In der phlegmatischen Frechheit, mit der Udo alle seine Behauptungen aufstellte, hatte er über Hände gesprochen, diese unfreiwilligen Wappenschilder, mit denen Konstanze den ganzen Tag über in Beziehung stehen mußte.
Udo wollte wissen, daß es nur zwei wirkliche Unterschiede unter allen Abarten dieses menschlichen Werkzeugs, dieser Waffe, dieses Gerätes, Instrumentes, Spielzeugs gäbe: Finger, bei denen man spürte, daß sie jederzeit bereit waren, in Nasen und Ohren zu bohren, und solche, denen man solches niemals zuzutrauen wagte.
Konstanzes Blick spielte auf Herrn Blümels Hand, die auf dem Tisch Dreivierteltakt klopfte.
Konstanze errötete dabei. Wie wenn sie sich plötzlich eines hinterhältigen Gedankens gegen einen Arglosen schelten müsse.
Dabei glaubte sie nichts anderes gedacht zu haben, als daß solche korrekte Hände gewiß prachtvoll dafür zu sorgen vermochten, daß Geschäftsbücher ohne Eselsohren und Tintenflecke geführt würden …
Die Musik summte aus mit schmetterndem Schlußakkord.
Abendsonnenlicht durchströmte die Adern des grünen Laubes mit weinrotem Blut.
Aus dem nahen Tierpark rollte Brüllen nachtwach werdender Löwen und Tiger, schweres Rauschen machtvoller Adlerschwingen, die sich wie segnend vergeblich zum Flug auszubreiten suchten.
Nun eilte jeder der Stadt zu. Dreivierteltakt im Sinn und Schritt. Am Weg standen die Bettler.
Lachen, Geplauder vermischten sich mit der milden Luft.
An steiler Himmelswand, wo das Rot rasch erloschen, kletterte der kreisrunde Mond, langsam wie ein korpulenter Bergsteiger, hoch und höher.
Herr Blümel beeilte sich, noch einmal die Gemütlichkeit seines Wiens zu preisen.
In Konstanze bockte plötzlich etwas Böses, Traurigmachendes.
Sie antwortete, Gemütlichkeit wäre auch nichts anderes als grausame Gedankenlosigkeit.
Das Durcheinander der Autos hatte sie daran erinnert, daß Udo Erregung, Anspannung, Gefahr als höchste Güter pries. Daß, wenn er ein Auto lenkte in gewagtester Geschwindigkeit, er das damit entschuldigte, daß er Raubritterblut in den Adern, schon seine ältesten Vorfahren wären der Schrecken der Landstraße gewesen.
Herr Blümel war beunruhigt. Frauen blieben unverständliche Wesen. Eben noch lächelten sie, dann blickten sie fremd wie von einem anderen Stern herunter. Sie schienen aus anderem Stoff wie man selbst, waren niemals das, was man vermutete.
Herrn Blümels Unbehagen verstärkte sich, als Konstanze vor dem Parktor glattweg in ein Auto stieg. Nur weil sie müde war von allzuviel Sommerluft.
Die Fahrt verlief schweigsam. Konstanze hielt die Augen geschlossen. Herrn Blümels Blick war auf den Preiszeiger gerichtet. Dieser drehte sich schneller als irgendein Gestirn am Himmel.
Trotzdem beschloß Herr Blümel die Endsumme ohne Zögern zu bezahlen. Er fühlte sich verpflichtet, der Berlinerin zu beweisen, daß Wien noch immer die Stadt der Kavaliere.
Jedoch er konnte nicht verhindern, daß er im Sausen der Fahrt geschwind berechnen mußte, wieviel Wäscherechnungen oder wieviel Stiefelsohlen oder gar Mittagsmahlzeiten man für diese Summe hätte zahlen können. Als er die Menge Tassen Kaffee, die Unzahl knuspriger Kipfel fast zum Greifen deutlich vor sich sah, die man dafür hätte erstehen können, wurde ihm beinahe übel …
Trotzdem war Herr Blümel ein Verschwender.
Er hätte die rasche Wagenfahrt durch linden mondhellen Sommerabend, zur Seite einer jungen blonden Mitmenschin, vollauf genießen können.
Denn Konstanze bezahlte jene Summe, bevor Herr Blümel sich noch nach seiner Brieftasche zu durchstöbern begonnen hatte, die er, in Anbetracht der vielen und großen Verbrechen dieser Zeit, tief verwahrt trug.
Erst als Konstanze verschwunden war und sich Herr Blümel allein fand, zwischen Spaziergängern, die ihn alle so wenig angingen, wie sie sich um ihn kümmerten, spürte er das Vibrieren der Räder im Blut und das Bewußtsein, niemanden mehr neben sich zu haben.
Nicht ohne Mißmut begriff er gleichzeitig, daß er jegliche Verabredung eines Wiedersehens verabsäumt hatte. Daß Frauen vergeßlich sind, war begreiflich. Für sich als Mann hatte er weniger Verzeihung für diese Nachlässigkeit übrig.
Unruhig schritt er kreuz und quer durch die schlummerweiche Sommernachtluft. Überlegte dies und das, jenes und mancherlei, ohne auf die praktischen Tagesgedanken zu kommen, die ihn sonst in Anspruch nahmen und vor Langerweile bewahrten.
Er sagte sich, daß er sich telephonisch mit der jungen Dame in Verbindung setzen könne. Bei näherer Überlegung hielt er dies sogar für dringend nötig. Als Kavalier wünschte er das ausgelegte Fahrgeld möglichst schnell zurückzuerstatten.
Allerdings, dieses Reden ins Leere hatte leicht etwas Verwirrendes, wenn man mit Damen zu sprechen suchte. Man wiederholte leicht unnötige Worte, vergaß dagegen wichtige. Es brauchte nicht so zu sein, aber es konnte vorkommen.
Außerdem wußte Herr Blümel nicht, welchen Klang seine Stimme hatte.
Er wurde sich erstaunt bewußt, daß dies etwas war, worauf er noch nie geachtet hatte.
Sollte der Klang von auffallend unangenehmer Wirkung sein, würde er die junge Dame nicht damit zu erschrecken wünschen.
Er versuchte einige halblaut gemurmelte Worte zu belauschen, indem er vor sich hin zu flüstern begann.
Im Eifer solcher Selbstprüfung war Herr Blümel aus stillen Straßen der Vorstadt plötzlich in den belebten Betrieb der Praterstätte geraten.
Der Herr Kanzleioffizial sah sich genötigt, seine Probeversuche einzustellen. Sie wären wertlos gewesen. Sein Geflüster wurde von dem Lärm der Stimmen, Drehorgeln, Rollbahnen verschluckt, ohne daß sich ihr Klang kontrollieren ließ. Dagegen ergab sich die unangenehme Möglichkeit, daß Vorübergehende den halblaut Flüsternden für bezecht halten könnten.
Jedoch Herr Blümel, Gegner sonst jeder Heftigkeit und Unbeherrschtheit, vermochte plötzlich nicht die Neugier auf den Klang seiner Stimme zu bezähmen.
Gerad seit dem Augenblick, wo Herr Blümel die Flüsterworte begonnen, lief ein junges Mädchen neben ihm her. Zufällig, wie Herr Blümel meinte.
Herr Blümel beschloß behufs Stimmprüfung eine belanglose Frage an dieses junge Mädchen zu richten, einfach, laut und deutlich.
Mit kräftig betonter Stimme, sie klang dem scharf Aufhorchenden zu seiner Freude durchaus angenehm, fragte er, ob das Fräulein wisse, wie viel Uhr es sei?
»Jawohl,« war die geschwinde Antwort. Das junge Mädchen hängte sich vergnügt in den rechten Arm des Herrn Kanzleioffizials.
Herr Blümel rief geärgert, daß dies ein Irrtum sei.
Die neue Bekannte antwortete, daß nichts menschlicher als Irrtum wäre, und wanderte weiter mit Herrn Blümel.
Aus Ungeschick wachst Ungeschick. Um dem Mädchen endlich zu entfliehen, blieb dem Herrn Kanzleioffizial nichts anderes übrig, als das Gedränge vor einer Schaubude zu nutzen und in diese hinein zu flüchten.
Aus freiem Wollen wäre Herr Blümel niemals an solche Stätte gelangt.
Zwischen den Bretterwänden schwärte Dämmerung, gefüllt von Geheimnissen, von denen man nichts wissen wollte. Aber einmal hier, bezahlt mit teurem Eintrittsgeld, fühlte sich Herr Blümel verpflichtet, sich auch umzusehen.
Was er sehen mußte, sobald der Scheinwerfer aufblitzte, mußte jeden entsetzen, geschweige einen Mann wie ihn, der schon jede Schaustellung der Gefühle verabscheute, wie sie beispielsweise Verlobungen oder Trauungen mit sich bringen. Seine Augen erblickten eine Frau in voller Unverhülltheit, an jeder Leibesstelle tätowiert mit Emblemen.
Als der Herr Kanzleioffizial die Blicke sofort entrüstet abwendete, gewahrte er obendrein, daß er der einzige Zuschauer war.
Er suchte sich eiligst zu entfernen. Da erlosch der Scheinwerfer.
Herr