Dieser hatte indessen die Worte gehört, seine Augen hatten sich Mieder geöffnet, ein Blick der Drohung verfolgte einen Moment den Soldaten; alsdann ergriff er mit einer raschen Bewegung das Papier, auf welches der Befehl geschrieben war, und verbarg es in seiner Brust.
Marceau hielt seinen Athem zurück; seine rechte Hand schien am Griffe seines Säbels festgeklebt: seine linke Hand trug mit der Stirne das ganze Gewicht seines an die Scheidewand angelehnten Körpers.
Der Gegenstand seiner Aufmerksamkeit lag nun auf der Seite; bald rückte er, sich mit dem Ellenbogen und dem Knie helfend, langsam, immer liegend, gegen den Eingang der Hütte vor; der Zwischenraum, der sich zwischen der Schwelle und der Thüre fand, erlaubte ihm, die Beine einer Gruppe von Soldaten zu bemerken, welche davor standen. Geduldig und immer langsam, sing er nun an gegen das halb geöffnete Fenster zu kriechen; auf drei Fuß von demselben angelangt, suchte er in seiner Brust eine Waffe, die darin verborgen war, richtete seinen Körper auf, und stürzte mit einem einzigen Sprunge, mit einem Jaguarssprunge, aus der Hütte. Marceau stieß einen Schrei aus: er hatte weder Zeit gehabt, diese Flucht vorherzusehen, noch sie zu verhindern. Ein anderer Schrei antwortete auf den seinen: dieser war ein Fluch. Der Vendéer war, aus dem Fenster fallend, von Angesicht zu Angesicht mit dem General Dumas zusammengetroffen; er hatte ihn mit seinem Messer stechen wollen, doch Dumas hatte den Bauern bei der Faust gepackt, diese gegen seine Brust umgebogen, und er brauchte nur noch zu stoßen, daß der Vendéer sich selbst erdolchte.
»Ich versprach Dir einen Führer, Marceau; hier ist einer, und zwar ein verständiger, wie ich hoffe. – Ich könnte Dich erschießen lassen, Bursche,« sagte er zu dem Bauern; »es ist mir bequemer, Dir das Leben zu schenken. Du hast unser Gespräch gehört, doch Du wirst es denen, die Dich geschickt haben, nicht berichten. – Bürger,« wandte er sich an die Soldaten, welche diese seltsame Scene herbeigeführt hatte, – »zwei von Euch haben jeder eine Hand von diesem Menschen zu nehmen und sich mit ihm an die Spitze der Colonne zu stellen; er wird unser Führer sein; bemerkt Ihr, daß er Euch täuscht, macht er eine Bewegung, um zu fliehen, so jagt ihm eine Kugel durch den Kopf und werft ihn über die Hecke.«
Einige leise gegebene Befehle setzten sodann diese gebrochene Linie von Soldaten in Bewegung, welche sich um die Asche, die ein Dorf gewesen, ausdehnte. Die Gruppen verlängerten sich, jedes Peloton schien sich an das andere anzulöthen. Eine schwarze Linie bildete sich, stieg den langen Hohlweg hinab, der Saint-Crepin von Montfaucon trennt, drang hier ein wie ein Rad in ein Fahrgeleise, und als nach einigen Minuten der Mond zwischen zwei Wolken durchzog und sich einen Augenblick aus diesem Bande von Bajonneten spiegelte, welche geräuschlos hinschlüpften, d.a hätte man geglaubt, man sehe im Schatten eine ungeheure schwarze Schlange mit stählernen Schuppen kriechen.
II
Es ist etwas Trauriges für eine Armee um einen Nachtmarsch. Der Krieg ist schön an einem schönen Tage, wenn der Himmel das Treffen anschaut; wenn die Völker, um das Schlachtfeld sich erhebend wie auf den Stufen eines Circus, den Siegern zuklatschen; wenn die schmetternden Töne der Blechinstrumente die muthigen Fibern des Herzens schauern machen; wenn Euch der Rauch von tausend Kanonen mit einem Leichentuche bedeckt; wenn Freunde und Feinde da sind, um zu sehen, wie Ihr gut sterbt: das ist erhaben! Doch die Nacht! . . . Nicht wissen, wie man Euch angreift und wie Ihr Euch vertheidigt; fallen ohne zu sehen, wer Euch schlägt, noch woher der Streich kommt; fühlen, wie Euch diejenigen, welche noch stehen, mit dem Fuße stoßen, ohne zu wissen, wer Ihr seid, und auf Euch gehen! . . . Oh! da nimmt man nicht die Stellung eines Gladiators an, man wälzt sich, man krümmt sich, man beißt in die Erde, man zerreißt sie mit den Nägeln; das ist gräßlich!
Darum marschirte diese Armee traurig und stillschweigend: sie wußte, daß sich auf jeder Seite der Straße hohe Hecken, ganze Felder von Stechgenster hinzogen, und daß am Ende dieses Weges ein Kampf, ein Kampf bei Nacht stattfinden sollte.
Sie marschirte seit einer halben Stunde; von Zeit zu Zeit drang, wie gesagt, ein Mondstrahl zwischen zwei Wolken durch und ließ an der Spitze der Colonne den Bauern erscheinen, der als Führer diente, das Ohr aufmerksam aus das geringste Geräusch, und immer bewacht von den zwei Soldaten, welche an seiner Seite gingen. Zuweilen hörte man auf den Flanken ein Rauschen von Blättern; die Spitze der Colonne machte plötzlich Halt; mehrere Stimmen riefen: Wer da? . . . Nichts antwortete, und der Bauer sagte lachend: »Es ist ein Hase, der sein Lager verläßt!« Oesters glaubten die zwei Soldaten vor sich etwas sich bewegen zu sehen, was sie nicht unterscheiden konnten; sie sagten zu einander: »Schau doch!..« und der Vendéer erwiederte: »Es ist Euer Schatten, laßt uns weiter gehen.« Plötzlich, bei der Biegung der Straße, sahen sie zwei Männer vor ihnen aufstehen: sie wollten rufen: Einer von den Soldaten fiel, ohne daß er Zeit gehabt, ein Wort hervorzubringen; der Andere wankte eine Secunde und hatte nur noch Zeit, zu sagen: »Herbei!«
Zwanzig Flintenschüsse gingen auf der Stelle los. Beim Scheine dieses Blitzes konnte man drei Männer unterscheiden, welche flohen; der Eine von ihnen wankte und schleppte sich einen Augenblick längs der Böschung fort, in der Hoffnung, die andere Seite der Hecke zu erreichen. Man lief auf ihn zu: es war nicht der Führer; man befragte ihn, er antwortete nicht! ein Soldat stieß ihm das Bajonnet durch den Arm, um zu sehen, ob er todt sei: er war es.
Nun wurde Marceau der Führer. Das Studium, das er über die Oertlichkeiten gemacht, ließ ihn hoffen, er werde sich nicht verirren. Nachdem man noch eine Viertelstunde marschirt war, erblickte man wirklich die schwarze Masse des Waldes. Hier sollten sich
nach der Kunde, welche die Republicaner erhalten, um eine Messe zu hören, die Einwohner einiger Dörfer, die Trümmer mehrerer Heere, ungefähr achtzehnhundert Mann versammeln.
Die zwei Generale trennten ihre Truppe in mehrere Colonnen, mit dem Befehle, den Wald einzuschließen und ihre Richtung auf allen Wegen zu verfolgen, welche nach dem Mittelpunkte gingen. Eine Colonne machte Halt auf dem Wege, der sich vor ihr fand; die anderen dehnten sich im Kreise auf den Flügeln aus; man hörte noch einen Augenblick das abgemessene Geräusch ihrer Schritte, das immer schwächer wurde; endlich erlosch es ganz, und es trat eine völlige, Stille ein. Die halbe Stunde, welche einem Kampfe vorhergeht, verläuft rasch. Der Soldat hat kaum Zeit, nachzuschauen, ob sein Gewehr gut mit Zündkraut versehen ist, und zu seinem Kameraden zu sagen: »Ich habe zwanzig bis dreißig Franken in der Ecke meines Sackes; sterbe ich, so schicke sie meiner Mutter!«
Das Wort Vorwärts! erscholl, und Jeder bebte, als ob er nicht darauf gefaßt gewesen wäre.
So wie sie vorrückten, schien es ihnen, der Kreuzweg, der den Mittelpunkt des Waldes bildete, sei erleuchtet; als sie näher kamen, gewahrten sie flammende Fackeln; bald wurden die Gegenstände deutlicher, und ein Schauspiel, von welchem keiner von ihnen eine Idee gehabt, bot sich ihren Blicken.
An einem plump durch ein paar aufgehäufte Steine repräsentirten Altar las der Pfarrer von Sainte-Marie-de-Rhe eine Messe; Greise umgaben eine Fackel in der Hand haltend den Altar, und rings umher beteten Weiber und Kinder auf den Knieen. Zwischen den Republicanern und dieser Gruppe stand eine Mauer von Männern und bot auf einer schmäleren Fronte denselben Schlachtplan für die Vertheidigung wie für den Angriff. Es wurde klar, daß sie unterrichtet worden, selbst wenn man nicht im ersten Gliede den Führer, welcher entflohen war, erkannt hätte; nun war es ein vendeeischer Soldat mit seinem vollständigen Costume, auf der linken Seite der Brust das Herz von rothem Stoffe, das als Erkennungszeichen diente, und am Hute das weiße Sacktuch, das den Helmbusch ersetzte, tragend.
Die Vendéer warteten nicht, bis man sie angriff; sie hatten Tirailleurs im Walde verbreitet, und sie begannen das Feuer; die Republicaner rückten das Gewehr im Arm vor, ohne einen Schuß zu thun, ohne auf das wiederholte Feuer ihrer Feinde zu antworten, ohne andere Worte nach jeder Salve von sich zu geben, als die: »Schließet die Glieder! schließet die Glieder!«
Der Priester hatte seine Messe nicht vollendet, und er setzte sie fort; sein Auditorium schien dem, was vorging, fremd zu sein, und blieb auf den Knieen. Die republicanischen Soldaten rückten immer weiter vor. Als sie nur noch dreißig Schritte von ihren Feinden entfernt waren, kniete das erste Glied nieder, drei Linien Gewehre senkten sich wie Aehren, die der Wind beugt. Das Feuer brach los: man sah die Reihen der Vendéer sich lichten, und, durchgehend, tödteten einige Kugeln Weiber und