Auch verzog er den kleinen Alain, so daß es zugleich Schmerz und Vergnügen verursachte, es zu sehen.
Als Alain zehn Jahre alt war, dachte Jean Montplet an die Erziehung seines Sohnes.
Wie alle reich gewordenen Bauern und viele abgehobelte Handwerker verachtete Jean seine Profession und wünschte für seinen Sohn die Ehre des Baccalaureats und den Glanz der Toga.
Indessen war er noch unentschieden und wußte nicht, an welchem Orte er den Wildling, den er für die Wissenschaft bestimmt hatte, wollte erblühen lassen, als eines schönen Tages ein College, indem er ihm von einem guten Kuhmarkte sprach, der in Saint-Lo zu machen sei, zugleich das Gymnasium dieser Stadt erwähnte. Jean Montplet beschloß also, zwei Fliegen auf einer Klappe zu schlagen, die Kühe zu kaufen und seinen Knaben dort unterzubringen.
Er legte eine großen Gamaschen an, nahm den Knaben hinter sich aufs Pferd und brachte ihn aufs Gymnasium, wo derselbe ganz heiter blieb, als er die Menge von jungen Kameraden sah, die er haben sollte, und den schönen Garten, in welchem alle spielten.
Der arme Alain war während der Erholungsstunde angekommen und hatte geglaubt, daß das Gymnasium ein beständiges Kriegspiel sei.
Jean Montplet hatte sich entfernt, nachdem er dem Vorsteher wohl zehnmal wiederholt hatte, indem er mit dem Gelde klapperte, welches er in der ledernen Geldkatze hatte, die er unter seiner Blouse trug, daß er nicht auf die Thaler achten werde, wenn man aus seinem Sohne nur einen Hippokrates oder Demosthenes mache.
Es waren zwei Namen, die er aus dem Munde des Pfarrers von Maisy gehört hatte, als Dieser eines Tages an einem Tische zu Mittag gespeist.
Er hatte sich erkundigt, wer diese beiden Herren wären, und erfahren, daß der Eine ein großer Arzt und der Andere ein großer Redner gewesen.
Nur hatte er sich nicht nach der Zeit erkundigt, in welcher sie gelebt. Aber es lag ihm wenig daran, da Beide in ihrer Kunst dieselbe Stellung errungen hatten, die er selber unter den Landleuten und unter den Viehhändlern von la-Manche und Calvados einnahm.
Aber ach! Jean Montplet hatte völlig ohne seinen Sohn gerechnet.
Der Knabe hatte das Gymnasium reizend gefunden, wie wir gesagt haben, weil er in der Erholungsstunde eingetreten war.
Aber die Erholung war zu Ende und er mußte in die Classe eintreten.
An dem eichenen Tische und vor dem Pult, hatte die Sache ihr Aussehen verändert, und Alain hatte das Gymnasium in seiner ganzen strengen Disciplin gesehen.
Seitdem schien es ihm, als wäre die Zeit mit ungleicher Hand gemessen, nicht genug für das Vergnügen, zu viel für die Arbeit. Die Schulstrenge, die pedantischen Formen hatten diesen rauhen kleinen Dorfjungen, dessen Leben bis dahin eine beständige Schule im Freien gewesen und der eine unerläßliche Gewohnheit, ein unwiderstehliches Bedürfniß angenommen hatte, in der frischen Luft am Strande umhergelaufen und das schroffe Gestade zu ersteigen, die Wissenschaft bald verleidet gemacht.
Von dem Augenblicke an, wo der Hauch der Langenweile ihn berührt hatte, begann er dahinzuschwinden. Die lebhaften Farben der Wangen verblichen, eine Art Heimweh bemächtigte sich einer, und er wurde kränklich und schmächtig unter dieser mit Griechisch und Latein überladenen Atmosphäre.
Jean Montplet, von den Professoren selber benachrichtigt, kam einen Sohn zu besuchen und erschrak über die Fortschritte des Uebels. Er bedachte, daß der schwarze Rock ebenso gut den Bürger wie die Robe den Advocaten und den Doctor mache, daß, wenn Gott fortfahre, ihm in der Gegenwart und Zukunft Beistand zu leisten, wie er es in der Vergangenheit gethan, Alain Montplet eines Tages eine hübschen 25.000 Livres Renten haben und folglich so reich sein werde, um nicht nöthig zu haben, Consultationen zu halten oder Recepte zu verschreiben.
Alain wurde also aus dem Gymnasium zu Saint-Lo weggenommen und einen Kameraden von Maisy zurückgegeben.
Als er wieder auf der Meyerei war, Das heißt tausend Schritte vom Meere, und sich wieder in der Umgebung befand, an die er gewöhnt war, in der einzigen Luft, die er athmen konnte, erhielt der Knabe bald eine gute Laune, seinen röthlichen Teint und seine ursprüngliche Stärke wieder.
Bald hatte er nicht nur in Maisy, sondern aus Grand-Camp und in Saint-Pierre-du-Mont keinen Nebenbuhler in der Kunst, die Klippen zu erklimmen, um die Nester der Taucherhühner auszunehmen; bald lief er allen Lehrlingen der Schiffsbaukunst den Rang ab, kleine Schiffe aus einen Stück Holz auszuschnitzen und sie auf den Wasserflächen, welche die Ebbe auf dem Sande zurückließ, treiben zu lassen, aber besonders als Schwimmer machte der junge Alain die erstaunlichsten Fortschritte.
Das Meer schien ein ebenso vertrautes und fügsames Element für ihn geworden zu sein, wie das Land; man hätte denken sollen, die Natur habe ihn zur Amphybie bestimmt, so leicht konnte er nach dem Beispiele des Delphins über die Wogen dahinfahren, und daß er ein besonderes Athmungssystem besitze, so unendlich lange konnte er unter dem Wasser bleiben. Nichts machte ihm etwas aus – weder hoher Wellenschlag noch Wirbelwind, weder Sturm noch Ungewitter, und für die Fischer der Küste war er eine Art Thermometer geworden, wie es gewisse Fische sind, die nur aus dem Wasser springen, um den Wind anzukündigen. Man sagte, wenn man ihn unter den Wogen seine Possen treiben sah:
»Der Bursche Alain ist heute sehr lustig; es wird morgen das Meer hoch gehen.«
Die Ueberlegenheit, die sein Sohn in allen Spielen erlangte, reichte hin, den väterlichen Stolz des alten Montplet zu befriedigen, welcher jeden Tag einen kleinen Schatz mehr und mehr abrundete und immer gewisser wurde, einem Erben eine gute Zukunft zu sichern, und sich immer mehr überzeugt hielt, daß man in den Augen der Menschen immer gelehrt genug sei, wenn man nur reich genug sei.
Er sprach also nicht mehr davon, daß Alain, selbst als Dieser ein Jüngling wurde, irgend eine Lehrstunde haben solle, und übergab ihn den einzigen Professoren, welche ihm die Küste umsonst lieferte, und die es übernahmen, die Talente zu vervollkommnen, wovon wir eben gesprochen, indem sie dem künftigen Besitzer der Meyerei lehrten, ein Ruder geschickt einzuholen, eine Reuse auszuspannen und eine Schnur gehörig mit jedem Köder zu versehen, der sich für diesen oder jenen Fisch, von dem Stint bis zur Makrele eignet.
Noch eine Kunst, in welcher der junge Alain große Fortschritte machte, war die Kunst der Jagd. Freilich hatte er in dieser Kunst einen vortrefflichen Lehrer.
Dieser Lehrer war der Geflügelschütze Vater Gabion.
Wir wollen zuerst sagen, wer und was Vater Gabion war, dann wollen wir erklären, was ein Geflügelschütze ist.
Der Vater Gabion, der so hieß, weil er in einem kleinen Häuschen wohnte, welches an der Mündung der Vire stand und welches man le Gabion (der Schanzkorb) nannte – der Vater Gabion war ein großer Greis von beinahe sechs Fuß Höhe, trocken und schmächtig und anscheinend nicht dem Menschengeschlechte, sondern der Familie der Stelzenläufer angehörig. Er hatte eine eingedrückte Stirn, ein zurücktretendes Kinn und eine spitzige Nase, so daß er einen ganz hübschen Kopf wie eine Fettgans hatte, und wann er an der Küste oder bei der Ebbe am Strande dahin lief und von Felsen zu Felsen sprang, glich er einem jener Seevögel mit langen Beinen, die am Strande dahin laufen und von Felsen zu Felsen hüpfen, um kleine Fische zu erhaschen.
Ohne Zweifel hatten sich auf den ersten Blick die Vögel der Küste, die Enten, die Trauerenten, die Schnepfen, die Moorschnepfen, die Brachvögel und die Taucherhühner durch diese Aehnlichkeit täuschen lassen und den Vater Gabion für einen riesenhaften Storch, für einen vorsündfluthlichen Reyher gehalten und nicht die geringste Furcht vor ihm gehabt.
Aber nach und nach waren ihnen über diese falsche Aehnlichkeit die Augen aufgegangen und die armen Vögel hatten endlich bemerkt, daß sie im Gegentheile keinen erbitterteren Feind hatten, als den Vater Gabion.
In der That war der Vater Gabion, wie wir gejagt haben, ein Geflügelschütze.
Wir wollen unser Versprechen halten, und nachdem wir den Vater Gabion wenigstens in physischer Hinsicht beschrieben haben, wollen wir sagen, was ein Geflügelschütze ist.
Man versteht unter dem