Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1. Александр Дюма. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Александр Дюма
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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mein Herr,« fuhr der Baron fort, während er mit dem Rücken seiner Hand das Kinn von Nicole streichelte, welche er diesen Abend reizend zu finden entschlossen schien, »sollten Sie wohl glauben, daß diese Dirne aus dem Kloster kommt wie meine Tochter und beinahe Erziehung erhalten hat? Mademoiselle Nicole verläßt auch ihre Gebieterin nicht einen Augenblick. Es ist eine Anhänglichkeit, die bei den Herren Philosophen, welche behaupten, dergleichen Dinge haben Seelen, ein Lächeln hervorrufen würde.«

      »Mein Herr.« sprach Andrée unzufrieden, »es geschieht nicht aus Anhänglichkeit, daß mich Nicole nicht verläßt, sondern weil ich ihr befehle, mich nicht zu verlassen.«

      Balsamo schlug seine Augen zu Nicole auf, um zu erforschen, welche Wirkung diese Worte ihrer bis zur Beleidigung stolzen Gebieterin auf sie hervorbrächten, und er sah an dem Zusammenziehen ihrer Lippen, daß sie durchaus nicht unempfindlich gegen die Demüthigungen war, welche aus ihrem Dienstbotenverhältniß hervorgingen.

      Dieser Ausdruck zog indessen wie ein Blitz über das Antlitz der Zofe hin, sie wandte sich ab, ohne Zweifel, um eine Thräne zu verbergen, und ihre Augen richteten sich nach einem Fenster des Speisesaals, das gegen den Hof ging. Alles interessirte Balsamo, der seinerseits unter diesen Personen, in deren Mitte er eingeführt worden war, etwas zu suchen schien; Alles interessirte Balsamo, sagen wir; sein Blick folgte dem Blicke von Nicole und es kam ihm vor, als bemerkte er an dem Fenster, das der Gegenstand der Aufmerksamkeiten von Nicole war, ein männliches Gesicht.

      »In der That,« dachte er, »Alles ist seltsam in diesem Hause, Jedes hat sein Geheimniß, und ich hoffe, ehe eine Stunde vergeht, das von Fräulein Andrée zu kennen. Ich kenne bereits das Geheimniß des Barons und errathe das von Nicole.«

      Er hatte einen Augenblick der Abwesenheit, doch so kurz dieser Augenblick war, so entging es doch dem Baron nicht.

      »Sie träumen auch,« sagte er, »Sie sollten wenigstens die Nacht hiezu abwarten, mein lieber Gast. Die Träumerei ist ansteckend, und es ist eine Krankheit, die sich hier erbt, wie mir scheint. Wir wollen die Träumer zählen. Wir haben zuerst Fräulein Andrée, welche träumt, sodann haben wir Mademoiselle Nicole, welche träumt; endlich sehe ich jeden Augenblick den Taugenichts träumen, der diese jungen Feldhühner geschossen hat, welche vielleicht ebenfalls träumten, als er sie schoß.«

      »Gilbert?« fragte Balsamo.

      »Ja! ein Philosoph wie Herr La Brie; doch was die Philosophen betrifft, gehören Sie zufällig zu Ihren Freunden? Oh! dann sage ich Ihnen, daß Sie nicht zu den meinigen gehören werden  . . .«

      »Nein, mein Herr, ich stehe weder gut, noch schlecht mit ihnen; ich kenne keinen,« antwortete Balsamo.

      »Bei Gott, desto besser! es sind gemeine Thiere, noch viel giftiger, als häßlich! Sie richten die Monarchie mit ihren Maximen zu Grunde! Man lacht nicht mehr in Frankreich, man liest, und was liest man? Phrasen wie diese: Unter einer monarchischen Regierung ist es sehr schwierig für das Volk, tugendhaft zu sein;3 oder auch: Die wahre Monarchie ist nur eine eingebildete Constitution, um die Sitten der Völker zu verderben und diese in Knechtschaft zu erhalten;4 oder endlich: Wenn die Gewalt der Könige von Gott kommt, so ist es wie bei den Krankheiten und Geisseln des Menschengeschlechts.5 Wie das Alles ergötzlich ist! ein tugendhaftes Volk! wozu sollte das nützen? frage ich Sie. Ah! Alles geht schlimm, und zwar seitdem Seine Majestät mit Herrn von Voltaire gesprochen und die Bücher von Herrn Diderot gelesen hat.«

      In diesem Augenblick glaubte Balsamo abermals das bleiche Gesicht hinter den Scheiben erscheinen zu sehen. Doch dieses Gesicht verschwand, sobald er seine Augen auf dasselbe heftete.

      »Sollte das Fräulein Philosophin sein?« fragte Balsamo lächelnd.

      »Ich weiß nicht, was Philosophie ist,« antwortete Andrée. »Ich weiß nur, daß ich das liebe, was ernst ist.«

      »Ei! mein Fräulein, nichts ist meiner Ansicht nach ernster, als gut zu leben,« rief der Baron; »lieben Sie also dieses.«

      »Aber mir scheint, das Fräulein haßt das Leben nicht?« fragte Balsamo.

      »Je nachdem, mein Herr,« erwiederte Andrée.

      »Das ist auch ein albernes Wort,« sprach der Baron. »Sollten Sie wohl glauben, mein Herr, daß diese Antwort mir schon Buchstabe für Buchstabe von meinem Sohn zu Theil geworden ist?«

      »Sie haben einen Sohn, mein lieber Wirth?« fragte Balsamo.

      »Oh! mein Gott, ja, ich habe dieses Unglück, einen Vicomte von Taverney, Lieutenant bei den Dauphin-Gendarmen, ein vortreffliches Subject!  . . .«

      Während der Baron diese drei letzten Worte sprach, preßte er die Zähne zusammen, als wollte er jeden Buchstaben kauen.

      »Ich wünsche Ihnen Glück, mein Herr,« sagte Balsamo sich verbeugend.

      »Ja,« erwiederte der Greis, »auch ein Philosoph. Man kann bei meinem Ehrenwort nur die Achsel zucken. Sprach er mir nicht eines Tages von Befreiung der Neger? ,Und der Zucker?’ fragte ich, ,ich liebe meinen Kaffee stark gezuckert und der König Ludwig XV. Ebenfalls.’ ,Mein Herr,’ antwortete er mir, ,eher den Zucker entbehren, als eine Race leiden sehen  . . .’ ,Eine Race von Affen,’ rief ich; und damit that ich ihm noch viel Ehre an. Wissen Sie, was er behauptete? So wahr ich ein Edelmann bin, es muß Etwas in der Luft sein, das ihnen den Kopf verdreht; er antwortete mir, alle Menschen seien Brüder! Ich der Bruder eines Mozambique!’ «

      »Oh! Oh!« rief Balsamo, »das heiße ich weit gehen.«

      »Wie! was meinen Sie dazu? Nicht wahr, ich habe Glück mit meinen zwei Kindern, und man wird nicht sagen, ich lebe in meiner Nachkommenschaft wieder auf. Die Schwester ist ein Engel und der Bruder ein Apostel! Trinken Sie, mein Herr  . . . mein Wein ist abscheulich.«

      »Ich finde ihn ausgezeichnet,« versetzte Balsamo, Andrée anschauend.

      »Dann sind Sie auch ein Philosoph! Oh! nehmen Sie sich in Acht, ich lasse Ihnen eine Rede von meiner Tochter halten. Doch nein, die Philosophen haben keine Religion. Mein Gott! es war indessen sehr bequem, Religion zu haben. Man glaubte an Gott und an den König, und damit war Alles abgemacht. Heut zu Tage muß man, um weder an den Einen, noch an den Andern zu glauben, zu viele Dinge lernen und zu viele Bücher lesen: ich will lieber niemals zweifeln. Zu meiner Zeit lernte man wenigstens nur angenehme Dinge; man studirte gut Pharo, Biribi oder Passe-dir spielen; man zog ganz angenehm den Degen, trotz der Edicte; man richtete Herzoginnen zu Grunde, oder ruinirte sich für Tänzerinnen: das ist meine Geschichte. Ganz Taverney ist für die Oper aufgegangen, und das ist das Einzige, was ich beklage, insofern ein ruinirter Mensch kein Mensch ist. So wie Sie mich sehen, scheine ich alt zu sein, nicht wahr? Nun! das kommt davon her, daß ich ruinirt bin und in einer Höhle lebe; daß meine Perrücke abgetragen und mein Kleid gothisch ist; doch sehen Sie meinen Freund, den Marschall, an, der neue Kleider und frisch tapirte Perrücken besitzt, der in Paris wohnt und zweimal hunderttausend Livres Rente hat. Er ist noch jung, er ist noch grün, munter, zu Abenteuern geneigt! Zehn Jahre älter als ich, zehn Jahre!«

      »Sprechen Sie von Herrn von Richelieu?«

      »Allerdings.«

      »Vom Herzog?«

      »Bei Gott! ich denke, nicht vom Cardinal, ich datire nicht bis zu ihm zurück. Uebrigens hat er nicht gethan, was sein Neffe thut; er hat nicht so lange ausgehalten.«

      »Ich wundere mich, mein Herr, daß Sie bei so mächtigen Freunden, wie Sie zu besitzen scheinen, den Hof verließen.«

      »Oh! das ist nur ein augenblicklicher Rückzug, und ich werde eines Tages wieder an demselben erscheinen,« sprach der alte Baron, einen seltsamen Blick auf seine Tochter werfend.

      Dieser Blick wurde auf dem Wege von Balsamo aufgefangen.

      »Doch der Marschall läßt wenigstens Ihren Sohn avanciren?«

      »Er, meinen Sohn! er haßt ihn.«

      »Den Sohn seines Freundes?«

      »Und er hat Recht.«

      »Wie!


<p>3</p>

 Montesquieu.

<p>4</p>

 Helvetius.

<p>5</p>

 Jean Jacques Rousseau.