So sey es . Александр Дюма. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Александр Дюма
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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zu einer Felsengruppe, an welcher einige Tage vor meiner Ankunft ein Schiff gescheitert war.

      Die fünf Seeleute, welche sich am Bord befunden, waren umgekommen; die menschliche Maschine war zuerst vernichtet worden.

      Der Rumpf des Schiffes war mit solcher Gewalt zwischen zwei Felsen geworfen worden, daß er festsaß.

      Am ersten Tage, wo ich das gestrandete Schiff besuchte, hatte es noch einen Mast, das Bugspriet und den größten Theil des Takelwerks. Aber es war Winter und das Meer immerfort unruhig; das Schiff verlor daher täglich etwas von seinem Takelwerk. Heute war’s eine Segelstange, morgen ein Mast, übermorgen das Steuerruder. Wie ein Rudel Wölfe einen Leichnam anfällt, so wälzten sich die Wogen auf das Wrack und rissen ein Stück davon ab,

      Bald war das Schiff völlig abgetakelt. Nach dem Oberwerk wurde das Unterwerk abgerissen; die Planken wurden zertrümmert, dann sprang das Verdeck in Stücke, dann wurde das Hintertheil von den Wellen weggespült, endlich verschwand das Vordertheil.

      Lange noch hing ein Stück des Bugspriets an seinem Tauwerk fest.

      Endlich in einer stürmischen Nacht rissen die Taue, und der Mast würde von den Wellen fortgerissen.

      Die letzte Spur des Schiffbruches war unter dem sich immer wiederholenden Andrang der Wogen, unter dem gewaltigen Flügel des Windes verschwunden.

      Ach, lieber Freund, ich mußte mir selbst gestehen, daß, es mit meinem Schmerz ebenso ging, wie mit dem gescheiterten Schiffe, von welchem täglich ein Stück losgerissen und in das unendliche Weltmeer getrieben wurde. Endlich kam die Zeit, wo äußerlich nichts mehr sichtbar blieb, und wie an der Stelle, wo das Wrack auf den Klippen festgesessen, nur noch diese Klippen geblieben waren, ebenso blieb da, wo mein Schmerz nach und nach verschwunden war, nur ein Abgrund zurück.

      Wer sollte diesen Abgrund ausfüllen? Ob wohl die Freundschaft genügen würde oder ob es nur die Liebe vermochte?

      Ich kehrte nach Frankreich zurück.

      Mein nächstes Reiseziel war das Schloß Frières. Als ich die Reihe geschlossener Fenster, als ich das Zimmer, wo meine Mutter gestorben war, das Grab« in welchem sie ruhte, wiedersah, fand ich die Thränen wieder, die ich versiegt geglaubt.

      In den ersten Tagen durchlebte ich noch einmal alle Stadien meines früheren Schmerzes.

      Man zeigte mir an der Mauer das Erinnerungszeichen an Ihren Besuch. Ich erkannte Sie, obgleich Ihr Name nicht darunter stand.

      Ich hatte meinem Schmerz zu viel zugetraut, als ich wieder nach Frières kam; er war nicht mehr stark genug, um zu bleiben: ich fühlte, daß diese ehrwürdige Stätte für mich dasselbe werden würde, was die Kirche für den Priester. Ich gewöhnte mich daran.

      Ich fühlte das Bedürfniß, diesen Wohnort, von welchem ich mich vor vier Monaten kaum loszureißen vermochte, zu verlassen.

      Statt mit Thränen zu scheiden, ging ich mit trockenen Augen, aber mit gepreßtem Herzen fort.

      Ich hatte geglaubt, daß ich Paris nie wiedersehen würde, und nun ging ich aus freiem Antriebe dahin.

      In Paris fand ich das gleiche bunte, fieberhaft bewegte, sorglose, selbstsüchtige Leben, welches zwischen den Zähnen dieses sich unaufhörlich drehenden, in das Weltgetriebe eingreifenden Riesenrades Alles zermalmt, den Besitz, die sociale Stellung der Menschen, die Throne und Dynastien. Das öffentliche Leben wurde von scandalösen Prozessen durchzuckt; überall hörte man die Namen Teste, Praslin, Villefort.

      Ich weiß nicht, ob ich durch meine Abwesenheit, durch meinen Schmerz, durch meine lange Einsamkeit, durch meinen Aufenthalt am Ocean eine gewisse Sehergabe bekommen hatte, aber ich glaubte in diesem moralischen Chaos etwas Dunkles, unergründliches, eine politische Sündflut zu sehen, in welcher eine ganze Epoche untergehen müsse.« Ich sah im Geiste das große stattliche Schiff, welches den Namen »Frankreich« führt, mit ausgespannten Segeln auf offenem Meere; der Himmel war heiter, keine Klippen zeigten sich in der Nähe, aber das Schiff versuchte unaufhörlich gegen Wind und Strömung zu fahren; ich sah am Steuerruder den mürrischen Lootsen, den ernsten Geschichtschreiber, den starren fühllosen Mann, dem ein altersschwacher, verblendeter König die Lenkung des Schiffes anvertraut hatte – und dachte an die wahren Worte, welche der Herzog von Orleans einst zu mir gesprochen: »Dieser Mann legt uns beißende Senfpflaster auf und wir brauchen erweichende Umschläge!«

      Der kluge, einsichtsvolle Prinz hatte Recht gehabt: Herr Guizot legte der französischen Nation, deren Nervensystem schon überreizt war, Senfpflaster auf.

      Ich war ganz erstaunt über dieses Phantasiegebilde. Hätte der Herzog von Orleans noch gelebt, ich wäre zu ihm gegangen und hätte ihn gefragt: »Habt ich mich geirrt? Sehen Sie nicht auch, was ich sehe?

      Aber er ruhte in seiner Familiengruft zu Dreux; er wenigstens war sicher, aus dem ihm so theuren Frankreich nicht verbannt zu werden.

      Mich kümmerte es nicht, ich nahm an nichts mehr Theil.

      Ich dachte an zwei Freunde: an Sie und an Alfred de Senonches.

      Sie waren eben mit der Gründung eines Theaters beschäftigt und dies gab Ihren Gedanken eine von den meinigen ganz verschiedene Richtung.

      Vom künstlerischen Standpunkte betrachtet, war Ihr Unternehmen gut und schön, ich wollte Sie dabei nicht stören.

      Ich erkundigte mich nach Alfred de Senonches; er war Präfect in Evreux.

      Die Normandie war mir eben recht mit ihren schönen schattigen Wäldern, mit ihren klaren Bächen und grünen Triften.

      Ueberdies hatte ich dort Gelegenheit, ein krankes Herz zu studiren, zu trösten, vielleicht zu heilen.

      Ich beschloß nach Evreux zu reisen.

      Als Gast wollte ich indeß nicht zu meinem Freunde kommen; ich wollte ihn auf der Durchreise besuchen, das Uebrige sollte von der Aufnahme abhängen, die ich bei ihm finden würde. Wenn ich nicht mit ihm zufrieden war, wollte ich weiter reisen.

      Eines Morgens kam ich auf die Präfectur. Ich fragte nach dem Herrn Präfecten.

      Man antwortete mir« der Herr Präfect habe ungeheuer viel zu thun und lasse Niemand vor.

      Ich antwortete, es sey keineswegs meine Absicht, ihn zu stören, ich sey ein Freund von ihm und auf der Durchreise. Der Amtsdiener entschloß sich endlich, meine Karte zu übergeben.

      Einige Secunden nachher ging die Thür auf.

      Es war Alfred de Senonches in eigener Person. Er schob den Amtsdiener auf die Seite und nannte ihn einen Einfaltspinsel, weil er mich nicht erkannt hatte.

      »Sie hätten doch an der Haltung dieses Herrn, an dem Schnitt seines Fracks, an der Form seiner Karte erkennen sollen, daß dieser Herr kein Beamter meines Verwaltungsbezirkes ist, und daß es mir folglich sehr angenehm seyn würde, ihn zu empfangen. Derlei Versehen dürfen Sie künftig nicht mehr machen.«

      Er schlang einen Arm um meinen Hals und zog mich in sein Cabinet.

      »Da bist Du ja!« sagte er, »Ich habe Dich schon lange erwartet, aber heute glaubte ich das Vergnügen nicht zu haben. Du kommst wie gerufen, lieber Max; der Generalrath ist heute versammelt, morgen tractire ich alle hervorragenden Persönlichkeiten des Departements de l’Eure. Wenn Du dummen Stolz, maßlose Eitelkeit, eingebildete Hohlköpfe suchst, so lösche deine Laterne aus, Diogenes, Du hast deine Leute gefunden.«

      »Ich glaube vielmehr,« erwiederte ich, »daß ich sehr zur Unzeit gekommen bin und daß ich Dich belästige. Du hattest Befehl gegeben, Niemand vorzulassen, Du hattest Dich eingeschlossen und dachtest an die uns bedrohenden schweren Ereignisse —«

      »Ich! Lieber Freund, warum soll ich an solche Dinge denken? Ich habe zwanzigtausend Francs Renten in Grundstücken, die mir durch kein Ereigniß, wie schwer es auch sey, genommen werden können. Ich bin zum Garcon geboren, habe als Garcon gelebt und werde wahrscheinlich als Garcon sterben. Eine Geliebte hatte mich betrogen und ich hätte mir aus Verzweiflung fast eine Kugel durch den Kopf gejagt; denke Dir das Unglück, wenn’s meine Frau gewesen wäre. Sie hätte dann freilich eine gute Entschuldigung gehabt, sie würde gesagt haben: Ich konnte Dich nicht verlassen! Die Andere hatte eben denselben Grund,