Der Marquis würde nicht einmal unter der Bedingung, die Ludwig XV. seinem Leibarzt stellte, nemlich »den Hemmschuh einzulegen«, den ersten Theil des Vorschlags angenommen haben; der zweite Theil allein schien ihm ausführbar und er erwiederte mit einem Seufzer: »Gut verschaffen Sie mir eine Frau.«
Der Notar meinte, man müsse das Eisen schmieden, so lange es heiß sei; er schlug daher seinem Clienten eine Partie mit 45,000 Franken jährlicher Renten vor. Der Marquis war so freudig überrascht, daß er sich sogleich bereit erklärte, die Million anzunehmen, ohne die Hände, die sie ihm bringen sollten, in Augenschein zu nehmen.
Der Marquis war in der That ein Glückskind. Die Inhaberin der Million hatte schöne, weiße, aristokratische Hände; sie war die letzte Blüthe eines hochansehnlichen alten Stammes in der Landschaft Blois, zählte achtzehn Jahre, war sehr hübsch und hatte eine sorgfältige Erziehung genossen. Ueberdies war sie eine Waise, und das verdoppelte den Werth der Million in den Augen des künftigen Gemals, der sich der lästigen Ueberwachung von launischen Schwiegereltern überhoben sah.
Einige Tage nach seiner Unterredung zwischen dem Marquis und seinem Notar wurden die beiden jungen Leute einander vorgestellt, und nach einer zweimonatlichen Bewerbung, die dem Marquis schwere Opfer an den gewohnten Genüssen kostete, wurde er in der Kirche zu Châteaudun mit dem Fräulein von Nanteuil vermält.
In einer sogenannten C o n v e n i e n zheirat – ein nach unserer Meinung sehr unpassender Ausdruck, denn es kommt dabei ja nicht in Betracht, ob die künftigen Gatten einander C o n v e n i r e n – ist fast immer gegenseitige Gleichgültigkeit, auf einer Seite oft sogar entschiedene Abneigung vorhanden. Dies war jedoch bei dieser bevorstehenden Verbindung nicht der Fall; denn obgleich Emma – so hieß das Fräulein von Nanteuil – dem Marquis sehr gleichgültig war, so liebte sie ihn doch aufrichtig und mit aller Hingebung.
Die jungen Mädchen aus den höheren Ständen mögen Sympathien und Hoffnungen gehegt haben, aber selten haben sie mehr empfunden, und noch seltener hat die Strenge ihrer Erziehung eine wirkliche Liebe in ihnen entstehen lassen. Sie haben in den Jahren, welche die Kindheit von der Vermählung trennen, wohl Sehnsucht nach Liebe gefühlt und ungeduldige Wünsche gehegt; aber ihre Stellung in der Gesellschaft ist so scharf abgegrenzt, daß nur wenige von ihren vorhandenen Gefühlen etwas merken lassen und fast alle sich die Ohren zuhalten, um das ungestüme Pochen ihres Herzens nicht zu hören. Sie träumen viel und glauben zu lieben, ohne wirklich zu lieben. So schwankt ihr Gemüth zwischen lauter Traumbildern, ähnlich den vom Lufthauch umhergetriebenen Sommerfäden, die nicht Festigkeit genug haben, um einen dauernden Standpunkt einzunehmen.
In einem Kloster erzogen, hatte Emma nur im Geiste ihren zukünftigen Gatten gesehen. Als ihr daher der Vormund auf den Antrag des Notars einen liebenswürdigen, ihren schönsten Träumen entsprechenden jungen Mann vorstellte, glaubte sie an eine Fügung der Vorsehung und dankte Gott von ganzem Herzen für das Glück, das ihr zu Theil wurde.
Die bisher unbekannten Gefühle, welche der tägliche Verkehr mit dem Marquis in ihr merkte, bewirkten wie ein magnetischer Strom diesen Uebergang von der Zuneigung zur Liebe.
Die Sinne sind um so thätiger, je weniger ihre Thätigkeit geahnt wird. Wenn daher Emma von ihrem Verlobten sprach und »mein schöner Raoul« sagte, so war leicht zu erkennen, daß sie ungeachtet ihrer Reinheit und Unschuld ein sinnliches Wohlgefallen an ihm fand; man ahnte, daß es keine blos geistige Liebe war, welche das holde Mädchen an den Mann ihrer Wahl fesselte, und man sah ihre Verblendung, wie es die vernünftigen Leute nannten.
Denn es fehlte nicht an Warnungen über das ihr bevorstehende Schicksal; es fehlte nicht an Briefen ohne Namensunterschrift, denen sie wohl keinen Glauben schenken mochte; der Wunsch, die Marquise von Escoman zu werden, war bei der armen Emma so lebhaft, daß sie nicht nur den anonymen Briefen und wohlgemeinten Warnungen, sondern auch den dringenden Vorstellungen einer mütterlichen Freundin widerstand. Die Letztere war eine alte Dienerin, die wegen ihrer Treue und Ergebenheit nach und nach den Platz eingenommen hatte, der durch den frühen Tod der Mutter des Fräuleins von Nanteuil erledigt worden war.
Susanne Mottet war Kammerjungfer des Fräuleins von Nanteuil, der nachmaligen Gräfin von Nanteuil, gewesen und hatte acht Tage nach der Vermählung ihrer Herrin einen Kammerdiener des Herrn von Nanteuil geheiratet. Sie war die Amme der kleinen Emma geworden und hatte ihre zärtliche Sorge zwischen dieser und ihrem eigenen Kinde getheilt.
Das letztere starb und es schien der treuen Susanne, als sei die Seele des Verstorbenen in ihren leiblichen Säugling übergegangen; so tröstete sie sich durch die sorgsame Pflege der kleinen Emma über den Verlust ihres eigenen Kindes. Die derbe Bäuerin war der Kleinen mit wahrhaft leidenschaftlicher Zärtlichkeit zugethan; sie war sorgsamer, ängstlicher, als die Mutter selbst. Bei der mindesten Unpäßlichkeit ihres Lieblings vergoß sie Thränen, bei dem geringsten Unfall hörte man Susanne schreien. Man pflegt die gänzliche Hingebung einer Person an eine andere mit den Worten auszudrücken: sie würde das Leben für sie geben. Diese sprichwörtliche Redensart war bei Susanne Mottet ganz buchstäblich zu nehmen. Diese Zärtlichkeit ging so weit, daß Frau von Nanteuil die Sache für bedenklich fand. Die Eifersucht einer Mutter ist leicht zu wecken. Die Dame glaubte, ihr Kind werde zu ihrer überzärtlichen Amme eine entschiedene Zuneigung bekommen und dem Mutterherzen entfremdet werden, und sie beschloß Susanne Mottet zu entfernen.
Dieses Mal blieb es aber nicht bei Thränen und Jammergeschrei. Die arme Susanne war ein Bild stummer Verzweiflung, und die Gräfin sah ein, daß sie nicht das Recht hatte, sie so hart zu behandeln. Bestand doch ihr ganzes Unrecht in allzu zärtlicher Liebe, zu einem fremden Kinde. Susanne Mottet blieb bei der kleinen Emma, und da sie mit wunderbarem Instinkt die Ursache dieser beschlossenen Entlassung eingesehen hatte, da sie sogar Anwandlungen von Eifersucht fühlte, wenn das Kind zärtlich mit der Mutter war, so beschloß sie, in Gegenwart der Frau von Nanteuil, sogar vor den Dienstleuten und Fremden ihre leidenschaftliche Zärtlichkeit zu verbergen. So gewann sie nach und nach so viele Selbstbeherrschung, daß sie die Hoffnung, die ihr Leben war, in ihr Herz verschloß.
Aber kaum war sie allein mit dem Kinde, so überließ sie sich ganz ihren Gefühlen; sie drückte es mit Entzücken und Freudenthränen an ihr Herz, nannte es mit den zärtlichsten Namen und geberdete sich wie toll.
Die kleine Emma, welche nur zwei Personen, ihre Mutter und Susanne, in der Welt kannte, theilte zwischen ihnen ihre ganze Zärtlichkeit, von welcher die Mutter nur sehr wenig mehr erhielt als die Amme.
Ueberdies wurde Emma, als sie größer ward, ihrer Mutter immer näher gerückt; sie schlief nicht mehr in der Stube ihrer Amme, sondern in einem großen Cabinet neben dem Zimmer der Gräfin.
Diese Uebersiedlung war eine schwere Prüfung für Susanne; es schien ihr, als würde ihr die Hälfte ihres Glückes geraubt, als würden die Nächte aus ihrem Leben genommen. Oft schlich sie in der Dunkelheit, während Frau von Nanteuil schlief, mit angehaltenem Athem und ungestüm pochendem Herzen, als ob sie ein Verbrechen begehen wollte, in das Cabinet, um ihre kleine Emma zu küssen. Ein paarmal erwachte die Mutter und Susanne gab vor, es sei ihr vorgekommen, das Kind schreie und sie habe keine Ruhe gehabt.
Es war die Zeit der großen Kriege. Der Graf von Nanteuil war Oberst eines Kürassierregimentes, er hatte die Siege des Kaisereiches mit erkämpft und nahm nun an den Niederlagen Napoleons theil. Er war an der Moskowa, bei Leipzig und Montmiral verwundet worden; bei Waterloo blieb er.
Die Gräfin erhielt eines Tages von dem Kriegsminister einen schwarzgesiegelten Brief, der ihr diese Trauerbotschaft brachte.
Die kleine Emma war damals zwei Jahre alt.
Wenn uns der Tod eine tiefe Wunde geschlagen hat, werden uns die Ueberlebenden um so theurer. Die Gräfin von Nanteuil wandte nun der kleinen Emma ihre ganze Liebe zur bis zum zehnten Jahre kam das Kind fast nie von der Seite der Mutter, und Susanne wurde, ohne eine Fremde für die Kleine zu werden, allmälig aus ihrer nächsten Umgebung entfernt.
Zwanzigmal war die Amme, der diese Entfernung von dem geliebten Kinde das Herz brach, im Begriff, ihren Abschied zu verlangen und sich in ihre Familie zurückzuziehen, aber sie hatte nicht den Muth dazu; sobald sie den Mund aufthat,