»Gott sei Dank!« rief George aufatmend, als er an das Ufer sprang. »Nun, Leute«, wandte er sich an die Türken, »ist das Boot hier sicher und kann es hier liegen bleiben, bis ich Euch Nachricht sende? Ich werde Eurer noch bedürfen, auch habt Ihr Euch mir auf eine Woche verdungen. Ich glaube nicht, dass die Russen Sinope besehen werden, und ich denke, das Boot wird hier sicher sein; die Russen werden diese Bucht nicht entdecken.«
Die Türken wollten sich gegen alle Wechselfälle sichern; sie verlangten eine Entschädigung für den Fall, dass ihr Boot von den Russen genommen würde George versprach alles. Dagegen gelobten die Türken, sich noch sechs Tage zu seiner Verfügung zu halten und über das Gepäck des jungen Mannes, das sich in der Kajüte befand, zu wachen. Es wurde ausgemacht. dass die Türken das Boot nach dem Hafen von Sinope führen sollten, sobald sich mit Sicherheit herausgestellt, dass die Russen die Reede verlassen. Dann eilte George, von Johnny gefolgt, die Berge hinauf.
Er hatte die schützende Decke im Boot zurückgelassen, und seine schlanke, hohe und regelmäßige Gestalt zeigte sich jetzt unverhüllt. Trotz der Eile offenbarten seine Bewegungen natürlichen Anstand und Anmut. Er trug europäische Tracht, jene dem türkischen Fes ähnliche dunkle Mütze ausgenommen. Es wurde Johnny nicht leicht, dem beweglichen jungen Manne die Berge hinauf zu folgen; seine starke, untersetzte Gestalt war für das Klettern nicht eben geeignet. Aber unermüdlich und ausdauernd überwand er die Schwierigkeiten, des Schweißes nicht achtend, der ihm auf das gerötete Gesicht trat. Auf der Höhe angelangt, orientierten sie sich über den Weg und eilten dann auf dem Kamm der Felsen weiter.
Das grässlich schöne Schauspiel der Seeschlacht lag jetzt fast zu ihren Füßen. Nicht nur der Donner der Kanonen umdröhnte sie majestätisch, sie hörten auch zu weilen das Sausen der Kugeln; sie sahen deutlich die russischen Schiffe in Kampfordnung aufgestellt und auch die türkischen Fahrzeuge, deren Zahl bereits zusammengeschmolzen war. Die Strandbatterien von Sinope schienen untätig zu sein; sie hätten nicht feuern können, ohne die türkischen Schiffe zu treffen, denen es bei dem unerwarteten Angriff unmöglich gewesen, ihre Stellung zu ändern. Johnny hätte gern mit Muße den Kampf beobachtet, aber die Ungeduld Georges trieb auch ihn weiter. Ein furchtbares Krachen hielt sie beide auf, atemlos standen sie still. Eine ungeheure Lohe erhob sich im Hafen von Sinope, eine riesige Dampfwolke wirbelte langsam empor, bis sie vom Winde ergriffen und zerstreut wurde. Es zeigte sich, dass wieder eine neue Lücke in den türkischen Schiffen entstanden. Andere Schiffe brannten; eins versank, wenige Minuten, nachdem jenes Schiff in die Luft geflogen. Es war ein Anblick voll Grauen, nur gemildert durch die weite Entfernung, die den beiden Männern die Einzelnheiten entzog, von denen ein solcher Kampf begleitet sein musste. Selbst Johnnys Gesicht wurde finster und er sagte mürrisch:
»Das ist ja eine Heidenwirtschaft! Da sind wir gerade gut zurechtgekommen! Damn! Warum schickten wir nicht fünf von den Dreideckern, die jetzt im Bosporus von ihrem Nichtstun ausruhen, in den Hafen? Da wären die Russen wohl hübsch draußen geblieben! Na, Sir, es kommt noch! Ich denke, nun wird’s losgehen!«
Der Kampf währte ununterbrochen mit derselben Wut fort, während die beiden, so schnell es der unebene Boden erlaubte, über die Höhen eilten. Ein türkisches Schiff sank nach dem andern. Auch in der Stadt wirbelten schon Rauchsäulen auf. Die Strandbatterien von Sinope ließen ihre Kanonen spielen, denn die Schiffe, die sie gehindert, lagen entweder auf dem Meeresgrunde, oder waren in Millionen Trümmern zum Himmel emporgeflogen oder man hatte sie auf den Strand treiben lassen. Die Russen überschütteten die Batterien mit Bomben.
George und Johnny waren jetzt der Stadt so nahe, dass sie deutlich die Barken bemerken konnten, auf welchen die türkische Besatzung sich von den Schiffen zu retten suchte. Auch einen kleinen Dampfer bemerkten sie, der durch die russische Flotte hindurchfuhr kund glücklich die hohe See erreichte. Es war, wie sie später erfuhren, der türkische Dampfer Taïf, der einzige, der die Kunde von dem Unglück bei Sinope nach Konstantinopel brachte.
Die Wanderung bis zu den Vorstädten hatte ungefähr eine Stunde gedauert; wenig mehr als zwei Stunden waren seit dem Beginn des Kampfes verstrichen. Jetzt wurde das Feuer plötzlich schwächer und schwieg – dann fast ganz. George und Johnny waren eine Zeitlang in einer Ebene weitergeeilt, von der sie den Hafen nicht sehen konnten. Als sie bei den ersten Häusern der Vorstadt anlangten und auf das Meer blickten, sahen sie nur noch zwei kleine türkische Kriegsschiffe, die entmastet am Strande lagen, und ein anderes am Schlepptau eines russischen Schiffes. Die Flotte war vernichtet.
Die schnelle Wanderung hatte die Wangen des jungen Mannes gerötet; jetzt wurden sie wieder blasser.
Seine Miene zeigte eine tiefe, fast verzweiflungsvolle Trauer.
»O Johnny«, seufzte er, »ein harter Schlag auch für meine Hoffnungen! Wenn das so fortgeht, wenn; viele solche Unglücksfälle folgen, dann ist es geschehen um die Türken und die Verbündeten!«
»Ei, lassen Sie nur die Teerjacken kommen. Sir!« sagte Johnny zuversichtlich. »Die und die französischen Rothosen, die werden’s schon machen, keine Sorge, drum!«
Die Stadt brannte und bot ein Bild voll Schrecken.
George und Johnny schritten langsam vorwärts, denn die Straßen waren angefüllt mit fliehenden türkischen Soldaten und Einwohnern, die in den Bergen Schutz vor der erwarteten Landung russischer Truppen suchten.
Je mehr die beiden sich demjenigen Teile der Stadt näherten, der am meisten von den Kanonenkugeln gelitten, desto grässlicher wurde der Anblick. Tote und Verwundete lagen auf der Straße. Niemand kümmerte sich in dem allgemeinen Schrecken um sie. Aus zerstörten Häusern brachen die Flammen hervor; über einem großen Teile der Stadt schwebte eine einzige Glut- und Rauchmasse. Das Wimmern der Verwundeten, das Geschrei der Weiber und Kinder zerriss das Herz. Johnnys Gesicht war sehr finster geworden; George, an den Anblick des Todes nicht gewöhnt, musste oft entsetzt den Blick abwenden und stillstehen, um sich sammeln und dann rascher weiter eilen zu können.
Endlich gelangten sie in einen Teil der Stadt, der wegen seiner höhern Lage weniger gelitten zu haben schien. Aber auch hier sahen sie Trümmer und grässlich verstümmelte Leichen von den in die Luft gesprengten Schiffen. Ermüdet sank George auf eine steinerne Bank vor einem anscheinend verlassenen Hause.
»Es würde vergebens sein, jetzt zu fragen«, sagte er. »Niemand kann uns in dieser Verwirrung Auskunft geben. Ich hoffe zu Gott, Johnny, dass Mr. und Miss Hywell noch nicht angekommen oder dass sie der Gefahr entgangen sein mögen!«
»Ich hoffe mit Ihnen, Sir«, sagte Johnny ernst. »Wie heißt der Herr, bei dem Sie sich erkundigen sollen?«
»Mr. Wiedenburg«, antwortete George. »Er ist früher mit Mr. Hywell in England bekannt geworden und wohnt seit einiger Zeit in Konstantinopel und Sinope, um Handelsverbindungen anzuknüpfen. Bei ihm sollte ich Nachrichten über Mr. Hywell erhalten.«
»Wir wollen gehen, wir werden ihn schon finden«, sagte Johnny. »Ich möchte selbst gern wissen, ob er –«
Er beendete den Satz nicht. Die beiden saßen noch eine Zeitlang schweigend und erhoben sich dann. Sie versuchten, mehrere Türken, die an ihnen vorübereilten, anzureden, aber man gab ihnen keine Antwort. Endlich gelangten sie auf einen Platz, wo sie eine Menge Volk trafen, das in großer und wilder Aufregung zu sein schien. Hier fragte George einen Mann in europäischer Tracht nach der Wohnung irgendeines Konsuls. Der Mann war ein Italiener, verstand aber ein wenig Französisch und antwortete, dass er nur die Wohnung des österreichischen Konsuls Herrn Pirjantz kenne, die er den beiden bezeichnete. Er fügte hinzu, sie möchten eilen, wenn sie ihn sprechen wollten. Denn wie immer wende sich jetzt die Wut des türkischen Pöbels, da sie keinen andern Gegenstand finde, gegen die Fremden und namentlich gegen die Deutschen, die man als geheime Verbündete Russlands betrachte, während man auf die Engländer und Franzosen einige Rücksicht nähme, weil sie wenigstens den Willen zu haben schienen, den Türken zu helfen.
George und Johnny suchten die ihnen bezeichnete Wohnung auf, die sie schon von fern an der österreichischen Flagge erkannten. In der Tat zeigten sich in der Nähe derselben drohende und heftig redende Pöbelgruppen. George ging hinein in das Haus; man sagte ihm jedoch,