»Sie haben das Kind gebadet,« entgegnete der Angeredete trocken, »und wohl etwas zu heiß. Die Röte kommt von der Wärme,« damit verneigte er sich gegen die Versammlung, bedeckte den Kahlhieb seines Schädels mit einem emeritierten Zylinder und verschwand mit geringschätzigem Lächeln.
Röse Ricke versank darob einen Moment in verärgerte Beschämung, aber sie erholte sich rasch und verkündete der erlauchten Versammlung: »Wenn die prinzipielle Röte von den Wörm kommt, so weiß ich Rat. Habt ihr Wurmsamen im Haus?«
Man suchte danach. Die weise Frau vermengte ihn sorgfältig mit Latwerg und stopfte das Gemenge dem Kleinen mit rücksichtsloser Gründlichkeit in den Mund. Dabei nahm jedoch nicht alles den richtigen Kurs. Einiges geriet auf ein totes Geleise und blieb auf den Backen hängen, und so kam’s, dass Hans Höhrle eine Stunde nach seiner Geburt aussah wie ein Schnauzer, der vom Mäusegraben kommt.
2. Kapitel
Während der nun zunächst folgenden Jahre erstrahlte scheinbar der Himmel des Höhrleschen Glückes in lachender, wolkenloser Bläue. Der Wald gab sein Holz, das Feld die glänzende Ähre, die Kühe die Milch. Mit Bienenfleiß gingen die Esel aus und ein, die Mühle prägte Geld, von den Hühnern fielen die Eier, von den Bäumen die Äpfel, und es fehlte wenig und selbst der Sägebock auf dem Speicher hätte angefangen zu kälbern. Die Mutter Höhrle baute sich nach der Peripherie aus und glich einer Melone, Suse und Liese zweien Pfirsichen, die zu reifen beginnen. Hans Höhrle hatte den Mund voller Zähne bekommen, die etwas weit auseinanderstanden, woraus Röse Ricke den Schluss zog, dass er prinzipiell weit in der Welt herumkommen würde. Das einzige, was man zu beklagen hatte, war der Verlust des tanzenden Zahnes zwischen den Lippen des Vaters Höhrle. Hatte der Müller vorher das Aussehen eines Pfarramtskandidaten, der mit dreißig Kreuzern Tagesgehalt auskommen muss, so glich er jetzt, wo seine Lippen sich etwas nach innen umkrempelten, mehr und mehr einem gutmütigen Großmütterlein.
Allein über die versöhnliche Abendstimmung, die auf diesem alternden Antlitz thronte, zog zuweilen wie Höhenrauch ein Schatten von Sorge. Vater Höhrle, und zwar er allein, sah am äußersten Rande seines Besitzstandes ein Wölkchen sich entwickeln und rasch sich zu Klumpen ballen, und er fürchtete, dass aus diesem jetzt noch so schattenhaften Luftgebilde ein Hagelschauer niederprasseln möchte, der sein Glück vernichten könnte.
Weiter unten im Tal, dort wo der Bach kurz vor seiner Mündung in den Fluss noch einmal wie ein zorniger Truthahn seine Federn sträubt und fauchend sich über Felsstücke stürzt, dort im Wiesengrunde fing man an ein Fundament zu graben. Es war die Firma Groß und Moos, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht und unbeschränkter Rücksichtslosigkeit. Bauern, die des Abends in der Mühlstube zu schlafen pflegten und warteten, bis der Mahlgang das als Mehl ausspie, was sie dem Trichter als Korn anvertraut hatten, erzählten umständlich, was man da unten plante. So erfuhr der alte Höhrle die schier unglaubliche Mär, dass man statt des Wassers den Dampf einspannen wolle, die Mühlräder zu treiben. Er konnte es nicht glauben; aber er misstraute gleichwohl den Veranstaltungen da drunten und den hohen Mauern, die, wie von Geisterhänden gebaut, rasch aus der Erde wuchsen und einen Schornstein wie einen drohenden Finger in die Luft reckten, der ungefähr sagen sollte: »Nehmt euch in acht, es kommt rascher als ihr denkt!« Höhrle verstand und fürchtete die Drohung. Der unheimliche Backsteinkoloss da unten hielt ihn fest in seinem Banne, ja lähmte ihn fast wie das Auge der Kreuzotter den Zaunkönig.
Manchmal schon, wenn sich der Abend niedersenkte, war er auf Waldwegen talab gegangen. Er sah, wie sich der Sonnenball in hunderten von Scheiben spiegelte, das fand er erklärlich; aber er wollte fast vor Schreck in die Erde sinken, als das steinerne Ungetüm im Dämmerlicht wie auf einen Zauberschlag von innen heraus zu glühen begann. Was war das? Hatte die Firma Groß und Moos die Sonne gepachtet und hing sie in ihrer Mühle aus, wenn sie den übrigen Sterblichen unterging? Der Bachmüller stand wie angewurzelt in den Haselnussstauden verborgen. Es fror ihn von innen heraus, und als er seine Beine gebrauchen wollte, um nach Hause zu gehen, war es ihm, als ob er sie aus steifem Schusterkleister herausziehen müsse. Auch folgten sie nicht seinem Willen. Sie trugen ihn hin, wohin er nicht wollte. Sie gingen im Dunkeln den moosigen Hang hinunter ins feuchte Gras des Wiesentales, überschritten den Bach, seither seinen Bach, und Höhrle stand nun vor den drahtübersponnenen Fenstern der Maschinenhalle. Aus einer offenen Feuerung schlug ihm die rote Glut eines ganzen Fegefeuers in die Augen. Alles, was diesen Flammenball allenfalls umgeben mochte, gewahrte er nicht. Wer in die Sonne schaut, übersieht die Fliegen. Die Helle nahm des Mannes ganzen Sinn gefangen. Da hörte er, wie eine schwere eiserne Tür mit dem exakten Geräusche eines Pistolenschusses ins Schloss fuhr, und nun mit einem Male kamen in dem hohen weißgetünchten Raume seltsame Dinge zum Vorschein. Ein schwarzer unheimlich auf dem Bauche kriechender Riesenleib hob silberhell glänzende, gigantische Glieder, ließ sie sausend niederfallen, um sie, in tausend Gelenke gebrochen, blitzschnell wieder zu heben. Räder schnurrten scheinbar frei im Raume schwebend mit pfeifendem Zischen durch die Luft; Taue und Riemen drehten sich um unsichtbare Wellen und geigten scheinbar zwecklos in der Luft wie Libellen über einem Sumpf. Bei all dem Lärm und all dem Schnauben musste das eiserne Ungeheuer doch nicht allzu gefährlich sein; denn Höhrle sah Menschen da drinnen herumlaufen, leibhaftige Menschen mit blauen, ölfleckenglänzenden Hosen, die friedlich aus kurzen Pfeifen rauchten. Einer der rußgeschwärzten Gesellen riss mit einem eisernen Haken die Tür der Feuerung auf, und Höhrle sah wiederum in die brodelnde, funkensprühende Glut. Wiederum versanken alle Gegenstände wie in der Helle eines Weltbrandes. Aber da kam vom Boden aus, langsam sich hebend, eine Schaufel mit einer unförmlich schwarzen Masse mitten in die leuchtende Scheibe. Ein kurzer Ruck, und der rätselhafte Stoff fuhr mit Funkengeknister in den feurig flüssigen Brei. Der Vorgang wiederholte sich ein paar Mal, dann fuhr die schwere Eisentür in ihr Schloss und alles im Raum nahm wieder die Gestalt und Form an, die es vorher hatte. Höhrle dachte nach und fand heraus, dass die schwarze Masse die Steinkohle sein könne, von der er irgendwo gelesen hatte, dass sie berufen sei, die Welt umzuformen. Ein Gruseln überkam ihn vor diesem unheimlichen Wechselbalg, der dem Schoß der Erde entsprungen war, um der Mutter Antlitz zu zerkratzen. Was konnte noch alles kommen! Vater Höhrle suchte Hilfe bei Gott und erhob das Auge zum Sternendom. Aber was fand er da? Oben in der klaren stahlblauen Nachtlust da stand wohl einen Kilometer lang und länger ein schwarzes Ungetüm, das den Mond verdeckte und wie in Schmerzen sich krümmend den klumpigen Schlangenleib wandte. Der erschreckte Mann sah genauer hin und entdeckte, dass der schwarze Wurm, der seinem Auge den Blick zum Himmel verlegte und das Tal mit einem stinkenden Brodem füllte, aus dem Riesenschornstein geboren wurde, den Menschenhand aus kleinen Backsteinen zusammengesetzt hatte. Da zum ersten Male verlor er den Respekt vor der Allmacht Gottes, der sich seinen Himmel wie einen Schinken räuchern ließ, und er fing an zu glauben an die Macht der Kohle und des Goldes. Ihn fror. Er bohrte die Fäuste tief in die Taschen seines Rockes, schlug die Absätze in den Straßenkot und senkte den müden Blick dem Boden zu, das Herz so schwer, das Herz so bang. Aber was gewahrte er da? Wie ein Notenblatt sah die Straße aus mit ihren in steifem Kote stehenden Wagenspuren. Das war ja die reine Verkehrsstatistik der Firma Groß und Moos. Was wollten ihr gegenüber die paar Hufspuren der Esel besagen, die hier und da wie Notenköpfe eingezeichnet waren. Höhrle versuchte mit geschlossenen Lidern weiterzulaufen. Doch ihn zwang die Angst, zuweilen sich umzusehen.
Ihm war, als ob der schwarze Wurm da oben in den Lüften ihm nachkriechen und nach ihm schnappen könne, und er nahm mit Eifer den Weg zwischen die Beine.
Als er aber in den Wiesenpfad nach seiner Mühle einschwenkte, wurde er ruhiger. Das schier melodische Klappern, das nun an sein Ohr drang, und der Schimmer des Öllampenlichtes zwischen dem Blattwerk des Erlengebüsches senkten ihren Frieden in sein Herz und gaben ihm wieder Sicherheit. Ohne eines von den Seinen aufzusuchen, ging er in sein Bett. Doch schlafen konnte er nicht. Er zog sich an, stieg die Treppe hinunter, und trat zu ebener Erde in den Raum ein, wo die Bauernkundschaft schlief oder Karten spielte, um sich die Zeit zu vertreiben. Von dem mehlbestaubten Balkenwerke der Decke pendelte die Laterne nieder und warf wandernde Lichter auf ein halbes Dutzend kräftiger Gestalten, die auf Spreusäcken am Boden lagen oder saßen.
»Grüß Gott«,