Antonina
Wer ist in Rom gewesen, ohne sich mit Entzücken der Reize des Monte Pincio zu erinnern? Wer ist nicht, nachdem er sich durch die Wunder der düstern, traurigen Stadt geschleppt, durch einen Besuch seiner schattigen Spaziergänge und das Athmen seiner balsamischen Düfte neu belebt worden? Unter der feierlichen Trauer, die über dem verfallenden Rom herrscht, erhebt sich dieser köstliche Hügel leicht, luftig und einladend zur Erquickung für den Körper und zum Troste fürs den Geist. Von seinem, ebenen Gipfel erblicket man die Stadt in ihrer größten Majestät und die Umgegend in ihrem schönsten Kleide. Die Verbrechen und das Elend von Rom scheinen abgeschreckt zu werden, sich seinem beglückten Boden zu nähern, er macht aus den Geist den Eindruck eines durch den allgemeinen Willen für die Gegenwart der, Unschuldigen und Frohen bei Seite gesetzten Ortes – einer Stelle, die durch Ruhe und Erholung gegen das Eindringen des Lärmens und der Mühe heilig gehalten wird. Sein Aeußeres in der neuern Zeit ist das Bild seines Charakters seit Jahrhunderten. Die Kriege konnten seine Schönheiten auf eine Zeitlang verdunkeln, der Friede stellte sie aber stets in aller ihrer ursprünglichen Lieblichkeit wieder her. Die alten Römer nannten ihn den Berg der Gärten, er hat bei allen Unglücksfällen des Reiches und Zuckungen des Mittelalters fortwährend seine alte Benennung verdient, und ist noch heutzutage triumphirend ein Berg von Gärten.
Zu Anfange des fünften Jahrhunderts stand die Herrlichkeit des Monte Pincio auf ihrem Gipfel. Wenn es sich mit dem Laufe unserer Geschichte vertrüge, auf der Pracht seiner Paläste und Haine, seiner Tempel und Gräber zu verweilen, so könnte vor dem Leser ein so glühendes Gemälde von natürlicher Schönheit unterstützten, künstlichen Glanzes ausgebreitet werden, daß er denken würde, man wolle seiner Leichtgläubigkeit spotten, während es sein Erstaunen erregte. Es ist hier jedoch unnöthig, eine solche Aufgabe zu versuchen. Nicht für die Wunder des alten Luxus und Geschmackes, sondern für die Wohnung des religionseifrigen Numerian halten wir es jetzt nöthig, Theilnahme zuerwecken und Aufmerksamkeit zu erregen.
Auf der Rückseite des Flaminischen Endes des Monte Pincio und dicht an der Stadtmauer stand zur Zeit, von welcher wir schreiben, ein kleines, aber elegant gebautes Haus von einem Gärtchen umgeben und von hinten durch die hohen Haine und Nebengebäude des Senators Vetranio geschützt. Diese Wohnung war einst eine Art von Sommerhaus des früheren Besitzers eines nahen Palastes gewesen.
Die Verschwendung und Ausschweifung hatten den Eigenthümer gezwungen, sich von diesem Theile seiner Besitzthümer zu trennen, welcher von einem Kaufmanne an sich gebracht wurde, den Numeriam, dem das Haus beim Tode seines Freundes als Erbtheil zufiel, gut kannte. Sobald seine Reformationspläne von seinem Geiste Besitz ergriffen, schon über die Idee der Nähe bei den adeligen Wüstlingen von Rom entrüstet, hatte der strenge Christ sein Erbtheil zu verlassen und es an einen Andern zu verkaufen beschlossen, aber auf die wiederholten Bitten seiner Tochter endlich eingewilligt seine Absicht zu ändern und den Widerwillen gegen seine üppigen Nachbarn der jugendlichen Liebe seines Kindes für die Schönheiten der Natur, wie sie sich in seinem Legate auf dem Monte Pincio zeigten, geopfert.
Dies war der einzige Fall, in welchen: die angeborene Liebe des Vaters den Sieg über die angeeignete Strenge des Reformators davontrug. Hier ließet sich zum ersten und letzten Male zu den süßen Tändeleien der Jugend herab, hier richtete er, trotz seiner selbst, nachsichtig, seine kleine Haushaltung ein und erlaubte seiner Tochter, als einzige Erholung die Pflege der Blumen im Garten und den Genuß der schönen Aussicht in die Ferne.
Die Nacht ist seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen um eine Stunde vorgerückt. Der helle, glänzende Mondschein Italiens erleuchtet jetzt jeden Bezirk der herrlichen Stadt und badet die Haine und Paläste auf dem Monte Pincio in seinen reinen Strahlen. Von dem Garten Numerian’s aus sind die unregelmäßigen Gebäude der großen Vorstädte von Rom, das fruchtbare, wellenförmige Land jenseits derselben und die langen Bergreihen inder Ferne in dem weichen, sanften Lichte deutlich sichtbar. In der Nähe der Stelle, von welcher man diese Aussicht hat, ist bei der erstens Betrachtung kein lebendes Wesen zu erblicken. Wenn man sich aber aufmercksamer und geduldiger umschaut, so kann man später an einem der Fenster von Numerian’s Hause, hinter einem Vorhange halb versteckt, die Gestalt eines jungen Mädchens erschauen.
Diese einsame Gestalt tritt bald dem Auge näher, die Mondstrahlen, welche bis jetzt nur auf das, Fenster geschienen haben, erleuchten nun auch andere Gegenstände. Zuerst zeigen sie einen kleinen weißen Arm, dann ein leichtes, einfaches Gewand, darauf einen schönen, graziösen Hals und endlich ein schimmerdes, jugendliches, unschuldiges Gesicht, welches sich unbewegt aus die weite monderhellte Aussicht der fernen Berge heftet.
Eine Zeitlang bleibt das Mädchen betrachtend am Fenster stehen, dann verläßt es seinen Posten und erscheint fast augenblicklich darauf an eine in den Garten führenden Thür. Ihre ans den vor ihr liegenden Rasenplatz zuschreitende Gestalt ist leicht und klein, in ihren Bewegungen zeigen sich natürliche Anmuth und Anstand – sie hält an ihren Busen gepreßt und halb von ihrem Gewande verborgen eine vergoldete Laute. Sie hat eine Rasenbank erreicht, auf der man dieselbe Aussicht hat, wie am Fenster, legt ihr Instrument auf dem Knie zurecht und berührt mit einigermaßen zauderndem Wesen sanft die Saiten. Hierauf blickt sie, wie über den von ihr hervorgebrachten Ton in Schrecken, ängstlich um sich und scheint zu fürchten, daß sie gehört werden könne. In ihren großen, dunkeln, schimmernden Augen liegt ein Ausdruck von Besorgniß, ihre zarten Lippen öffnen sich halb. Ein plötzliches Erröthen steigt in ihren weichen, olivenfarbenen Wangen auf, während sie jeden Winkel des Gartens durchforscht. Nachdem sie ihre Untersuchung beendet, ohne einen Grund für den Verdacht, welchen sie zu hegen scheint, zu entdecken, nimmt sie wieder ihr Instrument vor. Sie schlägt von Neuem die Saiten an, diesmal aber mit kühnerer Hand. Die von ihr hervorgebrachten Töne vereinigen sich zu einer wilden, klagenden, unregelmäßigen Melodie, die, wie von dem launischen Einflusse eines Sommerwindes beherrscht, abwechselnd stärker und schwächer werden. Diese Töne vermehren sich bald harmonisch durch die Stimme der jungen Lautenschlägerin, die ruhig, voll und metallisch sich mit ausgesuchter Kunst jeder willkührlichen Veränderung im Tone der Begleitung anschmiegt. Das Lied, welches sie gewählt hat, ist eine von den phantastischen Oden der Zeit. Ihr Hauptvorzug liegt für sie in der Verbindung mit der seltsamen, orientalischen Melodie, welche sie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Senator, der ihr die Laute schenkte, gehört.
Das Lied war bald zu Ende. Als aber die letzten Töne ihrer Stimme und Laute sanft in der stillen Nachtluft verklangen, zeigte sich aus dem Gesicht des Mädchens eine unbeschreibliche Erhebung. Sie blickte verzückt zu dem fernen, sternhellen Himmel auf ihre Lippe bebte, ihre dunkeln Augen füllten sich mit Thränen und ihr Busen wogte im Uebermaße der Empfindungen, welche die Musik und die Natur in ihrem Geiste erweckt hatten, dann schaute sie langsam um sich, verweilte liebevoll auf den duftigen Blumenbeeten, die das Werk ihrer eignen Hände waren und sah mit halb ehrfurchtsvollem, halb seligem Ausdrucke über die weithingedehnte, glatte, schimmernde Ebene und die stummen herrlichen Berge hin, die, so lange die Begeisterung ihre liebsten Gedanken gewesen waren und jetzt sanft und schön, wie die Träume ihres jungfräulichen Lagers, vor ihr leuchteten. Von den unschuldigen Gedanken und Erinnerungen, welche die Zauberflügel der Natur und Nacht in ihren Geist fächelten, überwältigt, beugte sie dann das Haupt auf ihre Laute herab, drückte ihre runde Grübchenwange an das glatte Gehäuse derselben, ließ die Finger mechanisch über die Saiten streifen und gab sich rückhaltslos ihren jungfräulichen, jugendlichen Träumereien hin.
Dies war das Wesen, welches der traurige Ehrgeiz seines Vaters zu einer lebenslänglichen Verbannung von Allem, was es in der menschlichen Kunst Anziehendes und im menschlichen Geiste Schönes giebt, geweiht hatte! Dies war die Tochter, deren Existenz nur eine lange Bekanntschaft mit dem Schmerze der Sterblichen, nur eine wechsellose Verweigerung aller menschlichen Freuden sein, deren Gedanken sich nur auf Predigten und Fasten, deren Handlungen sich nur aus das Verbinden fremder Wunden und das Trocknen fremder Thränen richten sollten, deren Leben, kurz gesagt, dazu verurtheilt trat, die Verkörperung des strengen Ideals ihres Vaters von den strengen Jungfrauen der alten Kirche zu werden!
Ihrer Mutter beraubt, aus der Gesellschaft Anderer ihres Alters verbannt, aller Vertraulichkeit mit irgend einem lebenden Wesen – aller Sympathieen mit den Herzen Anderer entäußert, stets mit Befehlen, aber