Als der Postmeister Philipp erblickte, warf er sich gleichsam vor diesem unerwarteten Beschützer auf die Kniee.
»Herr Officier,« rief er, »wissen Sie, was vorgeht?«
»Nein,« antwortete Philipp kalt, »doch Sie werden es mir sagen, mein Freund«
»Man will mit Gewalt die Pferde Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Dauphine nehmen.«
Philipp spitzte die Ohren wie ein Mensch, dem man etwas Unglaubliches mittheilt.
»Und wer will die Pferde nehmen?« fragte er.
»Dieser Herr,« sagte der Postmeister.
Und er bezeichnete mit dem Finger den Vicomte Jean.
»Dieser Herr?« wiederholte Philipp. »Ei, Mord und Tod! ja, ich selbst,« sprach der Vicomte.
»Sie täuschen sich,« versetzte Taverney den Kopf schüttelnd, »der Herr müßte entweder ein Narr oder kein Edelmann sein.«
»Sie täuschen sich über diese beiden Punkte, mein lieber Lieutenant,« sprach der Vicomte, »man hat einen Kopf, der völlig in Ordnung ist, und man steigt aus den Carrossen Seiner Majestät aus, bis man wieder in dieselbe einsteigt.«
»Wie können Sie, der Sie einen geordneten Kopf haben und aus den Carrossen Seiner Majestät aussteigen, es wagen, Hand an die. Pferde der Dauphine zu legen?«
»Einmal sind hier sechzig Pferde, und Ihre Königliche Hoheit kann nur acht brauchen; ich hätte also großes Unglück, wenn ich, drei auf den Zufall nehmend, gerade die der Frau Dauphine nähme.«.
»Es sind allerdings sechzig Pferde vorhanden,« entgegnete der junge Mann; »es ist wahr, Ihre Königliche Hoheit braucht nur acht; doch dessen ungeachtet gehören alle diese Pferde, vom ersten bis zum sechzigsten, Ihrer Königlichen Hoheit, und Sie können keine Unterscheidung in dem, was den Dienst der Prinzessin bildet, zulassen.«
»Sie sehen jedoch, daß man eine zuläßt, da ich dieses Gespann nehme,« antwortete er ironisch. »Soll ich zu Fuß gehen, während Schufte von Lackeien mit vier Pferden fahren? Mord und Tod! sie mögen es machen wie ich. sie können sich mit dreien begnügen, und es werden noch genug vorräthig sein.«
»Wenn diese Lackeien mit vier Pferden fahren, mein Herr, so geschieht es, weil es der Befehl des Königs vorschreibt,« sprach Philipp und streckte den Arm gegen den Vicomte aus, um ihm zu bezeichnen, er möge nicht auf dem Wege beharren, den er eingeschlagen. »Wollen Sie also Ihrem Kammerdiener befehlen, mein Herr, daß er die Pferde dahin zurückführt, wo Sie dieselben genommen haben.«
Diese Worte wurden mit eben so viel Festigkeit, als Höflichkeit gesprochen, und wenn man nicht ein Elender war, mußte man artig darauf antworten.
»Sie hätten vielleicht Recht, mein lieber Lieutenant, so zu sprechen,« erwiederte der Vicomte, »wenn es in Ihrem Auftrage läge, über diesen Thieren zu wachen; doch es ist mir noch nicht bekannt, daß die Dauphin-Gendarmen zu dem Grade von Stallknechten erhoben worden sind; schließen Sie also die Augen, mein Herr, heißen Sie Ihre Leute dasselbe thun, und glückliche Reise!«
»Sie sind im Irrthum, mein Herr; ohne zu dem Grade eines Stallknechts erhoben worden oder hinabgestiegen zu sein, gehört das, was ich im Augenblick thun, zu meinen Attributen; denn die Frau Dauphine schickt mich selbst voraus, um über ihren Relais zu wachen.«
»Das ist etwas Anderes,« versetzte Jean; »doch erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken: Sie versehen da einen traurigen Dienst, mein Officier, und wenn die junge Dame die Armee so zu behandeln anfängt . . .«
»Von wem sprechen Sie in diesen Ausdrucken, mein Herr?« unterbrach ihn Philipp.
»Ei, bei Gott! von der Oesterreicherin.«
Der junge Mann wurde bleich wie seine Halsbinde.
»Sie wagen zu sagen, mein Herr . . . ?« rief er.
»Ich wage nicht nur zu sagen, sondern auch zu thun,« sprach Jean. »Vorwärts, Patrice, angespannt, mein Freund, hurtig, denn ich habe Eile.«
Philipp nahm das erste Pferd beim Zügel.
»Mein Herr,« sprach Philipp von Taverney mit seinem ruhigen Tone, »Sie werden mir das Vergnügen machen, mir zu sagen wer Sie sind, nicht wahr?«
»Liegt Ihnen daran?«
»Es liegt mir daran.«
»Nun! ich bin der Vicomte Jean Dubarry.«
»Wie? Sie sind der Bruder von der . . .«.
»Welche Sie in der Bastille verfaulen lassen wird, mein Officier, wenn Sie ein einziges Wort beifügen.«
Und der Vicomte sprang in den Wagen.
Philipp näherte sich dem Schlage und sagte:
»Mein Herr Vicomte Jean Dubarry, Sie werden mir die Ehre erweisen, auszusteigen, nicht wahr?«
»Ah, bei Gott! ich habe wohl Zeit,« versetzte der Vicomte und suchte den offenen Schlag an sich zu ziehen.
»Wenn Sie eine Sekunde zögern, mein Herr,« versetzte Philipp, während er mit seiner linken Hand den Schlag sich zu schließen verhinderte, »so gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Ihnen meinen Degen durch den Leib renne.«
Und er zog seinen Degen mit seiner rechten freigebliebenen Hand.
»Ah, mein Gott!« rief Chon, »das ist ein Mord! . verzichte auf die Pferde, Jean, verzichte darauf.«
»Ah! Sie bedrohen mich,« grinste der Vicomte außer sich, und ergriff ebenfalls seinen Degen, den er auf den Vordersitz gelegt hatte.
»Und auf die Drohung wird die That folgen, wenn Sie nur eine einzige Minute zögern, hören Sie?« sprach der junge Mann, und ließ seinen Degen zischen.
»Wir werden nie von der Stelle kommen, wenn Du diesen Officier nicht auf eine sanfte Weise zu fassen weißt,« flüsterte Chon in das Ohr von Jean.
»Weder Sanftmuth, noch Gewalt können mich in meiner Pflicht aufhalten,« sprach Philipp mit einer höflichen Verbeugung, denn er hatte die Ermahnung der jungen Frau gehört; »rathen Sie also diesem Herrn Gehorsam, oder ich werde mich im Namen des Königs, den ich vertrete, genöthigt sehen, ihn zu tödten, wenn er sich mit mir schlagen will, und ihn zu verhaften, wenn er sich dessen weigert.«
»Und ich sage, daß ich Ihnen zum Trotz abreisen werde,« brüllte der Vicomte und sprang aus dem Wagen, während er mit derselben Bewegung seinen Degen zog.
»Das werden wir sehen, mein Herr,« sagte Philipp, während er sich auslegte und das Eisen band; »sind Sie bereit?«
»Mein Lieutenant,« sprach der Wachtmeister, der unter Philipp commandirte, »sechs Mann von der Escorte, mein Lieutenant, soll ich?«
»Rühren Sie sich nicht, mein Herr,« sagte der Lieutenant, »es ist eine persönliche Angelegenheit. Auf, mein Herr Vicomte, ich bin zu Ihren Befehlen!«
Mademoisselle Chon stieß schrille Schreie aus, Gilbert hätte, um sich besser verbergen zu können, gewünscht, der Wagen wäre so tief wie ein Brunnen gewesen.
Jean begann den Angriff. Er besaß eine seltene Gewandtheit, in dieser Waffenübung, welche weit mehr Berechnung als körperliche Geschicklichkeit erfordert. Doch der Zorn beraubte den Vicomte sichtbar eines Theils seiner Kraft, Philipp schien im Gegentheil seinen Degen wie ein Stoßrappier zu handhaben und sich in einem Fechtsaale zu üben.
Der Vicomte wich zurück, rückte vor, sprang rechts, sprang links, und schrie, während er weit ausfiel, nach der Manier der Regimentsfechtmeister.
Fest und unbeweglich wie eine Statue, die Zähne an einander geschlossen, das Auge erweitert, hörte und errieth Philipp im Gegentheil Alles.
Jedes schwieg und schaute, Chon wie die Anderen. Zwei oder drei Minuten lang dauerte der Kampf, ohne daß alle die Finten, alle die Schreie, alle die Ausweichungen von Jean einen Erfolg hatten, aber auch ohne daß Philipp, der ohne Zweifel das Spiel seines Gegners studirte,