»Das ist das gewöhnliche Gesetz, mein Junge,« sagte der Doctor, indem er mit dem Gefühle der Wollust die Dünste des Opiums ein schlürfte; »wir blühen nur, um zu verweilen; wir wachsen, um gemäht zu werden, und dürfen uns noch glücklich schätzen, wenn die Sichel des Todes uns in der Zeit unserer Jugend, unserer Schönheit trifft; wenn wir die Luft um uns her noch würzen und nicht erst, wenn der Herbstwind uns ausgetrocknet«, der Winter uns mit Schnee bedeckt hat. – Auch ich, so wie Sie mich hier sehen, war ein hübsches, blondes, rosiges Kind. He, he, he! Wer sollte das jetzt noch glauben! Wie?«
Dabei brach er in jenes krampfhafte Lachen aus, welches einen so eigenthümlichen Eindruck machte, besonders da es an dem Sterbebette einer Todten ausgestoßen wurde.
Eusebius erbebte und stand auf, aber er sank wieder zurück, denn seine Beine versagten ihm den Dienst. »Mein Gott, mein Gott!« rief er, »was soll nun aus mir werden.«
»Ganz gut,« sagte der Doctor, »beklagen Sie sich über Ihr eigenes Unglück, mein guter Freund; lassen Sie in Ihrem Schmerze dem menschlichen Egoismus freien Lauf; gestehen Sie, daß Sie Ihre Frau Ihretwegen und nicht wegen der armen Todten beklagen und Sie haben die Wahrheit gesagt.« »Egoismus!« rief Eusebius; »Sie nennen das, was ich empfinde, Egoismus? Nun wohl, Doctor, dieser Egoismus wird auch mich tödten, denn ich fühle es, daß ich nicht im Stande bin, Die zu überleben, die ich so sehr geliebt habe.«
»Desto besser für Sie, mein junger Freund,« sagte der Doctor, »und wenn Sie Ihr Wort halten, so werde ich Sie ebenso wenig bedauern, wie die junge Frau, die soeben das Leben verlassen hat, ohne von demselben etwas Anderes gekannt zu haben, als dessen Schönheiten.«
Eusebius preßte sein Gesicht in beide Hände, ohne zu antworten. Indeß hörte man von Zeit zu Zeit sein Schluchzen, welches jedes Mal von dem schneidenden Gelächter des Doctors begleitet wurde.
Plötzlich sprang Eusebius auf, denn dieses Lachen schnitt ihm in das Herz. Es war ihm unmöglich, dasselbe länger zu ertragen.
»Herr,« sagte er zu dem Doctor, »ich bin in Verzweiflung, daß ich einem Manne Ihres Alters und Ihres Standes eine Lehre geben muß. Aber wahrlich, seitdem Sie hier sind, haben Sie nicht einen Augenblick aufgehört, die Rücksicht zu verletzen, die Sie meinem Schmerze schuldig gewesen wären.«
»In meinem Alter, mein junger Freund,« erwiederte ruhig der Doctor, »hängt man an seinen Gewohnheiten, und ich habe die, nur das zu achten, was ich verstehe.«
»Nun wohl, mein Herr,« sagte Eusebius mit trockenen Augen und schneidender Stimme, »ich werde ebenso handeln und meine Zeit dabei nicht verlieren, die Erklärung Ihres auffallenden Skepticismus zu suchen. – Haben Sie die Güte, sich zu entfernen; Ihre Gegenwart, die meine Thränen trocknet, ist mir unerträglich.«
Der Doctor zog gelassen eine große Uhr aus der Tasche und sagte, indem er auf das Zifferblatt derselben sah: »Die Dankbarkeit, von der Sie soeben sprachen und die ich dafür erlangt hatte, daß ich umsonst wegen einer Person, die ich nicht kannte, mich bemühte, hat gerade eine Stunde und 47 Minuten gedauert. He, he, he! das ist sehr lange, junger Freund;ich habe Viele gesehen, bei denen sie nicht solange dauerte.«
Er nahm seinen Hut von gewichstem Leder den er in eine Ecke geworfen hatte, auf, zog seine getheerten Lederhosen in die Höhe und schritt auf die Thür zu.
Die Antwort erschien Eusebius hart, und da sie nicht ganz unbegründet war, machte er unwillkürlich eine Bewegung, den Doctor zurückzuhalten.
Dieser stand bereits auf der Schwelle der Thür, allein als er Eusebius Bewegung sah, blieb er stehen. »Soeben,« sagte er, »haben Sie geschworen, daß Sie Ihre Frau nicht überleben werden. Wenn es sich nicht um die Dankbarkeit handelt, kann man dem Worte eines redlichen Menschen glauben, und Sie behaupten ein redlicher Mensch zu sein. Ist es wirklich Ihre Absicht, zu sterben, da Ihre Frau todt ist?« »Ja,« entgegnete Eusebius finster. »Nun gut, dann will ich Ihnen beweisen, junger Mann, daß meine Freundschaft für Sie,« so unerklärlich sie Ihnen auch erscheint, kein eitles, Wort ist; Nehmen Sie diesen Dolch; es ist ein malaiischer Crid. Er ist mit dem berüchtigten amerikanischen Gifte bestrichen, von dem Sie ohne Zweifel schon haben sprechen hören und welches man Curare nennt. Der leiseste Stich in irgend einen Theil des Körpers, vorausgesetzt, daß Blut danach fließt, genügt, um einen raschen und schmerzlosen Tod herbeizuführen – Nimm Du diesen Dolch, Eusebius van der Beek, nimm ihn und ich spreche Dich dann von jeder Dankbarkeit frei.« »Ich danke Ihnen,« rief Eusebius und ergriff den Dolch bei der Klinge.« »Ei, mein lieber Freund, sehen Sie sich doch vor!« rief der Doctor. »Sie möchten sich aus Versehen ritzen und sich dann darüber nicht trösten können.«
Darauf brach er in sein verhängnißvolles Lachen aus und sagte: »Auf Wiedersehen, mein junger Freund, auf Wiedersehen!« und ging hinaus.«
»Leben Sie wohl!« rief Eusebius ihm nach.
Als er sich allein erblickte, kniete er neben der Todten nieder und wollte beten, aber sein Gedächtniß rief ihm kein einziges von den Gebeten seiner Kindheit zurück. Seine Lippen weigerten sich, den Namen Gottes, der Jungfrau und der Heiligen zu stammeln.
Man hätte glauben können, die Anwesenheit des diabolischen Doctors hätte aus der ärmlichen Wohnung alle religiösen Gefühle vertrieben, welche bei dem äußersten Schmerze der Trost der Menschen sind.
Eusebius warf die Blicke auf ein Gefäß mit Blumen, welche Esther den Tag zuvor von ihm erbeten und die er für sie gepflückt hatte. Er machte daraus einen Kranz und ein Bouquet. Den Kranz schlang er um den Kopf Esthers, das Bonquet gab er ihr in die Hand. Dann nahm er sie in seine Arme drückte sie in dem Bett zurück, daß an ihrer Seite ein Platz leer blieb und legte sich neben sie. Einige Zeit hielt er die Todte fest umschlossen und bedeckte ihre Lippen und ihre Augen mit Küssen, dann ließ er seinen linken Arm um den Hals Esthers gelegt, so daß er sie fortwährend an sein Herz preßte, und mit der rechten Hand ergriff er den Crid, den er neben sich auf den Rand des Bettes gelegt hatte, und drückte die Spitze des selben auf seine Brust.
In diesem Augenblicke gewahrte er an dem Fußende des Bettes den Doctor Basilius, der zurückgekehrt war, ohne daß Eusebius ihn gesehen oder gehört hatte, und der ihn jetzt mit leisem Kichern betrachtete.
Eusebius richtete sich empor, wie durch eine Feder in die Höhe geschnellt, und stürzte mit der Schnelligkeit des Blitzes auf den Doctor zu. Dieser erwartete ihn festen Fußes und ohne daß sein Gesicht die geringste Besorgniß verrieth, nur hatte sein Gelächter den widerlichen Schrei der Hyäne angenommen. Als er aber den jungen Mann in Bereiche seiner Hand erblickte, ergriff er das Gelenk der Hand, welche die vergiftete Waffe schwang und drückte es so gewaltig, daß der Crid den halb gebrochenen Fingern des armen Eusebius entfiel, der vor Schmerz laut aufschrie. Ohne ihm Zeit zu lassen, sich zu besinnen, faßte der Doctor ihn darauf um den Leib, und mit der Gewandtheit eines Ringes von Profession hob er ihn vom Boden empor, schwang ihn einige Mal im Kreise umher und schleuderte ihn dann ganz betäubt zu Boden. Darauf drückte, er ihm ein Knie auf die Brust, umschlang mit der linken Hand beide Handgelenke, um jeden Widerstand unmöglich zu machen und mit der rechten Hand den zu Boden gefallenen Crid ergreifend, drückte er ihm die Spitze desselben auf die Brust.
»He, he, he!« sagte der Doctor kichernd, »wir wollten also den Dolch gegen den wenden, der ihn uns gegeben hatte? Das ist nicht hübsch, mein Herr Eusebius.«
»Ich sagte es Ihnen schon, Herr,« rief Eusebius, indem er, jedoch vergebens, strebte, sich frei zu machen, »daß Ihre Anwesenheit mir verhaßt ist.«
»Undankbarer!« sagte der Doctor. »Ich liebe Dich wie mein eigenes Fleisch und Blut!«
»Wenn Sie mich lieben, weshalb dann diese Spöttereien über meinen Schmerz? Wenn Sie mich lieben, weshalb haben Sie mir dann diesen Dolch gegeben und hindern mich, desselben mich zu bedienen!«
»Dich hindern,