»Monseigneur,« sprach La Ramée, »Monseigneur! …«
»Oder man stirbt früher,« fügte der Herzog von Beaufort bei, »was auf dasselbe hinausläuft.«
»Monseigneur, sagte La Ramée, »ich will das Abendbrod bestellen.«
»Und Ihr glaubt, Ihr werdet etwas aus Eurem Zögling machen können?«
»Ich hoffe es,« antwortete La Ramée.
»Ich lasse Euch Zeit dazu,« murmelte der Herzog.
»Was sagt Monseigneur?« fragte La Ramée.«
»Monseigneur sagt, Ihr sollt die Börse des Herrn Cardinals nicht schonen, der meine Pension zu übernehmen die Güte gehabt hat.«
La Ramée blieb an der Thüre stehen.
»Wer! befiehlt Monseigneur hierher zu schicken?«
»Wen Ihr wollt, nur Grimaud nicht.«
»Den Offizier der Wache also. Mit seinem Schachspiel?«
»Ja.«
La Ramée entfernte sich.
Fünf Minuten nachher trat der Offizier der Wache ein und der Herzog schien ganz vertieft in die seltsamen Combinationen des Schachspiels.«
Es ist ein seltsames Ding um den Geist, und, welche Revolutionen bringen ein Zeichen, ein Wort, eine Hoffnung darin hervor. Der Herzog war seit fünf Jahren im Gefängniß, und ein Blick rückwärts geworfen, ließ ihm diese fünf Jahre, welche jedoch sehr langsam abgelaufen waren, minder lang erscheinen, als die acht und vierzig Stunden, die ihn noch von der zu seiner Entweichung bestimmten Stunde trennten.
Dann war ein Umstand, der ihn furchtbar beschäftigte; auf welche Weise sollte sich diese Flucht bewerkstelligen? Man hatte ihn auf ein günstiges Resultat hoffen lassen, aber dabei verborgen, was im Einzelnen die geheimnißvolle Pastete enthalten sollte. Welche Freunde harrten seiner? Er hatte also noch Freunde nach fünfjähriger Gefangenschaft? In diesem Fall war er ein bevorzugter Prinz.
Er vergaß auch nicht, daß außer seinen Freunden, was etwas sehr Seltenes ist, eine Frau sich seiner erinnert hatte; vielleicht war sie ihm nicht sehr gewissenhaft treu gewesen, aber sie hatte ihn wenigstens nicht vergessen, und das war viel.
Das war mehr, als es bedurfte, um den Herzog in Anspruch zu nehmen, es ging auch beim Schach, wie beim langen Ball. Herr von Beaufort machte Fehler über Fehler und der Offizier schlug ihn am Abend, wie ihn La Ramée am Morgen geschlagen hatte.«
Aber seine fortwährenden Niederlagen hatten einen Vortheil; es waren drei Stunden gewonnen, dann sollte die Nacht kommen und mit der Nacht der Schlaf.
So dachte der Herzog wenigstens; aber der Schlaf ist eine sehr launenhafte Gottheit, und gerade, wenn man sie ruft, läßt sie auf sich warten; der Herzog erwartete den Schlaf bis Mitternacht, drehte sich wieder und immer wieder auf seiner Matratze um, wie der heilige Lorenz auf seinem Roste. Endlich entschlummerte er. Aber bei Tagesanbruch erwachte er wieder; er hatte phantastische Träume gehabt; es waren ihm Flügel gewachsen; er wollte ganz natürlich entfliehen, und Anfangs unterstützten ihn seine Flügel vollkommen; als er aber eine gewisse Höhe erreicht hatte, fehlte ihm plötzlich diese seltsame Stütze, seine Flügel waren gebrochen und es kam ihm vor, als stütze er in bodenlose Abgründe, und er erwachte, Schweiß aus der Stirne und gerädert, als ob er wirklich einen Sturz durch die Luft gemacht hätte.
Dann entschlummerte er abermals, um auf’s Neue in einem Irrsale von Träumen umherzuschweifen, von denen der eine immer unsinniger war, als der andere. Kaum waren seine Augen geschlossen, als sein Geist, nach einem Ziele hingezogen, nach seiner Flucht, diese Flucht wieder zu versuchen anfing. Dann gestaltete sich etwas Anderes: man hatte einen unterirdischen Gang gefunden, der aus Vincennes hinausführen sollte; er drang in diesen Gang ein und Grimaud marschierte, eine Laterne in der Hand, vor ihm her, aber allmälig verengte sich der Gang und dennoch setzte der Herzog seinen Weg fort. Endlich wurde das unterirdische Gewölbe so eng, daß der Flüchtling vergebens weiter zu gehen suchte; die Wände schlossen sich an einander an und preßten sich, er machte unerhörte Anstrengungen, um vorzurücken, es war unmöglich; dabei sah er jedoch in der Ferne, seine Laterne in der Hand, Grimaud vor sich, der immer vorwärts marschierte; er wollte ihm rufen, daß er ihm aus diesem Engpaß, der ihn erstickte, sich hervorarbeiten helfe, aber er war nicht im Stande ein Wort auszusprechen. Dann vernahm er am andern Ende, an dem, wo er hereingekommen war, die Tritte derjenigen, welche ihn verfolgten; diese Tritte kamen immer näher, er war entdeckt, er hatte keine Hoffnung, zu entfliehen. Die Mauer schien mit seinen Feinden einverstanden zu sein; sie Preßte ihn um so mehr, je mehr er der Flucht bedurfte; endlich hörte er die Stimme von La Ramée; er hörte ihn, er sah ihn. La Ramée streckte die Hand aus und legte ihm in ein schallendes Gelächter ausbrechend, die Hand auf die Schulter; er war wieder gefangen und wurde in das niedere gewölbte Zimmer geführt, in welchem der Marschall Ornano, Puylaurens und sein Oheim gestorben waren; ihre drei Gräber ragten über den Boden empor, ein viertes Grab war geöffnet und schien nur einen Leichnam zu erwarten.
Als der Herzog abermals erwachte, gab er sich eben so viel Mühe, wach zu bleiben, als er sich gegeben hatte, um einzuschlafen, und als La Ramée eintrat, fand er ihn so bleich und abgemattet, daß er ihn fragte, ob er krank wäre.
»In der That,« sprach eine von den Wachen, welche im Zimmer gelegen war und wegen eines Zahnwehs ins Folge der Feuchtigkeit nicht hatte schlafen können, »Monseigneur hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und zwei oder drei mal im Traume um Hilfe gerufen.«
»Was fehlt denn, Monseigneur?« fragte La Ramée.
»Du bist es, Dummkopf,« sagte der Herzog, »der Du mit Deinem albernen Entweichungs-Geschwätz mir gestern den Kopf verwirrt hast; Du bist die Ursache, daß ich träumte, sich fliehe und breche mir auf der Flucht den Hals.
La Ramée brach in ein Gelächter aus.
»Ihr seht Monseigneur,« sprach La Ramée, »das ist eine Verkündigung des Himmels; ich hoffe auch, Monseigneur wird nie Unklugheiten begehen, wie man sie träumt.«
»Und Ihr habt Recht, mein lieber La Ramée, erwiderte der Herzog den Schweiß abtrocknend, der noch über seine Stirne lief, obgleich er völlig wach war, »ich will nur noch an Essen und Trinken denken.«
»St!« flüsterte La Ramée.
Und er entfernte die Wachen eine nach der andern unter irgend einem Vorwand.
»Nun?« fragte der Herzog, als sie allein waren.
»Eure Mahl ist bestellt,« antwortete La Ramée.
»Und worin wird es bestehen? laßt hören, mein Herr Obersthofmeister.«
»Monseigneur hat versprochen, sich auf mich zu verlassen.«
Es wird eine Pastete dabei sein?«
»Ich glaube wohl, so dick, wie ein Thurm.«
»Gemacht von dem Nachfolger des Vaters Marteau?«
»Befohlen.«
»Und Du hast gesagt, es sei für mich?«
»Ich habe es ihm gesagt.«
»Und was antwortete er?«
»Er würde thun, was in seinen Kräften läge, um Eure Hoheit zufrieden zu stellen.«
»Vortrefflich!« rief der Herzog sich die Hände reibend.
»Teufel! Monseigneur,« sprach La Ramée, »wie Ihr Euch plötzlich auf ein leckeres Mahl freut; seit fünf Jahren habe ich Euch nie so vergnügt gesehen, wie in diesem Augenblick.«
Der Herzog sah, daß er sich nicht genug bemeistert hatte; aber in diesem Momente, als hätte er gehorcht und begriffen, es wäre dringend, La Ramée von seinen Gedanken abzubringen, trat Grimaud ein und bedeutete La Ramée durch ein Zeichen, er hätte ihm etwas zu sagen.
La Ramée näherte sich Grimaud, der ganz leise mit ihm sprach.
Der