»Aber diese Thüre, habt Ihr den Schlüssel dazu?« fragte die Königin. »Ich bin eingeschlossen.«
Agenor antwortete damit, daß er dasselbe Manoeuvre ausführte, welches ihm schon bei der unteren Thüre gelungen. Nach einem Augenblick war die der Königin gesprengt wie die erste.
»Mein Gott, ich danke!« rief die Königin, als sie ihre Befreier erblickte. »Aber,« fügte sie mit zitternder, beinahe unverständlicher Stimme bei, »aber Don Federigo?«
»Ah! Madame,« erwiderte langsam Agenor, indem er ein Knie auf die Erde setzte und der Königin das Pergament überreichte, »Don Federigo . . . hier ist sein Brief.«
Bei dem Scheine einer Lampe las Blanche das Bittet.
»Er ist verloren!» rief sie; »dieses Billet ist das letzte Lebewohl eines Sterbenden!«
Agenor antwortete nicht.
»Im Namen des Himmels!« rief die Königin, »im Namen Eurer Freundschaft für den Großmeister, sagt mir, ob er lebt, oder todt ist.«
»Ihr seht, daß Euch Don Federigo in dem einen und in dem andern Fall fliehen heißt.«
»Warum fliehen, wenn er nicht mehr ist? Warum leben, wenn er todt ist?« rief die Königin.
»Um seinem letzten Wunsche zu gehorchen, Madame, und um Rache in Eurem und in seinem Namen von Eurem Schwager, dem König von Frankreich, zu fordern.«
In diesem Augenblick öffnete sich die innere Thüre der Wohnung, und die Amme von Blanche, die ihr von Frankreich gefolgt war, trat bleich und erschrocken ein.
»Oh! Madame,« rief sie, »das Schloß ist voll von bewaffneten Männern, welche von Sevilla kommen, und man meldet einen Abgesandten des Königs, der Euch zu sprechen verlangt.«
»Kommt, Madame, es ist keine Zeit zu verlieren,« sagte Agenor.
»Im Gegentheil,« sprach die Königin, »wenn man mich in diesem Augenblick nicht fände, würde man uns nachsetzen und unfehlbar einholen. Es ist besser, ich empfange diesen Abgesandten, und wenn er dann durch meine Anwesenheit und durch unsere Unterredung beruhigt ist, fliehen wir.«
»Doch wenn dieser Abgesandte mit unheilvollen Befehlen beauftragt wäre?« entgegnete der Ritter; »wenn er schlimme Absichten hätte?« »Ich werde durch ihn erfahren, ob er todt ist oder lebt,« sagte die Königin.
»Nun wohl, Madame, wenn Ihr ihn nur aus diesem einzigen Beweggrund empfangt, so werde ich Euch die Wahrheit sagen: Leider ist er todt!«
»Wenn er todt ist,« erwiderte die Königin Blanche, »was bekümmere ich mich um das, was dieser Mensch hier zu thun beabsichtigt? Denkt an Eure Sicherheit, Sire von Mauléon. . . Sagt diesem Menschen, ich folge Euch,« sprach Blanche zu ihrer Amme.
Als sie aber der Ritter immer noch zurückhalten wollte, nöthigte sie ihn durch eine königliche Geberde zum Gehorsam, und verließ das Zimmer.
»Herr Ritter,« sagte Musaron, »wenn Ihr mir glaubt, lassen wir die Königin ihre Angelegenheiten abmachen, wie es ihr gut scheint, und denken wir daran, auf unseren Weg zurückzukehren. Mir sagt Etwas, wir werden hier elendiglich umkommen. Wir wollen die Flucht der Königin ans morgen verschieben, und vor Allem. . .«
»Stille.« erwiderte der Ritter, »die Königin wird in dieser Nacht frei, oder ich werde todt sein.«
»Nun, edler Herr,« sagte der kluge Musaron, »so wollen wir wenigstens die Thüren wieder in Ordnung bringen, damit man nichts bemerkt, wenn man die Terrasse visitirt. Man wird den Leichnam des Mauren finden, Herr.«
»Stoße ihn in's Wasser.«
»Das ist ein Gedanke, doch höchstens aus eine Stunde gut; der Halsstarrige wird wieder aus die Oberfläche kommen.«
»Eine Stunde ist bei gewissen Fällen das Leben,« entgegnete der Ritter; »vorwärts also!«
»Ich möchte zugleich gehen und bei Euch bleiben; wenn ich nicht gehe, wird man den Mauren finden; wenn ich gehe, so habe ich bange, es könnte Euch während des Augenblicks, den ich Euch allein lasse, Unglück widerfahren.«
»Und was soll mir mit meinem Dolche und meinem Schwerte widerfahren?«
»Hm!« machte Musaron.
»Gehe, Du verlierst die Zeit.«
Musaron that drei Schritte gegen die Thüre, doch plötzlich blieb er stehen und sagte:
»Ah! Herr, hört Ihr diese Stimme?«
Es gelangte in der That das Geräusch einiger ziemlich laut ausgesprochenen Worte zu ihnen, und der Ritter horchte.
»Man sollte glauben, es wäre die Stimme von Mothril,« rief der Ritter; »das ist doch unmöglich.«
»Nichts ist unmöglich bei den Mauren, die von der Hölle und der Zauberkunst unterstützt werden,« erwiderte Musaron, der mit einer Schnelligkeit nach der Thüre stürzte, welche für sein Verlangen, sich wieder in freier Luft zu finden, zeugte.
»Ist es Mothril, so haben wir einen Grund mehr, zu der Königin hinein zu gehen,« rief der Ritter; »denn wenn es Mothril ist, so ist die Königin verloren!«
Und er machte eine Bewegung, um seiner hochherzigen Eingebung zu folgen, »Herr sprach Musaron, der ihn an seinem Waffenrock zurückhielt, »Ihr wißt, ob ich ein Feiger bin; ich bin nur vorsichtig, ich leugne das nicht, sondern ich rühme mich dessen sogar. Wartet nur noch einige Minuten, guter Herr, dann folge ich Euch in die Hölle, wenn Ihr wollt.«
»Warten wir,« versetzte der Ritter, »Du hast vielleicht Recht.«
Die Stimme sprach indessen immer fort und wurde allmälig dumpfer; die Königin, welche Anfangs mit leiser Stimme gesprochen hatte, nahm ihrerseits im Gegentheil einen energischen Ton an.
Auf diese seltsame Unterredung folgte ein kurzes Stillschweigen, dann ein gräßlicher Schrei.
Agenor konnte sich nicht mehr hatten und stürzte in den Gang.
Elftes Kapitel.
Wie der Bastard von Mauléon von Blanche von Bourbon beauftragt wurde, der Königin von Frankreich, ihrer Schwester, einen Ring zu überbringen
Man vernehme, was vorgefallen war, oder was vielmehr bei der Königin vorfiel.
Kaum hatte Blanche von Bourbon den Corridor durchschritten und war, ihrer Amme folgend, einige Stufen hinaufgestiegen, welche in ihr Zimmer führten, als der schnelle Gang mehrerer Soldaten auf der großen Treppe des Thurmes erscholl.
Doch die Truppe stellte sich in den unteren Stockwerken auf, zwei Männer kamen herauf, und Einer von ihnen blieb noch im Corridor, während der Andere nach dem Zimmer der Königin ging.
Man klopfte an die Thüre.
»Wer ist da?« fragte die Amme ganz zitternd.
»Ein Soldat, der im Auftrage des Königs Don Pedro kommt, um Dona Blanche eine Botschaft zu überbringen,« antwortete eine Stimme.
»Oeffne,« sagte die Königin.
Die Amme öffnete und wich vor einem Mann von hoher Gestalt zurück, der, in ein Soldatengewand, nämlich in ein Panzerhemd gekleidet, das ihm den ganzen Leib umhüllte, überdies in einen weiten, weißen Mantel gewickelt war, dessen Capuze seinen Kopf verhüllte und dessen Falten seine Hände verbargen.
»Entfernt Euch, gute Amme,« sagte er mit dem leichten, gutturalen Accent, der auch die im Sprechen der castilianischen Sprache am meisten geübten Mauren unterschied, »entfernt Euch, ich habe mit Eurer Gebieterin über wichtige Dinge zu reden.«
Von einem ersten Gefühle bewogen, wollte die Amme trotz der Aufforderung des Soldaten bleiben; doch ihre Gebieterin, die sie mit dem Blicke befragte, hieß sie durch ein Zeichen weggehen, und sie gehorchte. Doch als sie durch den Corridor ging, bereute sie alsbald diesen Gehorsam, denn sie sah aufrecht und stillschweigend an der Mauer den zweiten Soldaten, der sich ohne Zweifel bereit hielt, die Befehle desjenigen zu vollziehen, welcher zu der Königin eingetreten.
Sobald