»Herr Maes,« sagte Wilhelmine, »Sie sind ein durchaus verderbter Mensch; achten Sie wenigstens das Zartgefühl dieser jungen Frau.«
»Ei, Madame,« entgegnete der Notar, »ist es nicht sieben Uhr vorbei und folglich erlaubt, über den komischen Gedanken des Doctor Basilius zu scherzen?«
»Komisch! Komisch!« rief Madame Maes. »Das Ungeheuer findet den Gedanken komisch?«
»Mein Herr,« sagte Esther, »ich habe noch eine letzte Frage an Sie zu richten.«
»Sprechen Sie,« entgegnete der Notar, indem er seine Ernsthaftigkeit wieder annahm.
»Was ist aus diesen drei Frauenzimmern geworden?«
»Ich weiß es nicht. Als ich am Tage nach der Beerdigung in das Haus des Doctor Basilius kam, waren sie verschwunden.«
VIII.
Die Berathung
Gleich allen nervösen Krankheiten war auch die des Eusebius langwierig und schwer. Auf die Gehirnerschütterung, welche sich durch das rasende Delirium äußerte, welches Esther so sehr in Schrecken setzte, folgte ein hitziges Fieber, und auf dieses dann ein Zustand der Ermattung, nicht minder beunruhigend, als die vorhergehenden Phasen der Krankheit. Die geistige Kraft des jungen Mannes schien, wo nicht erloschen, doch wenigstens betäubt zu sein, die fürchterlichen Krisen, denen er unterworfen gewesen war, hatten ihm zugleich die Erinnerung und die Fassungskraft geraubt. Er sprach wenig und schien die meiste Zeit nicht einmal zu bemerken, was rings um ihn her vorging-. Von allen erloschenen Gefühlen erwachte zuweilen nur eines, und dieses wurde durch die Anwesenheit Esther’s an seinem Krankenbett hervorgerufen. Die Liebe zu seiner Frau war durch alles das vermehrt, was die anderen Gefühle verloren hatten. Esther schien der Schutzengel geworden zu sein, der in diesem, durch Leiden erschöpften Körper, die Seele zurückhielt, welche demselben zu entfliehen auf dem Puncte stand. Stundenlang blickte er, seine beiden Hände in den ihrigen liegend, seine Frau an, und wenn diese durch ein Zeichen, ein Wort, eine Bewegung, ihre Zärtlichkeit aussprach, belebte sich der für gewöhnlich matte, todte Blick ihres Gatten mit ungewöhnlichem Glanze, ohne daß der Mund des Kranken ein Wort aussprach, und erinnerte so durch seinen Ausdruck die junge Frau an die süßen und glühenden Schwüre der ersten Tage ihrer Leidenschaft. Wenn dagegen Esther gezwungen war, sich von dem Bette ihres Mannes zu entfernen, wurde Eusebius traurig, unruhig, unglücklich; verlängerte sich diese Abwesenheit, so fand er durch unerhörte Anstrengungen die Sprache wieder, und die Augen von Thränen erfüllt, rief er sie angstvoll. Kam sie zu ihm zurück, so betrachtete er sie mit fieberhafter Unruhe, und als wollte er dem Zeugniß seiner Augen nicht glauben, strich er ihr dann mit den Händen über das Gesicht, befühlte ihre Arme, ihre Knie, und gewann erst einige Ruhe wieder, wenn wenige Worte der Zärtlichkeit, eine Liebkosung, ein Kuß, dem unglücklichen jungen Manne hinlänglich bewiesen hatten, daß es wirklich seine Frau sei, die an seiner Seite stand.
Von der Vergangenheit, von der furchtbaren Nacht, in welcher er den Beistand des Doctor Basilius aufsuchte, von dessen Tod, von der großen Erbschaft, die dem armen Ehepaare zufiel war nie die Rede; Eusebius hatte Alles vergessen, oder es schien wenigstens so. Er bemerkte nicht einmal die Veränderungen, welche die Erbschaft in seinem Hauswesen hervorgebracht hatte; er nahm die Sorgfalt zahlreicher Diener, die ihn seit seiner Krankheit umringten, in Anspruch, als wäre er von jeher an eine solche Dienerschaft gewöhnt. Er wunderte sich nicht, statt der schmutzigen, finstern Wände der Hütte in der Krokot-Straße, die vergoldeten Tapeten, die reichen Vorhänge des Hotels auf dem Königsplatze zu sehen, in welchem Madame van der Beek seit ihrer Zusammenkunft mit dem Notar Maes ihre Wohnung aufgeschlagen hatte.
Es ist unnöthig, zu erwähnen, daß die Sorgfalt, welche Eusebius seiner Frau während der Krankheit derselben erwiesen hatte, jetzt von dieser reichlich vergelten wurde. Die besten Aerzte Batavia’s waren herbeigerufen worden, um dem Kranken ihre Pflege zu widmen. Als in dem Zustande ihres Mannes keine Besserung eintrat, vereinigte sie alle zu einer Consultation, und forderte sie auf, ihr Urtheil über das Hinschmachten auszusprechen, welches zu vollenden drohte, was von dem Fieber begonnen worden war.
Die Jünger des Aeskulap hatten dadurch, daß sie von Europa nach Indien gegangen waren, nichts von den Traditionen ihres Standes verloren, und die Aerzte Batavia’s waren in ihren Urtheilen ebenso von einander abweichend, wie bei ähnlichen Gelegenheiten die von Paris, London oder Amsterdam es nur irgend sein können. Sie theilten sich in zwei Parteien, indem Zwei von ihnen erklärten, Eusebius sei rettungslos verloren, während zwei Andere Esther die schönsten Hoffnungen verliehen. Ein Fünfter schwieg. Sein Ausspruch hätte die Wagschale nach der einen oder andern Seite niederdrücken können; aber wie sehr man auch in ihn drang, begnügte er sich doch damit, zu sagen, der Kranke könnte genesen, wenn sein Zustand sich nicht verschlimmerte; wäre dies aber der Fall, so stände er für nichts.
In Beziehung auf die anzuwendenden Mittelwaren die Meinungen indeß ungleich verschiedener, und als die Consultation beendigt war, befand sich die arme Esther in einem Zustande der Betäubung, welcher dem ihres Mannes wenig nachgab. Sie war allein und kam sich sehr verlassen vor. Bei der Gemüthsstimmung, in welche die Krankheit ihres Mannes sie versetzte, hatte sie keine Bekanntschaften gesucht. Ueberdies wirkte der schlechte Ruf des Doctor Basilius, und das Aergerniß, welches dessen sonderbares Testament erweckte, auch auf seine Erben zurück. Und die neuen Nachbarn in Weltevrede blickten auf Eusebius und Esther kaum mit besserem Auge, wie früher die des armen chinesischen Viertels, welches sie in ihrem Elend bewohnt hatten.
Der Notar Maes war die einzige Person von Wichtigkeit, mit welcher Madame van der Beek in Verbindung blieb. Er hatte sich so viel es in seiner Natur lag, gut und theilnahmvoll gegen sie bewiesen, und ehe das Gericht sie in Besitz der Reichthümer des Doctors setzte, schoß er den jungen Gatten bereitwillig die Summen vor, deren sie in ihrer Lage bedurften. Es war daher natürlich, daß Esther sich entschloß, bei dem Notar Maes Rath zu suchen. Um 1 Uhr Nachmittags trat sie in sein Arbeitscabinet. Sie fand ihn daher ernst und steif, wie er sich während der ersten Viertelstunde ihres Zusammentreffens gezeigt hatte.
Sie erklärte ihm die Ursache ihres Besuches. Der Notar hörte sie an, ohne mit den Wimpern zu zucken, und antwortete ihr dann mit dem Tone der Ueberzeugung: »Ich sehe keinen Grund, sich zu beunruhigen, Madame. Der Zustand des Herrn van der Beek ist ernst, aber zum Glück hat die göttliche Vorsehung das Heilmittel dem Uebel an die Seite gesetzt.«
»Das Heilmittel? Ach wenn Sie eines kennen, so sprechen Sie, Herr Maes; ich beschwöre Sie, und müßte ich auch das ganze Vermögen meines Onkels opfern, so würde ich dieses Mittel anwenden.«
»Sie haben gar nichts zu opfern, Madame, und weit entfernt, Sie irgend etwas zu kosten, wird dieses Mittel sogar Ihr Vermögen vermehren; es wird für Sie eine Quelle neuen Reichthums sein und Sie zu den reichsten Colonisten Batavia’s machen.«
»Aber was ist das für ein Hilfsmittel?«
»Die Arbeit!« sagte ernst Herr Maes.
»Die Arbeit?« wiederholte Esther verwundert.
»Ja, Madame. Van der Beek leidet, weil er unbeschäftigt ist, wie sein Magen leidet, weil man ihm nicht die passende Nahrung gibt. Ihn zu einer unbedingten geistigen Diät verurtheilen, heißt seinen Tod ebenso sicher herbeiführen, als wenn Sie ihn einer unbedingten physischen Diät unterwerfen wollten. Geben Sie ihm die Sorge, die Unruhe, die kleinen Leiden zurück, welche die wahren Triebfedern des Lebens sind, und Sie werden sehen, daß er seine Kraft und seine Jugend wieder gewinnt. Er rühre sich und er wird leben.«
»Aber Sie bedenken nicht, mein Herr,« sagte Esther, »daß mein Mann kaum zwei zusammenhängende Gedanken fassen kann, und nicht vier Worte hinter einander zu sprechen vermag.«
»Das Alles wird sich mit der Sorge um seine Interessen finden, meine theure Dame. Es ist mit der Arbeit, wie mit dein Spiele. Sobald ein Würfel eine seiner Seiten gezeigt hat, ergreift das Fieber Den, der ihn warf;der Dämon der Gewinnsucht schüttelt ihn, wie der Spieler selbst den Becher schüttelt, der sein Glück oder seinen Untergang in sich trägt. Die Arbeit, Madame van der Beek, ist das Universal-Heilmittel, das einzig wahre, das einzig sichere. Die Arbeit wird Ihrem Manne die Gesundheit zurückgeben. Sehen Sie, nehmen Sie mich zum Beispiel an,« fuhr der Notar fort.