»Kein Mensch kann das!« entschied Günther und sagte leise vor sich hin: »Gott sei Dank!«
Aber Siewers, der sich in seiner Vergangenheit schneller zurechtfand als Günther, sagte nach einer kleinen Weile:
»Erlaub mal . . .«
»Aber so laß doch,« drängte Günther und suchte ihn aus seinen Gedanken zu reißen. »Quäl dich doch nicht unnütz.«
»Doch! doch!« widersprach Siewers und stellte zunächst fest:
»Vor elf Jahren – da war ich Soldat!«
»Also! also!« rief Günther. »Da haben wir’s ja! – Soldat warst du! das sagt alles.«
»Was beweist denn das?« fragte Siewers.
»Nun spiel uns aber bitte kein Theater vor!« bat Günther – »wenn du Soldat warst – womöglich fesche Uniform.«
»Ich war Rathenower Husar,« bestätigte Siewers.
»Husar warst du auch noch!« – rief Günther erfreut – »Na, Helene, kenn ich mich aus? Husar war er und wundert sich noch! Ich finde, du kannst froh sein, daß du so billig davongekommen bist!« – Und das Siewers noch in Gedanken stand, so fuhr er fort: »So gib es doch auf, Franz! ›Wer zählt die Völker, nennt die Damen!‹ Ob sie nun Grete hieß oder Lotte, das ändert ja an der Sache nichts: der Erfolg ist da – das ist die Hauptsache! Mit dem mußt du dich abfinden.«
Siewers war plötzlich ganz ruhig geworden.
»Du hast recht,« sagte er. »Ich sehe die Sache zu schwarz. Sie ist dabei ganz einfach! Ich zahle die Alimente! Fünfzehn Mark im Monat; und meine Frau braucht von der ganzen Geschichte auch nicht eine Silbe zu erfahren.«
»Das dulde ich nicht!« rief Helene empört. »Nie im Leben gebe ich das zu! – Das sagen Sie auch nur so hin. Innerlich, da denken Sie ja ganz anders.«
»Aber nein!« widersprach Siewers. »Durchaus nicht! Das ist mein vollkommster Ernst.«
»So!« schalt Helene. »Sie Heuchler! – warten Sie!« – und sie stürzte an die Bibliothek, nahm ein Buch heraus und hielt es Dr. Siewers unter die Nase: »Hier! kennen Sie das?« fragte sie ihn.
Und Dr. Siewers sah auf das Buch und las:
»Die Macht des Blutes, Roman von Franz Siewers, sechste Auflage.«
»Titel und Verfasser,« meinte Helene, »dürften Ihnen nicht ganz unbekannt sein. Da steht . . .« – und sie blätterte und las:
»Sie war das Kind seiner Liebe, irgendeiner Liebe aus frühen und frohen Tagen. Kaum, daß er sich noch der Mutter entsann. Aber dies Kind war sein Kind, und er hätte es herausgefunden unter Tausenden, ohne daß er es gesehen hätte.«
»Unter Tausenden hätte er es rausgefunden!« unterstrich Günther.
Und Helene las weiter:
»Er nahm es mit sich fort, von der schmutzigen Straße, auf der es mit armen Nachbarskindern spielte. ›Nimm es wie ein Geschenk der Vorsehung und hüte es wie eine Gabe des Himmels,‹ sagte er zu seiner Frau, als er nach Hause kam. »Wir wollen es mit doppelter Liebe und Sorgfalt hegen und pflegen! Nur so kann meine Schuld . . .«
»Hören Sie auf!« rief Dr. Siewers.
»Sie wissen ja, wie es weiter geht,« sagte Helene. »Vier Seiten lang ist allein von der Schuld und Verantwortung des Vaters die Rede; dann erst kommt die Sühne, die, wie Sie so zwingend und erschütternd ausführen, nur darum zu einem wahren Glücke führt, weil sie freiwillig und aus frohem Herzen erfolgt.«
»Ich bitte Sie, legen Sie das Buch fort!« bettelte Siewers.
»Sie ermächtigen mich also, mit Ihrer Frau zu sprechen?« fragte Helene.
»Warten Sie wenigstens bis morgen,« bat Siewers.
»Bis morgen kannst du ja schließlich warten!« vermittelte Günther.
Helene versprach’s und sagte:
»Ich bin von der Aufregung ganz matt.«
»Ich auch!« versicherte Siewers, während Günther feststellte, daß er sich schon bedeutend besser fühlte. Helene entschuldigte sich bei Siewers, gab ihm die Hand und sagte:
»Ich muß mich hinlegen! Sie leisten wohl Günther noch ein wenig Gesellschaft? Bis morgen also. Sie werden doch zu Haus sein?«
»Das glaube ich kaum!« erwiderte Siewers.
Ganz gegen ihre Gewohnheit legte Helene jetzt ihre Arme um Günthers Hals und bat:
»Komm bald! Du weißt, was du mir versprochen hast.«
»Gewiß!« sagte er und drückte sie zärtlich an sich.
Und Siewers sah in Erwartung des morgigen Tages nicht ohne Neid auf diese idyllische Ehe.
Dann ging Helene hinaus.
Siewers stand mit gesenktem Kopfe in der Mitte des Zimmers und rührte sich nicht.
Erich trat an ihn heran, legte liebevoll die Hand auf seine Schulter und sagte:
»Armer Franz! Kein Mensch auf der Welt kann dir dein Pech so nachfühlen wie ich.«
»Ich danke dir!« erwiderte Siewers und war gerührt; dann sah er zu ihm auf und sagte:
»Wenn ich dich nicht hätte!«
Günther empfand ähnlich; und so klang es denn auch aufrichtig, als er sagte:
»Ja, wenn du mich nicht hättest! Aber du hast mich ja.«
Zweites Kapitel
Günther hatte eine in jeder Beziehung unruhige Nacht. Als Helene sehr viel später als sonst das Licht löschte, fand Günther noch lange keinen Schlaf.
Wenn er gewiß auch ein Egoist war, so war er darum doch ein guter Mensch. Und da er in seiner höchsten Not das Unglück verschuldet hatte, das über seinen Freund Siewers hereingebrochen war, so fühlte er nun auch die Pflicht, ihn zu retten.
Wie schon an jenem denkwürdigen Nachmittag, an dem man ihm unvermittelt das Kind versetzte, so sah er auch jetzt die einzige Möglichkeit einer Rettung in Frau von Villiers. Von allen Frauen, die ihn je geliebt hatten, war sie die selbstloseste und zuverlässigste gewesen. Und wenn er sich auch, wie bei jeder, so auch bei ihr, nicht grade einen besonders glänzenden Abgang verschafft hatte, so wußte er doch, daß sie, die seine Eigenschaften besser als andre kannte, ihm darum nicht gram war. Es sei denn – und darin lag allein eine Gefahr – daß ihre Ehe mit diesem Herrn von Villiers, von dem er nichts als den Namen kannte, glücklich war.
Aber mit solchen Unwahrscheinlichkeiten zu rechnen, fiel ihm nicht ein. Welche Ehe ist denn glücklich? fragte er sich. Und nun gar bei einer Frau, die er drei Jahre lang fast ohne Unterbrechung angebetet hatte! Also, folgerte er, würde es nicht schwer fallen, das Fünkchen, das gewiß noch immer unter der Asche glomm, wieder zur Flamme zu entfachen.
In dieser Zuversicht schlief er ein. Und neben ihm träumte Helene von batistenen Hemdchen und Jäckchen und von hellem Kinderlachen. —
Früh morgens zog Günther seinen neuen Cutaway an, holte den Zylinder aus dem Schrank und riß ein Paar neuer Schweden an. Und als Helene ihn noch halb verträumt fragte:
»Wohin gehst du denn?« und er keine Ausrede fand, da legte er geheimnisvoll den Zeigefinger auf den Mund und ging auf den Zehen zur Tür hinaus.
Über Helenes Gesicht glitt ein glückliches Lächeln. Das steht wohl damit in Verbindung! dachte sie, schlief wieder ein und träumte weiter.
Günther aber beeilte sich beim Tee, trug dem Friseur besondre Sorgfalt auf, kaufte beim Gärtner eine Blume fürs Knopfloch, stieg in ein Auto und fuhr in die Hildebrandsche Privatstraße, in der Villiers ihre Wohnung hatten.
»Falls Madame noch bei der Toilette ist, so komme ich lieber in einer halben Stunde wieder,« sagte er zu dem Diener, der ihn von der Halle aus in den Salon führte.
»Durchaus