Dabei wurde dem Grafen von Montgomery aufgegeben, alle diejenigen, die der Kezerei über wiesen wären, über die Klinge springen, sie der Folter unterwerfen, ihnen die Zunge ausschneiden und sie zuletzt bei langsamem Feuer verbrennen zu lassen; denjenigen, die nur verdächtig wären sollten blos die Augen anegestochen werden.
Nun geschah es, daß fünf Tage, nachdem König Heinrich II seinem Capitän der schottischen Garde diesen Befehl ertheilt hatte, Gabriel von Lorges, Graf von Montgomery, den König Heinrich mit seiner Lanze erstach.
Der Eindruck dieses Todes war so groß, daß er vier von den fünf verhafteten Räthen rettete, und daß die Hinrichtung des fünften verschoben wurde. Einer von den fünf wurde freigesprochen drei wurden zu Geldstrafen verurtheilt. Anne Dubourg allein mußte für die andern büßen, War er nicht der Wortführer gewesen?
Wenn nun die Guise die leidenschaftlichen Aufhetzer zu diesen Edicten waren, so war einer der leidenschaftlichsten Anführer derselben dieser heuchlerische Präsident Anton Minard, den wir in der alten Templestraße verlassen haben, wie er auf einem widerspenstigen Maulthier zwischen einem doppelten Spalier von entrüsteten Bürgern ritt, die ihn mit schrecklichem Geschrei, Beschimpfungen und Drohungen verfolgten.
Und wenn wir sagten, er habe, obschon er nur noch hundert Schritte von seinem Haus entfernt gewesen, dennoch keine Sicherheit gehabt mit heiler Haut heimzukommen, so haben wir die Lage nicht schlimmer gemacht, als sie wirklich war, denn Tags zuvor war am hellen Tag ein Parlamentsschreiber Namens Julian Fresne aus unmittelbarer Nähe mit einem Pistol erschossen worden, als er eben in den Justizpalast gehen wollte, um, wie man sagte, einen Brief vom Herzog von Guise zu über bringen, worin derselbe seinen Bruder, den Cardinal von Lothringen, aufforderte, die Verurtheilung von Anne Dubourg zu beschleunigen.
Daraus folgt, daß dieser Mord, dessen Urheber man nicht hatte ermitteln können, natürlich dem Gedächtniß des Präsidenten vorschwebte, und daß das Gespenst des armen, Tags zuvor erschossenen Schreibers hinter ihm aus dem Maulthier saß.
Dieser Reisegesellschafter war es, der den Präsidenten so blaß machte und die krampfhaften Bewegungen seiner Fersen veranlaßte, womit er sein halsstarriges Thier bearbeitete, das darum keineswegs schneller ging.
Gleichwohl kam er mit heiler Haut vor seinem Hause an; ich schwöre Euch, und wenn er noch lebte, so würde er selbst Euch schwören, daß es höchste Zeit war.
In der That drängte sich die Menge, erbittert durch sein Stillschweigen, das blos die Folge seiner Angst war, worin sie aber einen Beweis seiner Bosheit fürchtete, allmählig immer dichter um ihn, so daß er in förmliche Gefahr gerieth erstickt zu werden.
Nun gelangte der Präsident Minard, so sehr ihn auch die Fluthen dieses stürmischen Meers bedroht hatten, gleichwohl sicher in den Hafen zur großen Beruhigung seiner Familie, welche alsbald die Thüre hinter ihm verriegelte und fest verschloß.
Der würdige Mann hatte über diese Gefahr dermaßen den Kopf verloren, daß er sein Maulthier an der Thüre vergaß, was er bei einer andern Gelegenheit gewiß nicht gethan hätte, obschon es mit zwanzig Sous Parisis sehr gut und weit über seinen Werth bezahlt gewesen wäre.
Und es war ein großes Glück für ihn, daß er sein Maulthier vergaß, denn als dieses gute Pariservolk, das so leicht von Drohungen zum Lachen und vom Furchtbaren zum Grotesken übergeht, sah, daß man ihm Etwas ließ, so begnügte es sich mit Dem was man ihm ließ und nahm das Maulthier statt des Präsidenten.
Was unter den Händen des Janhagels aus dem Maulthier wurde, sagt die Geschichte nicht. Lassen wir also das Maulthier und folgen wir seinem Herrn ins Innere seiner Familie.
II.
Das Geburtsfest des Präsidenten Minard
Wir bekümmern uns sehr wenig, nicht wahr, liebe Leser um die Besorgnisse, welche das lange Ausbleiben des Präsidenten Minard bei seiner Familie hervorgerufen hatte. Wir werden uns also nicht mehr damit beschäftigen, sondern uns sogleich der Familie anschließen, wie diese sich ihrem Oberhaupt angeschlossen hatte, und mit ihr in den Speisesaal gehen, wo das Abendessen aufgetragen war.
Werfen wir einen flüchtigen Blick auf die Gäste, dann wollen wir auch ihre Unterhaltung belauschen.
Keiner der Gäste, die am Tisch saßen, würde auf den ersten Blick die Sympathie eines intelligenten Beobachters erregt haben. Es war eine Musterkarte von all den nichtssagenden oder einfältigen Physiognomien, die man in allen Klassen der Gesellschaft wiederfindet.
Jedes Mitglied der Familie des Präsidenten Minard trug den Wiederschein der Gedanken, die es bewegten, auf seinem Gesicht. Alle diese Gedanken krochen und wimmelten in den Nebeln der Unwissenheit oder in den Niederungen der Gemeinheit.
Bei den Einen war es das Interesse, bei den Andern der Egoismus, bei Diesen der Geiz, bei Jenen der Knechtssinn.
Man sah hier einen scharfen Gegensatz gegen die Menge, welche, gleich dem Sclaven hinter dem Wagen des römischen Triumphators, dem Präsidenten Minard so eben zugerufen hatte: »Erinnere Dich, Minard, daß Du sterblich bist!« Die Mitglieder dieser Familie, die sich zur Jahresfeier seiner Ernennung zum Präsidenten, welche mit seinem Geburtstag zusammenfiel, versammelt halten, warteten sammt und sonders nur auf ein Wort aus seinem Munde, um ihn zu der glänzenden Rolle, die er so eben beim Proceß seines Collegen gespielt, zu beglückwünschen und auf das glückliche Ergebniß dieses Processes d. h. auf das Todesurtheil gegen Herrn Dubourg zu trinken; und als Minard auf seinen Lehnstuhl sank, sich mit dem Schnupftuch über die Stirne fuhr und sagte: »Ah wahrhaftig, ihr lieben Leute, heute haben wir eine stürmische Sitzung gehabt!« da brachen Alle in lautes Geschrei aus, wie wenn sie nur auf dieses Signal gewartet hätten.
»Schweigt, großer Mann!« sprach ein Neffe, der im Namen Aller das Wort führte; »sprecht nicht, sondern ruhet von Euren Strapazen aus und erlaubet uns den Schweiß zu trocknen, der von Eurer edlen Stirne fließt. Heute ist der Jahrestag Eurer Geburt, dieser große Tag, so glorreich für Eure Familie Und für das Parlament, zu dessen glänzendsten Leuchten Ihr gehöret. Wir sind versammelt, um ihn zu feiern, aber wir wollen noch einige Augenblicke warten. Schöpfet Athem; trinket ein Glas von diesem alten Burgunden und dann werden sogleich auch wir auf die Erhaltung Eures kostbaren Lebens trinken; aber ums Himmelswillen, hemmet den Lauf desselben nicht durch eine Unvorsichtigkeit. Eure Familie fleht Euch an, daß Ihr Euch ihr erhaltet, daß Ihr der Kirche ihre festeste Stütze, Frankreich einen seiner berühmtesten Söhne erhalten möget.«
Auf diese kleine Rede, welche der Form nach schon in jener antiken Zeit veraltet war, wollte der Präsident Minard mit Thränen in den Augen antworten, allein die dürren Hände seiner Frau und die fleischigen Hände seiner Fräulein Töchter verschlossen ihm den Mund, und verhinderten ihn zu sprechen. Endlich nach einigen Minuten Ruhe wurde Herrn Minard das Wort zurückgegeben, und ein langes Bst lief durch die Reihen der Anwesenden damit selbst die Diener, die hinter den Thüren standen, keine Sylbe von der Antwort des beredten Rathes verlieren sollten.
»Ach, meine Freunde,« konnte er endlich beginnen, »meine Brüder, meine Verwandten, meine tugendhafte und vielgeliebte Familie, ich danke Euch für Eure Freundschaft und Eure Lobsprüche; aber ich verdiene sie auch in Wahrheit, oh meine zärtliche Familie! denn ich kann ohne Stolz oder wenn Ihr lieber wollt, mit einem edlen Stolz sagen, ja ich kann laut sagen, daß ohne mich, ohne meine Ausdauer und ohne meine Hartnäckigkeit, der Ketzer Anne Dubourg zu dieser Stunde freigesprochen wäre wie seine Mitschuldigen: Poix, Fumée, du Faux und de la Porte; aber meinem energischen Willen hat mans zu verdanken, daß die Partie gewonnen worden ist, und ich habe, fuhr er fort, indem er seine Augen als Zeichen des Dankes zum Himmel aufschlug, »ich habe, Gott sei Dank, so eben die Verurtheilung dieses elenden Hugenotten aussprechen lassen.«
»Vievat hoch!« rief die Familie, indem sie mit ihren Armen in die Höhe fuhr, wie aus einem Munde. »Es lebe unser hochberühmte Verwandter!