Eusebius trat einige Schritte zurück, doch ohne seine Frau eine Secunde aus dem Auge zu verlieren. Als er sie blaß, stumm und regungslos sah, dachte er an jene Nacht, in welcher er sie für todt hielt. Er bemerkte, daß Esther bei den Worten des Doctors leicht erröthete.
»Mein Herr,« sagte endlich der Mann der Wissenschaft zu ihm, »denken Sie an eine lange Seefahrt?«
»Ich beabsichtige,« entgegnete Eusebius, »von hier nach Bombay und von Bombay nach Europa zu segeln.«
Der Arzt schüttelte den Kopf und sagte:
»Eure solche Reise ist unmöglich.«
»Unmöglich!« rief Eusebius »und weshalb?«
»Weil ich glaube, daß Sie auf das Leben Ihrer Gemahlin Werth legen.«
»Ach, mehr als auf das meinige!« rief Eusebius.
»Nun wohl; eine solche Reise mit ihr zumachen, hieße ganz einfach, sie dem Tode überliefern, denn binnen hier und wenigen Monden wird sie Sie zum Vater machen.«
Eusebius stieß beinahe einen Schreckensschrei aus, als er diese Nachricht empfing, die ihn bei jeder andern Gelegenheit mit Freude erfüllt haben würde.
Zehn Minuten darauf trug das Boot Herrn und Madame van der Beek nach den Anlegeplatze des Hafendammes zurück, und in dem Augenblicke, als Eusebius den festen Boden betrat, rief er aus:.
»Ha, er war es! Der Dämon! – Nun wohl, kämpfen wir denn, da es gekämpft sein muß.«
X.
Der Verzückte
Eusebius kehrte traurig doch gefaßt in seine Wohnung zurück. Er sah sich durch einen Willen, der stärker war als der seinige, oder vielmehr durch eine übernatürliche Gewalt an Java gefesselt. Er fühlte die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen, sich dieser Gewalt zu entziehen. Allmälig jedoch kehrte das Vertrauen in seine Brust zurück. Er sagte sich, daß, Alles wohl erwogen, der Ausgang des zwischen ihm und dem Doctor Basilius begonnenen Kampfes von seinem Willen und seiner Beständigkeit abhing, daß es nur seine Sache sei, die Regungen seines Herzens zu ordnen, daß dieses Herz zu sehr von dem Bilde Esthers erfüllt sei, um jemals die Verwirklichung der finstern Prophezeihung des Doctors fürchten zu müssen. Er beschloß, mehr Vertrauen auf seine eigenen Gesinnungen und auf seine Liebe zu setzen, und zur großen Ueberraschung seiner Frau zeigte er sich an eben dem Abend, an welchem ihm diese dritte Täuschung geworden war, heiterer, als er es seit mehreren Monaten gewesen.
Als Esther ihn entschlossen sah, auf Java zu bleiben, wenigstens bis nach ihrer Niederkunft, wollte sie versuchen, ob die Rathschläge, die sie von dem Notar Maes empfangen hatte, nicht die so glücklich begonnene Heilung vollenden würden. Sie sprach mit Eusebius über die Sorgfalt, die ihrem Vermögen zu widmen sei, um es nicht schwinden zu sehen, von der Nothwendigkeit, eine Beschäftigung zu suchen, die seine finstern Gedanken etwas zu zerstreuen vermöchte, und zur großen Ueberraschung der jungen Frau hörte Eusebius ohne Widerspruch diese Worte, die noch den Tag zuvor seinen Unwillen und seinen Zorn erregt hatten. Dies kam daher, weil Eusebius seit seiner Rückkehr Von der »Hoffnung« neue Betrachtungen angestellt hatte.
Das Vatergefühl dieses innige und gebieterische Gefühl, hatte ihn ganz ergriffen und ihm eine vollkommen veränderte Ansicht der Dinge beigebracht. Der Mann, der für sich selbst gern und leicht auf all’ die Pracht verzichtet hätte, welche für und um ihn die Millionen des Doctor Basilius hervorriefen, der dies Alles aufgegeben hätte, um in die dunkle und bedrängte Existenz eines armen Handlungscommis zurückzukehren, war im Nu dieses Opfers unfähig geworden, in eben dem Augenblicke, als er erkannte, daß er nicht allein die Folgen desselben zu tragen haben würde, sondern daß er auch die geliebten Wesen mit sich ziehen müßte, für welche, wie er fand, die Erde nicht genug Freuden, Reichthümer und Genüsse haben konnte; daß er durch seinen Entschluß die Zukunft des Wesens gefährdet, welches unter dem Herzen, seiner angebeteten Esther sich regte und das er schon mit jener unendlichen Liebe umfaßte, welche er für dessen Mutter hegte.
Er hatte daher eine lange Berathung mit seiner Frau. Daraus entsprang bei ihm der Gedanke, einen gemischten Entschluß zu fassen, der die Pflichten für das ihm verheißene Kind mit denen seines Gewissens vereinigen sollte.
Der Entschluß, den er für sich selbst faßte, war, die Erbschaft des Doctor Basilius nur als ein Pfand anzutreten, das er früher oder später zurück zu geben hätte, entweder an die Armen oder an den Erblasser selbst, wenn es wahr war, daß er nicht durch eine Vision getäuscht wurde und daß derselbe sich noch am Leben befand. Dabei beschloß er indeß bei sich selbst, ein eigenes Vermögen mit dem fremden zu erwerben, das er augenblicklich in Händen hatte.
Als Eusebius diesen Entschluß einmal gefaßt hatte, gestattete er sich keine Schranke weiter. Gleich am nächsten Tage besuchte er seine Besitzung in der Provinz Buytenzorg, machte sich vertraut mit der Cultur der Kaffeepflanze, welche den größten Theil dieses ungeheuren Besitzthumes bedeckte, erkundigte sich nach den möglichen Verbesserungen, und zwei Tage darauf hatte er ein Comptoir und eine Niederlage in der unteren Stadt gemiethet, ein halbes Dutzend Commis angenommen und einen Monat später zählte das Haus Eusebius van der Beek zu den wichtigsten, nicht nur in Batavia, sondern in der ganzen Colonie.
Indeß obgleich alle Welt Eusebius van der Beek das unvermuthete Glück beneidete, war er keineswegs glücklich. An die Arbeit gefesselt, wie ein Sclave an seine Scholle, beschäftigte sein ausschließlicher Gedanke, sich schnell ein bedeutendes persönliches Vermögen zu erwerben, ihn so sehr, daß er, ohne es zu bemerken, Esther nicht mehr die Aufmerksamkeit und Liebe widmete, an die er sie gewöhnt hatte.
Er liebte sie deshalb im Grunde nur um so mehr, allein man hätte nicht nur in dem Herzen, sondern auch in den Gedanken von Eusebius müssen lesen können, um das zu begreifen.
Von Punct zu Punct das verwirklichend, was seine Frau in dem Munde des Notars nur für ein Utopien gehalten hatte, widmete er seinen Geschäften nicht nur seine Tage, sondern auch seine Nächte. Kaum brach die Morgenröthe an, so verließ er Batavia, um die Arbeiten seiner Neger in der Provinz Buytenzorg zu überwachen und am Abend kehrte er so schnell zurück, als die sechs Pferde, die vor seinen Wagen gespannt waren, ihn ziehen konnten. Gegen die Gewohnheit der Javaschen Kaufleute blieb er, auf die Gefahr hin, das Fieber zu bekommen, selbst nach Sonnenuntergang noch in der unteren Stadt, um die Handelsgeschäfte abzuthun. Aber ungeachtet seiner Thätigkeit, ungeachtet seiner gründlichen Kenntnisse segnete der Himmel seine Anstrengungen nicht, und die Bilanz, die er am Ende jedes Monats aufstellte, hatte schon sieben Mal nach einander nicht die geringste Zunahme des Vermögens dargethan, welches er von dem Doctor Basilius überkam.
Alles war eigenthümlich in Eusebius Leben. Er mochte so viel er wollte verkaufen, kaufen, wieder verkaufen, speculiren, wagen, vorsichtig sein, selbst die Geschäfte vernachlässigen, so blieb sich doch das Soll und Haben am Ende jedes Monats gleich und das Facit war das des ursprünglichen Vermögens. Aber in dem Maße, wie der Erfolg seinen Hoffnungen ermangelte, steigerte sich die Gewinnsucht, von der Eusebius beseelt war. Er wollte das Glück beherrschen und begann den Kampf Mann gegen Mann mit ihm. Seine Thätigkeit verwandelte sich in eine Art von Wuth, sein Eifer in Hartnäckigkeit. Er beschränkte die Zeit, die er seinem Schlafe gewidmet hatte, um neue Berechnungen anzustellen, die ihm zu dem so sehnlich gewünschten Vermögen verhelfen sollten, um sich dessen zu entledigen, welches so schwer auf seinem Gewissen lastete.
Zum zweiten Male litt seine Gesundheit unter diesem verzehrenden Fieber; zum zweiten Male hegte Esther lebhafte Besorgnisse. Eines Tages wagte sie einige Bemerkungen und flehte zugleich ihren Mann an, einiger Ruhe zu genießen. Aber Eusebius, der stets so freundlich, so gut gegen sie gewesen war, antwortete: »Es muß sein,« mit einem Tone, der keine Widerrede gestattete, und die arme Frau, deren beständiger Gedanke nur war, Dem zu gefallen, den sie liebte, hegte einen Augenblick die Furcht, ihm bereits mißfallen zu haben und gelobte sich selbst, in Zukunft zu schweigen und sich ergebungsvoll zu fügen.
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