»Ich beunruhige mich nicht über das, was diesen drei Kerzen widerfahren ist, doch wenn die vierte erlischt wie die drei andern, oh! Wehe! wehe mir!«
Plötzlich, ohne die Vorbereitungen, welche bei den anderen stattgefunden hatten, ohne daß die Flamme die Farbe wechselte, ohne daß sie sich zu verlängern oder zu schaukeln schien, erlosch die vierte Kerze, als ob sie der Flügel des Todes im Vorüberziehen berührt hätte.
Die Königin stieß einen schrecklichen Schrei aus, stand auf, drehte sich zweimal um sich selbst, schlug die Luft und die Finsterniß mit ihren Armen und fiel ohnmächtig nieder.
In der Secunde, wo das Geräusch ihres Körpers auf dem Boden erscholl, öffnete sich die Verbindungsthüre, und in ihrem batistenen Nachtgewande erschien Andrée, weiß und schweigsam wie ein Schatten, aus der Schwelle.
Sie blieb einen Augenblick stehen, als sähe sie inmitten dieser Finsterniß eine Art von Dunst in der Nacht hinziehen; sie horchte, als hätte sie in der Luft die Falten eines Grabtuches sich bewegen hören.
Dann senkte sie ihren Blick und gewahrte die Königin aus dem Boden ohne Bewußtsein ausgestreckt.
Sie machte einen Schritt rückwärts, als triebe sie eine erste Bewegung ihres Innern an, sich zu entfernen; doch alsbald sich selbst gebietend, ohne ein Wort zu sagen, ohne zu fragen, – eine Frage, welche übrigens unnütz gewesen wäre, – ohne die Königin zu fragen, was sie habe, hob sie diese in ihren Armen auf und trug sie auf ihr Bett mit einer Stärke, der sie sich nicht fähig gehalten hätte, nur geleitet durch die zwei Kerzen, welche ihr Zimmer erleuchteten, und deren Schein sich durch die Thüre bis in das Zimmer der Königin verlängerte.
Dann zog sie einen Flacon mit Riechsalz aus der Tasche und hielt ihn Marie Antoinette unter die Nase.
Trotz der Wirksamkeit dieses Salzes, war die Ohnmacht von Marie Antoinette so tief, daß sie erst nach zehn Minuten einen Seufzer von sich gab.
Bei diesem Seufzer, der der Fürstin Rückkehr ins Leben verkündigte, war Andrée abermals versucht, sich zu entfernen, doch auch diesmal, wie das erste Male, hielt sie das, bei ihr so mächtige, Pflichtgefühl zurück.
Sie zog nun ihren Arm unter dem Kopfe von Marie Antoinette hervor, den sie in die Höhe gehoben hatte, damit kein Tropfen von dem ätzenden Essig, mit dem das Salz befeuchtet war, auf das Gesicht oder die Brust der Königin fallen konnte. Dieselbe Bewegung ließ sie den Arm entfernen, der den Flacon hielt.
Nun aber fiel der Kopf auf das Kissen zurück, und nachdem der Flacon entfernt war, lag die Königin in eine Ohnmacht versunken, welche noch tiefer als die, aus der sie hervorgehen zu wollen geschienen hatte.
Immer kalt, beinahe unbeweglich, hob Andrée den Kopf von Marie Antoinette abermals auf und hielt ihr den Flacon zum zweiten Male unter die Nase: er brachte seine Wirkung hervor.
Ein leichter Schauer durchlief den ganzen Leib der Königin, sie stöhnte, ihr Auge öffnete sich; sie sammelte alle ihre Gedanken, sie erinnerte sich des erschrecklichen Vorzeichens, und eine Frau in ihrer Nähe fühlend, umschlang sie mit ihren Armen deren Hals und rief:
»Oh! vertheidigen Sie mich, retten Sie mich!«
»Eure Majestät bedarf keiner Vertheidigung in der Mitte ihrer Freunde,« erwiederte Andrée, »und sie scheint mir nun von der Ohnmacht gerettet, in die sie gefallen war.«
»Die Gräfin von Charny!« rief die Königin Andrée loslassend, welche sie umschlungen hielt und in einer ersten Bewegung beinahe zurückstieß.
Weder diese Bewegung, noch das Gefühl, das sie eingegeben, entgingen Andrée.
Doch im ersten Augenblick blieb sie unbeweglich bis zur Unempfindlichkeit.
Dann machte sie einen Schritt rückwärts und fragte:
»Befiehlt die Königin, daß ich ihr sich auskleiden helfe?«
»Nein, Gräfin, ich danke,« antwortete die Königin mit bebender Stimme, »ich werde mich allein auskleiden.«
»Ich will in mein Zimmer zurückkehren, nicht um zu schlafen, Madame,« sagte Andrée, »sondern um über dem Schlafe Eurer Majestät zu wachen.«
Und nachdem sie sich ehrerbietig verbeugt hatte, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, mit dem langsamen, feierlichen Schritte, welcher der der Statuen wäre, wenn die Statuen gehen würden.
VIII
Die Straße nach Paris
An demselben Abend, an dem die von uns erzählten Ereignisse vorgefallen waren, hatte ein nicht minder ernstes Ereigniß die ganze Anstalt des Abbé Fortier in Bewegung gebracht.
Sebastian Gilbert war gegen zehn Uhr Abends verschwunden und, trotz der ängstlichen Nachforschungen im ganzen Hause von Herrn Abbé Fortier und Mademoiselle Alexandrine Fortier, der Schwester des Abbé, nicht wiedergefunden worden.
Man hatte sich bei Jedermann erkundigt, und Niemand wußte, was aus ihm geworden.
Die Tante Angelique allein, welche gegen acht Uhr Abends aus der Kirche ging, wo sie die Stühle geordnet hatte, glaubte ihn in der kleinen Gasse, die zwischen dem Gefängniß und der Kirche durchführt, gehen und dann nach dem Parterre lausen gesehen zu haben.
Diese Nachricht, statt den Abbé Fortier zu beruhigen, vermehrte noch seine Unruhe. Es waren ihm die seltsamen Hallucinationen nicht unbekannt, welche sich zuweilen Gilberts bemächtigten, wenn ihm die Frau, die er seine Mutter nannte, erschien, und mehr als einmal war der Abbé, von dieser Art von Schwindel, von Sinnentäuschung unterrichtet, dem Knaben mit den Augen gefolgt, wenn er ihn zu tief in den Wald hatte eindringen sehen, und in dem Moment, wo er ihn verschwinden zu sehen befürchtete, hatte er ihm durch die besten Läufer seiner Anstalt nachsetzen lassen.
Die Läufer hallen den Knaben immer keuchend, beinahe ohnmächtig, an einen Baum angelehnt oder der Länge nach auf dem Moose, dem grünen Teppich dieses herrlichen Hochwaldes, liegend gefunden.
Doch nie hatte ein solcher Schwindel Sebastian am Abend erfaßt, nie war man in der Nacht genöthigt gewesen, ihm nachzulaufen.
Es mußte also etwas Außerordentliches vorgefallen sein; doch der Abbé Fortier mochte sich immerhin den Kopf zerbrechen, er konnte nicht errathen, was vorgefallen war.
Um zu einem glücklicheren Resultat zu gelangen, als der Abbé Fortier, wollen wir Sebastian Gilbert folgen, wir, die wir wissen, wohin er gegangen ist.
Die Tante Angélique hatte sich nicht geirrt; es war Sebastian Gilbert, den sie hatte in der Dunkelheit hinschleichen und dann aus Leibeskräften nach demjenigen Theile des Parkes laufen sehen, welchen man das Parterre7 nennt.
Auf dem Parterre angelangt, war er nach der Fasanerie und von da aus den kleinen Waldweg geeilt, welcher gerade nach Haramont führt.
In drei Viertelstunden war er im Dorfe.
So bald wir wissen, daß das Ziel des Laufes von Sebastian das Dorf Haramont war, ist es uns nicht schwierig, zu errathen, was Sebastian in diesem Dorfe suchte.
Sebastian suchte hier Pitou.
Unglücklicher Weise ging Pitou auf einer Seite des Dorfes hinaus, während Sebastian aus der andern eingetreten war.
Denn Pitou hatte, wie man sich erinnert, nach dem Bankett, das sich die Nationalgarde von Haramont gegeben, wobei er allein, wie ein Ringer des Alterthums, aufrecht geblieben, während alle Andern zu Boden geworfen worden waren, Pitou hatte Catherine ausgesucht und, wie man sich erinnert, auf dem Wege von Villers-Coterets nach Pisseleu ohnmächtig und nur die Wärme des letzten Kusses, den ihr Isidor gegeben, bewahrend gefunden.
Sebastian wußte nichts von Allem dem, er ging geraden Wegs nach dem Häuschen von Pitou, dessen Thüre er offen fand.
Bei seinem einfachen Leben glaubte Pitou nicht nöthig zu haben, seine Thüre zu schließen, mochte er im Hause anwesend oder abwesend