Ivonet war ein Winzer in Bouzy, er war ein leidenschaftlicher Verehrer der Lotterie zu der Zeit, wo man dem Volke diese, in der Gestalt von Amben, Ternen und Quartternen sichtbare Vorsehung noch nicht genommen hatte; er setzte jahrelang auf Nummern, welche ihm mehr kosteten als eintrugen.
Die Lotterie wurde aufgehoben und Ivonet legte Trauer an. Dies war alles was er in seinem Schmerz thun konnte.
Eines Tages erfuhr er, daß die zu Grabe getragene »huldreiche Göttin wieder auferstanden sey; aber es wurde nur noch »Estratto« gespielt. Der Gewinner dieses Estratto erhielt freilich eine Goldbarre im Gewicht von viermal hunderttausend Franken.
Ivonet erkundigte sich, wo er Loose bekommen könne. Man antwortete ihm, er brauche sich nur zu Herrn Fiéré, Herausgeber der Zeitung in Epernay, zu begeben. Ivonet that ein Gelübde, die Kirche in Bouzy restauriren zu lassen, wenn er die Goldbarre gewänne, und begab sich zugleich nach Epernay, wo er hundert Loose nahm.
Er hatte wirklich das Gewinnloos erhascht. Eines Morgens las er in der Zeitung, daß Nr. 2,258,115 gewonnen habe. Er kannte seine Nummern so gut wie Napoleon seine Soldaten.
»Weib,« sagte er frohlockend, »wenn uns die Zeitung keinen Possen spielt, so haben wir die Goldbarre gewonnen.«
In Bouzy war die Sache nicht zu ermitteln. Die alten Eheleute begaben sich daher nach Epernay.
Es kamen fünf Zeitungen nach Epernay. Ivonet fand in allen dieselbe Nummer. Es war nicht wahrscheinlich, daß der Constitutionnel, die Presse, die Assemblée Nationale, das Siècle und die Gazette de France sich verabredet hätten, um den armen Ivonet zu foppen. Er begann daher an sein Glück zu glauben und entschloß sieh auf der Stelle nach Paris zu gehen. Aber er hatte sich nicht mit dem hinlänglichen Reisegelde versehen. Als indeß seine Verlegenheit bekannt wurde, fanden sich Leute genug, welche sich ein Vergnügen daraus machen würden, ihm hundert, fünfhundert, tausend Franken zu leihen. Ivonet war nun wirklich überzeugt, daß er gewonnen hatte; Tags vorher würde er kaum einen Louisdor aufgetrieben haben.
Er reiste in die Hauptstadt, zeigte sein Loos vor und erhielt die Goldbarre.
Aber was sollte er damit machen? Ivonet wollte seinen Schatz anfangs durchaus nicht einwechseln; aber da er nicht reich genug war, um eine Goldbarre von viermal hunderttausend Franken auf der Commode oder auf dem Camin unter einer Glasglocke auszustellen, so entschloß er sich endlich zum Einwechseln.
Der Cassier eines Wechselhauses prüfte das Gold am Probirstein, wog es und gab dem glücklichen Gewinner eine Anweisung auf viermal hundertsechstausend Franken. Damals bezahlte man für das Gold ein sehr hohes Agio, daherkam es, daß Ivonet beim Einwechseln nicht verlor, sondern gewann. Er konnte nur nicht glauben, daß das Stück Papier, welches man ihm gegeben, so viel werth sey wie die Goldbarre. Er wäre gern in Begleitung seiner Goldbarre in die Bank gegangen, aber der Cassier wollte es durchaus nicht gestatten.
Dreimal kehrte Ivonet wieder um, mit dem Vorsatze, seine Goldbarre gegen den Zettel wieder einzutauschen. Die Sorgen des Reichthums begannen schon für ihn.
Endlich entschoß er sich. Er lief so schnell, daß er, wie Aeneas, beinahe seine Frau verloren hätte, welche ihm mit großer Mühe durch die Straßen von Paris folgte; aber seine Frau war in jenen verhängnisvollen Augenblicken seine letzte Sorge. Endlich trat er in die Bank und präsentirte die Anweisung auf viermal hundertsechstausend Franken mit ebenso zitternder Hand, wie er am Morgen seine Nummer vorgewiesen hatte.
Man zahlte ihm viermal hundertsechstausend Franken in Banknoten aus. Ivonet zählte, und als er sich von der Richtigkeit der Summe überzeugt hatte, wollte er in einer Stadt, welche man ihm als eine Räuberhöhle hergestellt hatte, nicht länger bleiben. Er eilte, mit seiner Frau im Schlepptau, zum Bahnhof, nahm wieder zwei Plätze in der dritten Wagenclasse und traf nach vierundzwanzigstündiger Abwesenheit wieder zu Epernay ein. Er war als armer Teufel abgereist und kam als halber Millionär zurück.
In Epernay hielt er sich nur wenige Augenblicke auf, um die geborgten hundert Franken zurückzuzahlen, und reiste dann nach Châlons zurück. Dort glaubte er sicher zu seyn: man hatte ihn nie vor Châlons gewarnt, Paris hingegen war ihm immer als ein zweites Sodom und Gomorrha geschildert worden. Und doch sollte er seinen Schatz in Châlons einbüßen.
Wir müssen ihm indeß die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er dreißigtausend Franken zur Ausbesserung der Kirche, eine gleiche Summe zur Ausstattung seines Sohnes und eben so viel zum Heirathsgut seiner Tochter bestimmte, dann fragte er seine Frau, was sie wünsche. Sie besann sich lange und verlangte endlich – einen neuen Besen.
Dies war alles was die arme Frau von den viermal hundertsechstausend Franken bekam.
Nun begann eine Reihe von Thorheiten, welche den Einwohnern von Châlons ein paar Jahre zur Belustigung dienten. Ivonet kaufte für fünfzigtausend Franken ein Haus, ließ es abbrechen und baute ein anderes, welches ihm siebzigtausend Franken kostete. Das neue Haus verkaufte er um fünfundvierzigtausend Franken wieder, er verlor also fünfundsiebzigtausend Franken.
Diese Speculation wiederholte er bei fünf oder sechs andern Häusern, wodurch sein Capital sehr vermindert wurde. Ueberall, wo er sich zeigte, war er von seinen Schmeichlern und Schmarotzern, von Spekulanten, Baumeistern, Maurern und Zimmerleuten umgeben. Man hätte ihn für Salomo, der den Tempel baute, halten können. Die Constructivität war offenbar das hervorragendste Organ an dem Schädel des Père Lingot.
Diesen Namen hatte man ihm schon seit langer Zeit gegeben.
Inzwischen hatte seine Frau ihre Freude an dem neuen Besen. Sie kehrte fast jede Stunde vor ihrer Thür. Beide Eheleute trugen übrigens noch dieselben Kleider wie früher.
Der Père Lingot war nach und nach ausschweifend geworden. Man hatte ihn in einem Hause vorgestellt, wo er so freundlich und zuvorkommend behandelt wurde, daß sein erster Besuch nur das Vorspiel eines täglichen Besuchs war. Seine Ehehälfte wußte nicht wo er seine Zeit hinbrachte, die nicht durch die Bauten in Anspruch genommen wurde. Ein Spaßmacher schlug ihm vor, seine Frau in dem Hause vorzustellen, wo es ihm so ungemein gefiel. Der Père Lingot war ein Erzschalk geworden, er ging auf den Scherz ein und erklärtes einer Frau, daß er sie Abends in Gesellschaft führen werde.
Madame Lingot entschuldigte sich mit ihrem Anzuge und ihren etwas bäurischen Manieren; aber er versicherte, die Damen, zu denen er sie führen wolle, seyen sehr nachsichtig und würden es mit ihrem Anzuge und ihren Manieren nicht so genau nehmen.
Diese Versicherung machte ihrer Unschlüssigkeit ein Ende. Die Damen, auf den Besuch vorbereitet, waren sehr artig und zuvorkommend gegen sie. Die gute Alte war ganz entzückt und gab ihrem Manne den Rath, die liebenswürdige Gesellschaft recht oft zu besuchen.
Kurz, der Père Lingot kaufte und verkaufte, aß und trank so viel, und besuchte die liebenswürdige Gesellschaft so oft, daß er eines Tags von dem Gerichtsdiener eine Vorladung erhielt. Der Pfarrer hatte einen Prozeß gegen ihn anhängig gemacht, weil die Kirche in Bouzy nicht reparirt, sondern abgebrochen worden war. Die dreißigtausend Franken hatten nicht ausgereicht, denn der Baumeister hatte es für angemessen gehalten, der Dorfkirche die Ausdehnung einer Cathedrale zu geben. Der Pfarrer verlangte fünfzigtausend Franken Schadenersatz.
Die Stempelpapiere sind wie Kraniche, sie ziehen schaarenweise. Kaum war der erste Stempelbogen ins Haus gekommen, so folgte ein zweiter, ein dritter, dann zehn, zwanzig, dreißig. Der Père Lingot erhielt in drei Monaten so viel, daß er das letzte Haus, welches ihm übrig blieb, damit hätte tapeziren können.
Endlich wurde auch dieses letzte Haus gerichtlich verkauft. Es begann nun für den Unglücklichen ein qualvolles Leben, von welchem er in der Zeit seiner Armuth keinen Begriff gehabt hatte.
»Ach mein Himmel!« sagte Frau Ivonet zu ihren Nachbarinnen, »wir waren nie so unglücklich, als seitdem wir reich geworden sind.«
Leider waren sie es schon längst nicht mehr, sie waren ärmer als je zuvor.
Der Père Lingot wurde vom Schlage getroffen. Eines Morgens fand man ihn todt. Es war am 23. Juni, einen Monat vor meiner Ankunft in Châlons.
Die Zeitung, welche seinen Tod meldete, machte die philosophische Bemerkung,