»Dann trinken wir schnell noch einen Whisky hinterher – der bringt Sie wieder auf die Beine.«
»Wenn ich allein mit Ihnen wäre, würde ich es nicht riskieren.«
»Glauben Sie, ich könnte Ihnen gefährlich werden?«
»Wenn ich sehr müde bin«, erwiderte Dorothée kokett.
»Das ist kein Kompliment.«
Harvey läutete und bestellte bei dem Kellner, der gleich darauf erschien, zwei Whisky-Soda.
»Du trinkst doch mit?« rief Dorothée ihrem Manne zu.
»Ich liege schon mit einem Bein im Bett. – Aber trink' du nur, dann wirst du müde und schläfst schnell ein.«
»Haben Sie schon mal so einen langweiligen Mann erlebt?«
»In dem Sinne hat er es vermutlich nicht gemeint.«
»Verlassen Sie sich darauf, er meint es immer so.«
»Ich bin in der Tat heute zu nichts mehr fähig«, sagte Andrée – und man hörte, wie sein schwerer Körper ins Bett fiel.
»Aus!« rief Dorothée – und Mister Harvey sagte tröstend:
»Er hat Sie trotzdem lieb.«
»Andrée hat mein Leben mit zehntausend Franks versichert. Die genügen ihm, um über meinen Tod hinwegzukommen während er sein eigenes Leben mit sechsmal hunderttausend Franks versichert hat.«
»Das beweist doch, wie besorgt er um Sie ist.«
»Sie nehmen immer seine Partei«, erwiderte Dorothée und wandte sich an den Toilettentisch.
»Wünschen Sie, daß ich auf mein Zimmer gehe?«
»Haben Sie es so eilig? Wir haben doch eben zu trinken bestellt.«
»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie gern ich bei Ihnen bliebe.«
»Andrée hat einen sehr leichten Schlaf.«
»Frau Dorothée!«
»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich es mir bequem mache?«
»Aber nein! Ich hätte sonst das Gefühl, zu stören.«
»Erst die lange Fahrt – und dann noch dieser Cocktail, den Sie da, mit wer weiß was für Absichten, zusammengebraut haben.«
»Ich schwöre Ihnen . . .«
»öffnen Sie mir lieber das Kleid.« Der Amerikaner stürzte auf sie zu. Hinter dem Vorhang räusperte sich Marot. »Bis zu welchem Knopf darf Mister Harvey?« rief Dorothée ihrem Manne zu.
»Bis zum dritten – das weißt du doch.«
»Also bis zum vierten!« entschied Dorothée
– »da Sie unser Chef sind.«
Und als Mister Harvey vier Knöpfe geöffnet hatte, mußte er sich auf einen der Sessel am Tisch zurückziehen. Mit dem Gesicht zur Wand. – Dorothée stieg inzwischen aus ihrem Kleid. Im selben Augenblick klopfte es an der Tür.
»Der Kellner!« rief Dorothée entsetzt.
»Soll ich . . .?« fragte Harvey und wandte den Kopf.
»Nein! – Einen Augenblick! – Sagen Sie ihm
– oder lassen Sie mich! Aber drehen Sie sich nicht um!«
Sie ging entkleidet zur Tür, öffnete einen Spalt, so daß der Kellner ihr grade das Tablett mit den Gläsern reichen konnte – stand dann, das Tablett in der Hand, hilflos da.
»Ja, wollen Sie mir denn das Tablett nicht abnehmen?« rief sie plötzlich.
»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Harvey, stand auf und wandte sich zu ihr um.
»Nein!« rief sie entsetzt. »Andrée! »Wirf mir mein Kimono über.«
»Unmöglich! Ich habe ein Messer in der Hand.«
»Was tust du mit einem Messer?« fragte Dorothée – während ihr Harvey in ein schwarzseidenes Kimono half.
»Au! Jetzt habe ich mich geschnitten! – Ein Stück Watte bitte!«
»Watte?« – Dorothée warf beim Suchen alles durcheinander. »Das sage ich dir, ich bin zum letzten Male ohne Zofe gereist. Wo sucht man so etwas überhaupt?« wandte sie sich an Harvey, der ihr behilflich war.
»Unter meinen seidenen Strümpfen bestimmt nicht!«
»In der Hausapotheke!« rief Andrée.
Gleich darauf rief Dorothée, die alles von oben nach unten gekehrt hatte, freudig:
»Ich hab's! Brauchst du viel?«
»Einen kleinen Tuff!«
»Ich geb' es ihm«, sagte Harvey, nahm Dorothée die Watte aus der Hand und reichte sie Andrée, der den bloßen Arm durch die Portiere steckte.
Dorothée vertauschte inzwischen ihre Schuhe mit ein Paar Seidenpantöffelchen, die zu dem Kimono paßten.
»Wieso steht denn Ihr Gepäck hier?« fragte sie plötzlich und wies auf einen hohen Schrankkoffer, der in der Nähe des Fensters stand.
»Die Hausdiener haben ihn versehentlich auf Ihr Zimmer gebracht. – Stört er Sie?«
»Offen gesagt, hier steht schon genug herum.«
»Ich befreie Sie sofort davon.«
Er läutete und ließ sein Gepäck durch den Hausdiener auf sein Zimmer bringen. – Auch der Kellner erschien wieder und fragte, ob er die leeren Gläser herausnehmen dürfe.
»Leer?« sagte Frau Dorothée, »wir haben ja noch gar nicht getrunken.«
Und während ihr Harvey das Glas reichte und mit ihr anstieß, entschuldigte sich der Kellner und ging hinaus.
Auf dem Wege zur Tür sah er auf einem kleinen Tisch neben Toilettengegenständen, Taschentüchern und Strümpfen Frau Dorothées Perlenkette, Ohrgehänge und Ringe liegen. Er griff zu und verschwand damit – ohne zu bemerken, daß der Amerikaner ihn durch einen Wandspiegel beobachtete, stutzte, Miene machte, auf ihn zuzustürzen – dann aber überlegte, lächelte und ihn gewähren ließ.
Dorothée und Harvey wechselten noch ein paar Worte miteinander. Dann sagten sie sich gute Nacht.
»Bis morgen früh um neun zum Frühstück in meinem Salon«, sagte Mister Harvey und drückte Frau Dorothée die Hand.
Und als er draußen war, verschloß sie ihrer Gewohnheit gemäß die Tür.
8
Als Mister Harvey das Zimmer des Ehepaars Marot verließ, hatte Andrée das Licht in der Koje bereits gelöscht.
»Rücksichtslos wie immer«, dachte Dorothée sprach es aber nicht aus, sondern entkleidete sich weiter und suchte unter den Stößen von Sachen, die wahllos herumlagen, Wäsche, die sie für die Nacht gebrauchte.
Plötzlich fiel in der Koje etwas um. Gleich darauf erklang Marots Stimme:
»O je!«
»Was ist denn nun schon wieder?« fragte Dorothée.
»Ich habe dein Parfüm umgegossen.«
»Du bist von einer Ungeschicklichkeit.«
»Wer hat es denn auf den Nachttisch gestellt?«
»Die Zofe jedenfalls nicht.«
»Ich werde dir morgen eine neue Flasche kaufen.«
»Das kostet dich mehr, als wenn du die Zofe mitgenommen hättest.«
»Das ganze Zimmer riecht jetzt nach dem Zeug.«
»Vielleicht wirst du davon munter.«
»Mach' das Fenster auf!« »Wir wohnen im Zwischenstock.« »Es wird uns niemand heraustragen.« Dorothée öffnete die Balkontür. Nur eine Hand breit.