber bleiben lassen sollen,« erwiderte Siewers.
»Franz, wie kann man!« rief Günther.
»Und jetzt erwartet es,« fuhr Helene fort, »von Ihnen anerkannt und aufgenommen zu werden.«
»Dann lassen Sie es nur warten,« erwiderte er, »daraus wird nichts!«
Günther suchte zu vermitteln.
»Es sieht dir zum Verwechseln ähnlich,« sagte er, »frag meine Frau! Ganz der Papa! Leugnen hilft nicht!«
»Sie werden das kleine Wesen doch nicht von sich stoßen!« sagte sie und war empört. »Es ist so gut Ihr Kind, wie jedes Ihrer anderen Kinder!«
»Das machen Sie gefälligst meiner Frau klar!« meinte Siewers.
Und Helene erwiderte eifrig:
»Das will ich gern tun; am liebsten noch heute.«
Erst jetzt, als er sich vor diese Möglichkeit gestellt sah, kam ihm die ganze Schwere seiner neuen Lage zum Bewußtsein.
»Tun Sie bloß das nicht!« rief er entsetzt. »Das gäbe ein Unglück!« und mit gebrochener Stimme wiederholte er: »Sie kennen ja meine Frau nicht!«
Und Günther, der sich nur zu gut in seine Lage versetzen konnte, sagte teilnahmsvoll: »Leicht ist das nicht!«
Siewers versuchte, sich zu orientieren.
»Elf Jahre ist das Kind alt?« fragte er. Helene nickte.
»Wer kann so weit zurückdenken!«