Die Jazzkapelle tobte – und Frau Dorothée, von der man nur den Schatten an den Wänden und an der Decke sah, warf ihren Kimono ab und tanzte leidenschaftlich. Bis zur Erschöpfung. Dann verschwand auch sie in der Koje.
Im Tanzsaal unten hatte man die Fenster geschlossen. Gedämpfte Klänge eines Tangos, begleitet von melancholischem Gesang, drangen ins Zimmer.
Zwei bis drei Minuten lang. Da krachte in der Koje ein Schuß. Aus der Portiere trat hastig ein Mann – eilte zum Balkon – schwang sich über die Brüstung – verschwand. In der Koje schrie Dorothée laut auf stürzte aus dem Bett – ins Zimmer – zur Tür – und rief laut um Hilfe.
9
Erregte Menschen stürzten auf die Hilferufe Dorothées hin in das Zimmer. Hotelpersonal und Gäste, die auf der gleichen Etage wie Marots wohnten – , ohne daß man sie in der Dunkelheit voneinander unterscheiden konnte.
»Licht an!« rief plötzlich eine Stimme. Im selben Augenblick lag das Zimmer hell. An der Portiere stand zitternd Dorothée und starrte zur Koje. Da sie in den Knien wankte und hinzustürzen drohte, eilten der Kellner und das Stubenmädchen auf sie zu und stützten sie. In der Mitte des Zimmers stand der Direktor, der, ohne zu wissen, was geschehen war, zur Tür sah und dachte: »Nur kein Skandal!« – Vor der Tür drängten sich die Hotelgäste – in Nachtanzügen und großen Abendtoiletten.
»Platz für die Behörde!« rief Frau Turel und stürzte ins Zimmer.
»Frau Turel!« sagte der Direktor aber sie eilte an ihm vorbei, warf einen Blick auf Dorothée, die zur Koje wies und hauchte:
»Mein Mann!«
Frau Turel riß die Portiere zurück, eilte in die Koje und machte Licht. Man sah Dorothées zerwühltes Bett. Man sah Frau Turel, die sich über das von der Portiere verdeckte Bett Marots beugte. Man hörte, wie sie halblaut, aber mit fester Stimme sagte:
»Herzschuß!«
Die Gäste an der Tür fuhren zusammen und gaben einen Laut von sich, als hätten sie ein Herz und eine Stimme. Dorothée verlor das Bewußtsein und hing in den Armen des Stubenmädchens, das selbst in den Knien zitterte und sich nur mühsam aufrecht hielt.
»Einen Arzt!« rief der Direktor dem Kellner zu und glaubte damit die Hotelgäste zu beruhigen. Aber Frau Turel erklärte:
»Der kann nicht mehr helfen. Rufen Sie die Polizei!«
»Die wird ihn auch nicht wieder lebendig machen«, sagte der Kellner und verließ das Zimmer.
Der Direktor war in die Koje getreten und flüsterte Frau Turel zu:
»Ich möchte auch bitten – wenn irgend möglich ohne Aufsehen.«
»Rühren Sie nichts an«, rief Frau Turel, da der Direktor sich bückte, einen Revolver aufhob und ihn ihr mit den Worten:
»Die Mordwaffe!« überreichte.
»Wie ungeschickt! Jetzt haben Sie die Spur verwischt!«
Inzwischen war bei Frau Dorothée das Bewußtsein zurückgekehrt. Sie riß sich von dem Mädchen, das sie noch immer hielt, los und machte den Versuch, sich auf das Bett des Toten zu stürzen. Frau Turel hielt sie zurück.
»Andrée!« rief Dorothée pathetisch und suchte Frau Turel zur Seite zu schieben. Es gelang ihr nicht.
»Ihnen liegt doch daran, daß man den Täter stellt«, sagte Frau Turel. Dorothée erwiderte schluchzend:
»Mir liegt nur an Andrée – an nichts anderem.«
Frau Turel führte Dorothée zu einem Sessel, auf den sie niedersank, und suchte sie zu beruhigen:
»Ich verstehe Sie, gnädige Frau. Aber Sie müssen sich jetzt zusammennehmen. Die ersten Minuten sind die wichtigsten. »Was jetzt versäumt wird, ist nicht wieder einzuholen.«
»Ich will zu ihm«, bettelte Dorothée.
»Nicht jetzt – später«, erwiderte Frau Turel – und der Direktor erbot sich, für Dorothée, für die sich die Gäste weit mehr interessierten als für den Toten, ein anderes Zimmer anzuweisen.
Frau Turel widersprach:
»Sie sind die einzige Zeugin, gnädige Frau. Fühlen Sie sich imstande, zu erzählen, wie sich der Vorgang abgespielt hat?«
»Ich . . . ich . . . kann nicht!«
»Sie schliefen?«
»Mein Mann hatte das Licht gelöscht oder ich – das weiß ich nicht mehr – jedenfalls, es war dunkel – unten spielte die Kapelle – ich tanzte – bis ich todmüde ins Bett sank.«
»Weiter!« drängte Frau Turel.
»Ich schlief – plötzlich – es können nur wenige Minuten gewesen sein – «
»Was war plötzlich?«
»Ein Schuß! – Ich fahre auf – und sehe am Bett meines Mannes« – Dorothée sank in den Sessel zurück und schloß die Augen.
»Stand das Fenster offen?«
»Nein! – oder doch! – es kann sein – ja! ja! ich selbst hatte es geöffnet.«
»Was sahen Sie?«
»Eine Gestalt – einen Mann – einen Schatten
– der etwas fallen ließ . . .« »Den Revolver.«
». . . und zum Fenster stürzte.« »Konnten Sie ihn erkennen?« »Ich sah ihn nur von hinten – und nur einen Augenblick – außerdem war es dunkel.«
»Die Nacht ist sternenklar. – War er groß – klein?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Dorothée gequält –
»Ein Mann war es jedenfalls?« »Ich nehme es an.« »Hatte er einen Bart?«
Dorothée schloß die Augen und besann sich.
»Jetzt ist mir,« sagte sie halb im Traum – »als ob ich ihn vor mir sehe – an der Portiere war er – groß – und glattrasiert«.
»Also haben Sie ihn auch von vorn gesehen?«
»Von der Seite.«
»Glaubten Sie, ihn zu kennen?«
»Ich habe nichts gedacht – es war ja nur einen Augenblick und dann: ich war vor Schreck wie gelähmt.«
Frau Turel stand jetzt dicht vor Dorothée, die ihre Augen noch immer geschlossen hielt.
»Ein Bekannter Ihres Mannes vielleicht? – Rufen Sie sich das Bild ins Gedächtnis zurück.«
»Mir scheint. . . als hätte ich ihn aber nein!«
»Als hätten Sie ihn«, wiederholte Frau Turel im Tonfall Dorothées – die fortfuhr:
». . . schon mal. . .«
»Schon mal – « wiederholte Frau Turel.
». . . irgendwo gesehen.«
»Wo?«
»Das weiß ich nicht.«
»Denken Sie scharf nach – kann es heut gewesen sein?«
»Möglich ist es.«
»Heut abend?«
»Früher schon – oder auch erst heut. . . jetzt werde ich das Bild nicht mehr los« – sie hob wie hypnotisiert plötzlich den Kopf, richtete sich zum Fenster hin auf, streckte die Arme aus und schrie: »Großer Gott! was tust du!« – dann fiel sie vorn über.
Frau Turel fing sie auf.
»Nehmen Sie doch Rücksicht!« schalt der Direktor. »Sie bringen die Arme ja um den Verstand.«
In diesem Augenblick stürzte Mister Harvey, der über sein Pyjama einen seidenen Rock geworfen hatte, ins Zimmer.
10
Er sah