»Ganz gewiß; Ihr seid nur Beide noch etwas jung.«
»Wir werden desto länger mit einander zu leben haben.«
»Ihr seid weder das Eine, noch das Andere reich.«
»Wir werden arbeiten.«
»Was wird er arbeiten, er, der zu Nichts taugt?«
Nicole hielt es nicht länger aus, so viel Verstellung erschöpfte sie.
»Mein Fräulein, Sie werden mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Sie den armen Gilbert sehr schlecht behandeln,« antwortete sie.
»Bei Gott! ich behandle ihn, wie er es verdient, es ist ein träger Mensch.«
»Oh! mein Fräulein, er liest beständig und wünscht nur sich zu belehren.«
»Voll bösen Willens,« fuhr Andrée fort.
»Nicht immer gegen das Fräulein,« versetzte Nicole.
»Wie so?«
»Das Fräulein weiß es besser, als irgend Jemand, es befiehlt ihm für die Tafel zu jagen.«
»Ich!«
»Und es läßt ihn oft zehn Stunden machen, ehe er Wildpret findet.«
»Meiner Treue, ich gestehe, daß ich dieser Sache nie die geringste Aufmerksamkeit geschenkt habe.«
»Dem Wildpret?« sagte Nicole hohnlächelnd.
Andrée hätte vielleicht über dieses Wort gelacht und nicht errathen, wie viel Galle in den Sarkasmen ihrer Zofe lag, wäre sie in der gewöhnlichen Stimmung ihres Geistes gewesen. Aber ihre Nerven bebten, wie die Saiten eines Instrumentes, das man übermäßig anstrengt. Nervenschauer gingen jedem Akte ihres Willens, jeder Bewegung ihres Körpers voran. Die geringste Bewegung des Geistes war für sie eine Schwierigkeit, die sie besiegen mußte; im Style unserer Tage würden wir sagen, sie war agacée. Ein glückliches Wort, eine Eroberung der Philologie, welche an den Zustand eines schüttelnden Schauers erinnert, in den uns das Aussaugen einer herben Frucht, oder das Berühren gewisser knorriger Körper versetzt.
»Was soll dieser Witz bedeuten?« fragte Andrée, die sich plötzlich wiederbelebte und mit der Ungeduld wieder allen Scharfsinn gewann, den sie die Ermattung am Anfang dieser Scene anzuwenden gehindert hatte.
»Ich habe keinen Witz, mein Fräulein,« antwortete Nicole. »Der Witz ist gut für die vornehmen Damen. Ich bin ein armes Mädchen und sage nur ganz einfach was ist.«
»So sprich, was ist denn?’’
»Das Fräulein verleumdet Gilbert, der doch voll Aufmerksamkeit gegen dasselbe ist.«
»Er thut nur seine Pflicht als Dienstbote; hernach?«
»Gilbert ist kein Dienstbote, mein Fräulein; man bezahlt ihn nicht.«
»Er ist der Sohn unserer ehemaligen Meier; man gibt ihm Kost, Wohnung; er thut nichts für die Kost und die Wohnung, die man ihm gibt; desto schlimmer für ihn, denn er betrügt darum. Doch wo willst Du hinaus mit Deinen Bemerkungen und warum vertheidigst Du so warm diesen Burschen, den man nicht angreift?«
»Oh! ich weiß, daß ihn das Fräulein nicht angreift,« sprach Nicole mit einem Lächeln, das ganz mit Stacheln besetzt war, »im Gegentheil.«
»Abermals Worte, welche ich nicht verstehe.«
»Ohne Zweifel, weil sie das Fräulein nicht verstehen will.«
»Genug, Mademoiselle,« sprach Andrée mit strengem Tone, »erklären Sie mir sogleich, was Sie damit sagen wollen.«
»Das Fräulein weiß sicherlich besser als ich, was ich damit sagen will.«
»Nein, ich weiß es nicht, und errathe es besonders nicht, denn ich habe nicht Zeit, die Räthsel auszulösen, die Du mir vorlegst. Nicht wahr, Du ersuchst mich um meine Einwilligung zu Deiner Heirath?«
»Ja, mein Fräulein, und ich bitte das Fräulein, mir nicht zu grollen, weil mich Gilbert liebt.«
»Was geht es mich an, daß Gilbert Dich liebt oder nicht liebt? In der That, Du ermüdest mich.«
Nicole erhob sich auf ihren kleinen Füßen wie ein junger Hahn auf seinen Sporen. Der so lange zurückgehaltene Zorn brach endlich aus.
»Uebrigens hat das Fräulein vielleicht Gilbert bereits dasselbe gesagt,« versetzte sie.
»Spreche ich mit Deinem Gilbert? Laß mich in Ruhe, Du bist eine Thörin.«
»Wenn das Fräulein nicht mit ihm spricht, oder nicht mehr mit ihm spricht, so denke ich, es ist noch nicht lange her.«
Andrée ging auf Nicole zu, die sie mit einem bewunderungswürdigen Blicke der Verachtung gänzlich bedeckte.
»Du drehst Dich seit einer Stunde um irgend eine Frechheit. Mache ein Ende: ich will es haben.«
»Aber . . .« versetzte Nicole ein wenig erschüttert.
»Du sagst, ich habe mit Gilbert gesprochen?«
»Ja, mein Fräulein, ich sage es.«
Ein Gedanke, den sie lange Zeit für unmöglich gehalten hatte, kam Andrée in den Kopf.
»Gott vergebe mir! diese Unglückliche ist eifersüchtig,« rief sie, in ein Gelächter ausbrechend. »Beruhige Dich, meine kleine Legay, ich schaue ihn nicht an, Deinen Gilbert, und ich wüßte nicht einmal zu sagen, von welcher Farbe seine Augen sind.«
Und Andrée fühlte sich ganz geneigt, das zu vergeben, was ihrer Ansicht nach nicht mehr eine Frechheit, sondern eine Tollheit war.
Das paßte nicht in die Rechnung von Nicole; sie betrachtete sich als die Beleidigte und wollte keine Verzeihung haben.
»Ich glaube es wohl,« versetzte sie, »ihn bei Nacht anzuschauen, ist nicht das Mittel, es zu erfahren.«
»Wie beliebt?« fragte Andrée, welche zu begreifen anfing, aber noch nicht glauben konnte.
»Ich sage, wenn das Fräulein Gilbert nur bei Nacht spreche, wie sie es gestern gethan, so sei dies nicht das Mittel, die Einzelnheiten seines Gesichtes genau kennen zu lernen.«
»Wenn Du Dich nicht auf der Stelle erklärst, so nimm Dich in Acht,« rief Andrée erbleichend.
»Oh! das wird ganz leicht sein . . .« antwortete Nicole, von ihrem Klugheitsplane abweichend, »ich habe diese Nacht gesehen . . .«
»Schweige, man spricht von unten mit mir,« sagte Andrée.
Es rief wirklich eine Stimme von dem Blumengärtchen herauf:
»Andrée! Andrée!«
»Es ist Ihr Herr Vater, mein Fräulein, mit dem Fremden, der die Nacht hier zugebracht hat,« sagte Nicole.
»Gehe hinab, sage, ich könne nicht antworten; sage, ich leide, ich habe eine Steife in den Gliedern, und komm’ dann zurück, damit ich diesen seltsamen Streit endige, wie es sich gebührt.«
»Andrée,« rief abermals der Baron, »es ist Herr von Balsamo, der Dir ganz einfach sein Morgenkompliment machen will.«
»Gehe, sage ich Dir,« wiederholte Andrée und wies Nicole die Thüre mit der Geberde einer Königin.
Nicole gehorchte, wie man Andrée gehorchte, wenn sie befahl, ohne eine Sylbe zu erwiedern, ohne eine Miene zu verziehen.
Als aber Nicole sich entfernt hatte, ging etwas Seltsames bei Andrée vor; so entschlossen sie auch war, so fühlte sie sich doch wie durch eine höhere, unwiderstehliche Macht nach dem Fenster gezogen, das Legay halb offen gelassen hatte.
Sie sah nun Balsamo, der seine Augen auf sie heftete und sich tief vor ihr verbeugte.
Sie wankte und hielt sich an den Läden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
»Guten Morgen, mein Herr,« antwortete sie auf seinen Gruß.
Sie sprach diese Worte gerade in dem Augenblick, wo Nicole dem Baron gemeldet hatte, seine